Wer das Rennen gemacht hat

Gut Elektromobilität will Weile haben? Ein Blick in den Rückspiegel
König
Foto: akg/mauritius images/Cornelius

Es gab in der Automobilgeschichte einmal einen Moment, da glaubten viele, den Elektrowagen gehöre die Zukunft – und das ist knapp 150 Jahre her. In den großen Industrieländern Europas schien es um die Wende zum 20. Jahrhundert ganz so, als stünde dem sauberen, leisen und leicht bedienbaren Elektroauto eine große Zukunft bevor. Warum daraus dennoch nichts wurde, aber vielleicht jetzt, das erzählt der Schriftsteller und Auto-Fachmann Johann-Günther König.

Die Bundesregierung strebt an, bis 2030 rund 15 Millionen vollelektrische Pkw in der deutschen Bestandsflotte zu haben, um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Da zu Beginn des Jahres 2024 nur rund 1,4 Millionen BEV (Battery Electric Vehicle) registriert waren (plus 2,9 Millionen Hybrid-Pkw), müssten in den verbleibenden sechs Jahren um die 13 Millionen BEV neu auf die deutschen Straßen kommen. Seitdem es keinen „Umweltbonus“ für die vergleichsweise teuren Wagen mehr gibt, stocken die Zulassungszahlen jedoch ziemlich. Gegenwärtig kommt der Absatz von E-Autos auf täglich kaum mehr als 1000 Neuzulassungen – für das Regierungsziel von 15 Millionen BEV bis 2030 bräuchte es täglich jedoch 5500.

Dabei gab es in der Automobilgeschichte schon einmal einen Moment, in dem es schien, den Elektrowagen gehöre die Zukunft. In der Wikipedia wird das jedoch nicht deutlich. Dort steht: „Obwohl bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts verschiedene Dampfkraftwagen und Dampfomnibusse und ab 1881 auch schon Elektroautos gebaut wurden, gilt 1886 mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 des deutschen Erfinders Carl Benz als Geburtsjahr des Automobils als Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor.“ Aber das ist bestenfalls die halbe Geschichte. Zwischen den 1820er- und 1850er-Jahren wollten die Dampfwagen-Pioniere in England die von Pferden gezogenen Kutschen und Omnibusse durch „steamer“ ablösen. Nach dem Bau von rund 50 größeren Dampfbussen stoppte zu Beginn der 1860er-Jahre der politisch extrem restriktive „Red Flag Act“ die weitere Entwicklung. Bis dahin hatten die Entwickler durch die praktische Erprobung und den Einsatz von grundlegenden Autobestandteilen wie etwa Wechsel- und Differenzialgetrieben, Lenksystemen, fußbetätigten Bremsen, leichteren Materialien et cetera große automobile Fortschritte erzielt, und das längst, bevor von einem Elektro-, Otto- oder Dieselmotor auch nur geträumt wurde.

Nochmals erfunden

Mit Walter Hancock (1799–1852) gab es einen Konstrukteur, der neben mehreren beeindruckenden Kraftbusmodellen im Jahr 1838 einen ganz speziellen Dampfwagen in London in den Verkehr brachte. Dieser als Phaeton karossierte Pkw funktionierte als erstes alltagstaugliches, klassisches Automobil für vier Personen überhaupt. Das Auto erreichte eine Geschwindigkeit von gut 30 km/h und war damit schneller als die ersten Pkw mit Ottomotoren.

Hancocks in der Historiografie lange „übersehener“ vierrädriger Pkw startete die Ära des modernen Automobils. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten französische Konstrukteure die englischen Entwicklungen fort. Das zeigte sich 1873, als Amédée Bollée sen. (1844–1917) den zwölfsitzigen Bus „L’Obeissante“ präsentierte. Der als Break karossierte Dampfwagen verfügte an den lenkbaren Vorderrädern bereits über Vollelliptikfedern, und das Lenksystem gestattete erstmals die geometrisch korrekte Fahrzeuglenkung – sie wurde 1889/1893 von Maybach und Benz nochmals erfunden … Der Bus hatte einen geringen Kohleverbrauch (2,5 kg/km) und wurde zu einer in den Pariser Cafés besungenen Sensation.

Nach Hancock war Bollée sen. der zweite Erfinder, der 1878 mit einem Personenwagen ein Zeichen setzte. Seine als Victoria karossierte „Mancelle“ wies diverse innovative technische Detaillösungen auf und nahm im Erscheinungsbild das Automobil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts vorweg. Der Pkw besaß einen schnell betriebsbereiten und sparsamen Field-Hochleistungskessel und erzielte eine Reichweite von rund 60 Kilometern. Von der „Mancelle“ wurden fünfzig Exemplare hergestellt, es war damit das historisch allererste in Serie gefertigte Automobil. Die gängige Darstellung, der Benziner „Velo“ von Benz & Co. sei der „erste Serienwagen“ gewesen, entspricht nicht den Tatsachen.

