Eine bessere Mobilität für alle

Wie das Auto zukunftsfähig werden könnte
Zwei Autos rosten vor sich hin
Foto: akg-images/L. M. Peter

Die Verkehrswende hin zu einer sozial- und umwelt­verträglichen Mobilität mit klimafreundlichem Antrieb ist dringend nötig und möglich. Das Thema Auto ist dabei emotional stark aufgeladen, was häufig dazu führt, dass eine Verständigung über die Verkehrswende durch Polarisierung blockiert wird. Wie diese Verunsicherungen und Widerstände überwunden werden könnten, erläutert Philine Gaffron, Projektleiterin Städtische Mobilität der Denkfabrik „Agora Verkehrswende“.

Sobald wir etwas für sich genommen betrachten wollen, stellen wir fest, dass es mit allem anderen im Universum verbunden ist.“ Der Schotte John Muir (1838–1914), Naturphilosoph und früher Ökologe, beschrieb mit diesem Satz ursprünglich die umfassende Verwobenheit aller Lebewesen mit ihrer belebten und unbelebten Umwelt. Die Aussage lässt sich aber durchaus auch auf das komplexe Geflecht anwenden, auf das man stößt, wenn man sich mit der Verkehrswende und der Frage nach der Zukunft unserer Mobilität beschäftigt.

Denn Verkehr und Mobilität hängen eng zusammen mit Klima und Umwelt, mit Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit, mit Wirtschaft und Wohlstand. Mit einer Bilanz von 146 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2023 – nur 10 Prozent weniger als 1990 – ist der Verkehrssektor beispielsweise noch weit von der Klimaneutralität entfernt, zu der sich Deutschland für 2045 per Gesetz verpflichtet hat. Auch die Vision Zero – null Verkehrstote und Schwerverletzte – ist noch lange nicht erreicht: Laut Bundesstatistik starben im vergangenen Jahr 2 817 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen, fast 52 500 wurden schwer verletzt. Lärm und Luftschadstoffe verursachen weitere Gesundheitsschäden und damit auch zusätzliche Krankheitskosten. Und viele Menschen müssen ihren Alltag ohne eine angemessene Anbindung durch den öffentlichen Verkehr organisieren. Wenn sie dadurch auf ein Auto angewiesen sind, geben besonders finanziell schlechter gestellte Haushalte einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Budgets nur für Mobilität aus, ohne dass sie eine Alternative hätten. Nicht zuletzt verursachen Staus jeden Tag hohe Zeitverluste. Die Verkehrswende hin zu einer sozial- und umweltverträglichen Mobilität mit klimafreundlichem Antrieb ist also dringend nötig. Und sie ist möglich. Es ist jedoch auch klar, dass die hier aufgelisteten Sachargumente nicht ausreichen, um sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt jenseits von politischem Kalkül und Partikularinteressen werden zu lassen. Denn für jede und jeden Einzelnen geht es dabei auch um Fragen nach Alltagsorganisation, nach Leistbarkeit und Teilhabe, nach Freizeitgestaltung und nach einer angenehmen Lebensumwelt. Zugleich ist Mobilität geprägt von Gewohnheiten, sie hat etwas mit Selbstbestimmung, Kultur und Identität zu tun. Das Thema Auto ist deswegen emotional stark aufgeladen, was häufig dazu führt, dass eine Verständigung über die Verkehrswende durch Polarisierung blockiert wird, weil dieses Ziel eben auch Verunsicherungen und Widerstände verursacht.

Wie kann dennoch erreicht werden, dass motorisierte Fahrzeuge zukünftig klimaneutral angetrieben werden (Antriebswende), dass der Mix aus unterschiedlichen Verkehrsmitteln neu zusammengestellt und dafür auch öffentliche Räume anders aufgeteilt werden? Für eine solche Mobilitätszukunft sind zwei Dinge unverzichtbar: zielorientierte Strategien und Maßnahmen, die konsequent geplant, kommuniziert und umgesetzt werden, sowie eine umfassende gesellschaftliche Bereitschaft, die entsprechenden Veränderungen mitzutragen. Dafür ist es wichtig, dass positive Zukunftsbilder dazu entworfen werden, welche Verbesserungen eine erfolgreiche Verkehrswende für Menschen auch in ihrem Alltag mit sich bringen werden, und dass es eben nicht um eine Verhinderung von Mobilität, sondern um ihre zukunftstaugliche Umstrukturierung geht.