Um 1880 begannen neben vielen anderen europäischen und nordamerikanischen Spezialisten fast zeitgleich zwei deutsche Ingenieure mit der Entwicklung schnell laufender Benzinmotoren für den Einbau in Fahrzeuge. Der eine hieß Gottlieb Wilhelm Daimler (1834–1900) und arbeitete mit dem Konstrukteur Wilhelm Maybach (1846–1926) zusammen, der andere Carl Benz (1844–1929). Die Auto-Biografie des bis heute dominierenden Kraftfahrzeugtyps begann hierzulande im Januar 1886 mit der Patentschrift 37435 vom Kaiserlichen Patentamt, ausgestellt auf ein dreirädriges „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ der Firma Benz & Co. in Mannheim. Die technische Reife der französischen Dampfwagen hatte der Benz’sche Wagen zweifellos noch nicht. Er war auch nur dreirädrig, weil Benz keine geometrisch korrekte Lenkung hinbekam. Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine Handvoll europäischer Hersteller, die Fahrzeuge mit Ottomotoren bauten. Neben Benz und Daimler vor allem die französischen Firmen Panhard & Levassor und Peugeot. Im Alltag erwiesen sich die mit kaum mehr als drei PS motorisierten frühen Benziner als nur bedingt einsatzgerecht. Sie waren nicht wintertauglich, anfällig für Pannen und konnten größere Steigungen kaum überwinden. Zudem gab es relativ wenige Reparaturwerkstätten. Die nötigen Betriebsstoffe und Ersatzteile waren nicht flächendeckend verfügbar.

Die sich neben der Chemie zum neuen Leitsektor der Industrialisierung herausbildende Elektrotechnik ermöglichte ab den 1880er-Jahren die Elektrifizierung – nicht zuletzt die Konstruktion elektrisch angetriebener Fahrzeuge. Zu den frühen Treibern der Entwicklung in Europa gehörten zwei Franzosen. Charles Jeantaud (1843–1906) konstruierte elektrische „Luxuskutschen“, die auch als Taxis eingesetzt und ab 1898 unter anderem von der Berliner Firma Kühlstein Wagenbau in Lizenz nachgebaut wurden. Louis Antoine Kriéger (1868–1951) baute um 1895 ein als Victoria karossiertes Taximodell mit einem Elektro-Vorderradantrieb. Der Wagen wog 1,4 Tonnen, wobei die Batterien für 285 kg standen, und erzielte eine Reichweite von 30 km. Vor allem Kriégers Motor war wegweisend, denn er nutzte schon die Bremsenergie.

Während Kriéger das Frontantriebskonzept verbesserte, das erstmalig in Dampfwagen angewandt worden war, setzte es in Wien Ferdinand Porsche (1875–1951) noch ingeniöser um: Sein 1900 auf der Pariser Weltausstellung gezeigter Elektro-Pkw wartete mit einem von Einflüssen auf die Lenkung freien Vorderradantrieb auf, der durch platzsparende Radnabenmotoren gewährleistet wurde. Die beiden Elektromotoren erbrachten eine Leistung von je 2,5 PS und ermöglichten eine Reichweite von 50 Kilometer. Die Normalgeschwindigkeit betrug 37 km/h. Die Fachpresse zeigte sich ob der „epochemachenden Neuheit“ entzückt und lobte das ohne Zwischengetriebe wie Zahnräder, Riemen, Ketten und Differenziale auskommende, abgasfreie und leise Fahrzeugkonzept.

Für die kostengünstig erscheinende Elektromobilität interessierten sich als erste die Taxibetreiber. Ab 1897 setzte die London Electrical Cab Company Ltd. „the first 12 Electrical Cabs in Europe“ ein. Sie waren mit Bleibatteriesätzen ausgestattet, die rasch ausgewechselt werden konnten. Ende 1898 fuhren 40 der noch kutschenähnlichen Fahrzeuge in London, die bereits 320 000 km auf dem „Buckel“ hatten. Allerdings zeigten sich im Dauereinsatz unerwartete Probleme. Zum einen erwiesen sich die Gummireifen an den Antriebsrädern der mehr als eine Tonne schweren Fahrzeuge als eine kostenträchtige Schwachstelle, zum anderen war die benötigte Elektrizität teurer als erwartet. 1900 meldete die London Electrical Cab Company Konkurs an und wurden deren knapp 80 E-Taxis verkauft.

Politisch gefördert

Die Zahl der privaten Käufer und Fahrer hielt sich in jenen Tagen in engen Grenzen, zumal der Versuch, die Lade- und Batterieaustausch-Stationen nicht nur in den Städten, sondern an viel genutzten Fern- und Landstraßen fest einzurichten, scheiterte. Etwa der Plan der 1899 mit 5 Millionen Francs gegründeten Firma La Poste Électrique Internationale, bis 1901 700 Servicestationen an den französischen Hauptrouten bis in die Länder Italien, Spanien, Belgien und Deutschland hinein zu errichten.