Eine gewisse Anstrengung

Zunächst ein Blick auf die Städte: Mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr, hochwertiger und zuverlässiger öffentlicher Verkehr und qualitätsvolle, gesundheitsfördernde öffentliche Räume – all das ist dort unter anderem nur dann zu haben, wenn nicht wie bisher weiterhin große Teile des öffentlichen Raums für das Parken von Autos genutzt werden. An dieser Stelle entstehen schnell Konflikte. Denn Automobilität ist für viele eine Gewohnheit, und die zu ändern, bedeutet meistens eine gewisse Anstrengung. Darüber hinaus kann der Ruf nach Veränderung auch die Sorge auslösen, dass ein Weniger an Autos auch ein Weniger an Mobilität bedeutet – für Menschen mit Behinderungen, für Handwerksbetriebe, für die Belieferung von Geschäften und Restaurants und auch für diejenigen, die mit Kindern unterwegs sind oder Einkäufe transportieren. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Denn wenn der Straßenraum anders aufgeteilt wird und mehr Menschen auf den Umweltverbund umsteigen, kann mehr Platz geschaffen werden für barrierefreie Mobilität, für Ladezonen und für diejenigen, die wirklich auf die Nutzung eines Autos angewiesen sind. Dazu trägt auch bei, wenn mehr solcher Fahrten mit geteilten Fahrzeugen aus Carsharing-Angeboten durchgeführt werden. Dann stehen weniger Autos geparkt auf öffentlichen Flächen, wo sie im Durchschnitt jeden Tag etwa 23 Stunden Platz belegen, aber niemandem einem Nutzen bringen. Betrachtet man als nächstes die Verbindung zwischen Städten und ihrem Umland, kommt man schnell zum Thema Pendelverkehre. Denn selbst wenn zumindest das zeitweise Arbeiten im Homeoffice mittlerweile für viele zur Normalität gehört, pendelt weiterhin eine große Anzahl von Menschen zum Arbeitsplatz. Gemäß dem Deutschlandatlas der Bundesregierung lebten 2022 mehr als 20 Millionen Menschen nicht in der Gemeinde, in der sie arbeiteten, und die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz war mit über 17 Kilometern so groß wie nie zuvor. Um denjenigen, die solche Wege heute noch weitgehend mit dem eigenen Auto zurücklegen, gute Alternativen zu bieten, müssen unter anderem regionale Verbindungen im öffentlichen Verkehr gestärkt werden. Schienenverkehrsprojekte sind jedoch teuer, und ihre Umsetzung braucht relativ lange. Für eine möglichst rasche und vor allem auch flächendeckende Angebotsverbesserung werden daher als temporäre Alternative oder auch dauerhaft deutlich bessere Busangebote für die Stadt-Umland-Verkehre benötigt. Die sind wiederum nur dann attraktiv, wenn sie nicht genau wie auch der Pkw durch Staus verlangsamt werden, sondern Busse auf Hochleistungskorridoren durch eigene Spuren und Vorrangregelungen an Ampeln zügig und pünktlich unterwegs sein können. Hier zeigt sich erneut die eingangs erwähnte Vernetzung, denn für solche Korridore ist eine Umverteilung des Straßenraums notwendig, und zwar auch in der Stadt. Dort kann zudem dadurch mehr Platz geschaffen werden, dass auch innerstädtische Mobilität zunehmend im Umweltverbund stattfindet.

Schließlich ist ein Blick auf die Mobilität im ländlichen Raum notwendig. Denn selbst günstige Fahrpreise, wie beispielsweise durch das Deutschlandticket, nützen wenig, wenn es kein angemessenes öffentliches Verkehrsangebot gibt, das man dafür in Anspruch nehmen kann. Hier setzt die Idee einer Mobilitätsgarantie an, wie sie sich zum Beispiel das Land Baden-Württemberg für das Jahr 2030 zum Ziel gesetzt hat. Bis dahin sollen dort in den Hauptverkehrszeiten des Berufsverkehrs die Busse auf dem Land im 30-Minuten-Takt fahren, am Rest des Tages soll es mindestens ein 60-Minuten-Takt werden. In dichter besiedelten Räumen soll der öffentliche Verkehr sogar doppelt so häufig fahren. Außerdem sollen Busse zuverlässige Anbindungen an den regionalen Schienenverkehr und damit in die Städte ermöglichen und Fahrzeuge sollen flächendeckend barrierefrei sein. Kernidee in vergleichbaren Konzepten für einen alltagstauglichen deutschlandweiten ÖV-Bedienstandard ist immer, dass die Angebote je nach Bevölkerungsdichte und Tageszeit mindestens im Stundentakt, in Ballungszentren maximal im 5-Minuten-Takt verkehren, dass möglichst nahtlose Verbindungen zwischen Bussen und Bahnen gewährleistet sind und dass dadurch regionale und überregionale Zentren entsprechend gut mit ihrem Umland verbunden werden. Auch im Rahmen einer umfassenden Mobilitätsgarantie wird es aber immer Gebiete oder Tageszeiten geben, in denen die Nachfrage so gering ist, dass ein regulärer Fahrplan nicht lohnt. Für solche Fälle gibt es bedarfsorientierten Angebote wie Rufbus oder Anrufsammeltaxi. Sie verkehren nur, wenn sie wirklich gebraucht werden, und können per App, im Internet oder telefonisch bestellt werden. Sowohl aus Kostengründen als auch, weil es für viele öffentliche Verkehrsunternehmen immer schwieriger wird, ausreichend Fahrpersonal zu finden, ist der Einsatz von autonomen Fahrzeugen eine wichtige Option für die Zukunft, nicht nur, aber im Besonderen für die bedarfsorientierten Angebote. Im Sinne der Klimabilanz ist es natürlich außerdem wichtig, dass auch die Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr so schnell wie möglich auf klimafreundliche Antriebe umgestellt werden und der Strom für Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen sowie Fernzüge in Zukunft ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Gerade in Zeiten von elektrisch unterstützter Radmobilität sollte außerdem gewährleistet sein, dass Radverbindungen nicht an kommunalen Grenzen enden und auch für Alltagswege in ländlicheren Gegenden geplant werden.