In den großen Industrieländern Europas (sowie in den USA) schien es um die Jahrhundertwende ganz so, als stünde dem sauberen, leisen und leicht bedienbaren Elektroauto zumindest in den Städten eine große Zukunft bevor. Von den 41 deutschen Unternehmen, die in geringen Stückzahlen und in kleinen Werkstätten jährlich circa 800 Kraftwagen bauten, waren zehn reine E-Fahrzeug-Hersteller, sieben verkauften neben Elektro- auch Benzinwagen. So nahm zum Beispiel 1899 der Kutschenfabrikant Heinrich Scheele in Köln den Bau von Elektrofahrzeugen auf.

Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte im Mitteleuropäischen Motorwagenverein die Auffassung vor, die „glatte Asphaltfläche der großen Städte“ würde zukünftig von „mit Sammlerelektrizität getriebenen Wagen“ und die Landstraßen würden von „Oelmotorfahrzeugen“ belebt sein. Zugleich versuchte die Politik in einigen Städten, die Elektromobilität zu fördern. In Berlin zum Beispiel mussten bei der Anschaffung eines Taxis mit Verbrennungsmotor zehn Pferdedroschken-Lizenzen abgegeben werden, aber lediglich zwei beim Kauf eines E-Taxis. Deshalb baute unter anderem die Berliner Elektromobil-Droschken AG das Geschäft zügig aus. 1912 fuhren in der Metropole rund 280 Taxis elektrisch. Sie genossen wegen ihrer hohen Betriebssicherheit und den relativ günstigen Wartungskosten einen guten Ruf – die Fahrgäste schätzten den ruhigen Lauf. Unterstützt wurde das System durch Akkumulatoren-Depots und Ladestationen. Zahlreiche Elektrodroschken zeigten sich auch an den Taxiständen von Städten wie Bremen, Hamburg und Düsseldorf, die den Betrieb von Taxen mit Ottomotoren wegen ihres Gestanks und Lärms untersagt hatten.

Verbesserte Benziner

Für deutsche Privatkunden kam das Elektroauto trotz aller sichtlichen technischen Fortschritte nicht aus der Nischenrolle heraus. Zwar wurden um 1910 durchaus einige Elektromodelle angeboten, die im Zuge der sogenannten „Cycle-Car-Welle“ dem Publikum den Einstieg in die motorisierte Mobilität erleichtern sollten. Dennoch hatten die elektrischen Wagen und Wägelchen mit ihren im Kurzstreckenbetrieb guten Fahrleistungen keine Chance gegen die zunehmend verbesserten Benziner. Zudem wuchs die Anzahl kleiner Taxiunternehmen, die im Zweimannbetrieb die steigende Nachfrage profitabel zu bedienen hofften, rapide an. Allerdings lohnte sich für sie der auf Zentralgaragen angewiesene Betrieb von E-Taxis nicht. 1912 waren von den 2200 Berliner Kraftfahrzeug-Droschken nur ein Achtel elektrisch unterwegs. Ab 1914 zerstörte der Erste Weltkrieg auch die E-Mobilitäts-Träume.

In der Weimarer Republik setzten nur mehr einige Behörden und Firmen auf die Elektromobilität (vor allem die Post, Feuerwehr und Ambulanzen). Zu Beginn der 1930er-Jahre befuhren rund 20 000 E-Fahrzeuge die Fabrikgelände und öffentlichen Straßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg befassten sich einige wenige Hersteller fast ausschließlich mit der Weiterentwicklung kleiner elektromobiler Nutzfahrzeuge für Logistikbetriebe, Produktionswerke und die Freizeitindustrie. Erst seit Mitte der 2010er-Jahre kommen zunehmend – allerdings vergleichsweise teure – Elektro-Transporter und -Lkws in den Verkehr.

Der Verkehr mit Autos (und Krafträdern) hat in Deutschland einen Anteil an der gesamten Personenverkehrsleistung von gut 80 Prozent. Das Automobil ist trotz aller Klima- und Umweltschutzforderungen offenbar nach wie vor ein sehr begehrter Konsum- und Gebrauchsgegenstand. Zur Zeit fahren und stehen 60 Millionen Autos herum, die hierzulande zugelassen worden sind. Die allermeisten mit Motoren, die für fossile Kraftstoffe ausgelegt sind und deren Verkauf ab 2035 untersagt sein soll. Die Frage, ob zur Verkehrs- beziehungsweise Mobilitätswende nicht auch die, sagen wir, Halbierung des Kraftfahrzeugbestandes zugunsten von klimaschonenden öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bahn und Bus sowie Fahrrädern gehört, gehört auch in dieses Bild.

Wird es gelingen, den Verbrennungsmotor wirklich im vorgesehenen Zeitraum von den deutschen Straßen zu verbannen? Als Fahrzeugantrieb, das stand vor 125 Jahren fest, eigneten sich Dampfmaschinen, Gas- und Elektromotoren. Das Rennen machten bekanntlich der Otto- und der Dieselmotor, und das war für die Umwelt keine gute Entwicklung. Ob der umweltfreundlichere und heute politisch favorisierte E-Antrieb aber tatsächlich dominant die Zukunft der Automobilität bestimmt – wer weiß? 

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