All das wird jedoch Geld kosten. Einerseits sollten daher auf der Bundesebene klimaschädliche und teure Subventionen wie das Dienstwagenprivileg und die Pendlerpauschale abgeschafft oder zukunftsfähig umgebaut werden. Andererseits können Bund und Kommunen durch die Bepreisung von CO2-Emissionen und eine verursachergerechte Pkw-Maut Einnahmen generieren, um neue Angebote zu finanzieren und bedarfsorientiert diejenigen zu unterstützen, die aufgrund von steigenden Mobilitätskosten sonst unter Einschränkungen zu leiden hätten. Das ist auch deswegen wichtig, weil der CO2-Preis für Kraftstoffe in Deutschland ab 2027 im Rahmen des europäischen Emissionshandels festgesetzt wird. Abhängig von den bis dahin noch erzielten Erfolgen im Klimaschutz, kann der Preis nach einer Berechnung des Thinktanks Agora Energiewende dann von heute 45 Euro auf bis zu 200 Euro pro Tonne CO2 ansteigen. Das würde ein Plus von 38 Cent pro Liter Benzin bedeuten. Finanzielle Instrumente sollten außerdem genutzt werden, um Anreize für einen Umstieg zu schaffen – auf ein deutlich effizienter genutztes und klimaneutral betriebenes Auto da, wo es keine sinnvolle Alternative gibt, und ansonsten auf einen leistungsfähigen, attraktiven Umweltverbund, in der Stadt wie auf dem Land.

Die gute Nachricht

Die gute Nachricht ist: Schnelles Handeln zahlt sich aus. Eine Studie des Thinktanks Agora Verkehrswende mit dem Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos hat gezeigt, dass Deutschland im Verkehrssektor durchaus bis spätestens 2045 klimaneutral werden und dabei zudem noch rund 590 Millionen zusätzliche Tonnen CO2 einsparen kann. Das gelingt sogar ohne volkswirtschaftliche Mehrkosten und bei vollständiger Wahrung der Mobilität – es wären jedoch mehr als die aktuell von der Politik geplanten Maßnahmen in diesem Sektor notwendig. Die zusätzlich eingesparten CO2-Emissionen würden dann entsprechend eingesparte Klimaschadenskosten bedeuten und unterm Strich sogar zu volkswirtschaftlichen Einsparungen führen. Zu Anfang sind, wie erwähnt, höhere Investitionen für eine erfolgreiche Verkehrswende notwendig, in Summe braucht es dann aber eben nicht mehr Geld. Politisches Zögern hingegen hat einen Preis. Der bemisst sich entweder in Geld oder in Treibhausgasen, mit all den damit verbundenen Risiken. Mit gesellschaftlicher Verständigung und mehr politischem Willen ist hingegen eine Wende hin zu besserer Mobilität für alle möglich. 

 

Information
Unter www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen finden Sie in den folgenden Publikationen weitere Informationen zu den in diesem Artikel angesprochenen Themen: Vier Jahre für die Fairkehrswende; Mut zur lebenswerten Stadt; Mobilitätsgarantie für Deutschland; Faire Preise im Straßenverkehr; Vom Plan auf die Straße; Pkw-Maut für die Mobilitätswende; Verkehrswende als Mehrwert. Bei www.agora-energiewende.de/publikationen/: Der CO2-Preis für Gebäude und Verkehr.

 

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Foto: Agora Verkehrswende

Philine Gaffron

Dr. Philine Gaffron ist Projektleiterin Städtische Mobilität der Denkfabrik „Agora Verkehrswende“ in Berlin.


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