Dicht am Leben

Nástio Mosquitos neuste Tracks

Was ein Künstler macht, ist Kunst. Oder ist es umgekehrt? Egal. 0 (sprich: Zero) mit sechs „Gestures“ genannten Tracks (Gesten, Gebärden oder vielleicht besser Haltungen?) kommt groovy, bis an die Easy-Listening-Grenze gefällig und sogar hymnisch daher, aber ganz ohne Bedeutungsschwere. Vitales Ganzkörpergefühl und Pulsen dominieren. Die Gestures oszillieren zwischen Jazz, Afrobeat und Dub. Prägend sind eleganter, fetter Bass, Percussion, ein vielfarbiges Saxophon und schillernder Chorgesang.

Der in Angola geborene Nástio Mosquito, der in Gent lebt und in der Kunstszene prominent mitspielt (MoMA/New York, Tate Modern/London, Biennale/Venedig; in Kassel war er auch), schließt mit 0 seine 2014 begonnene Empowerment of a Generation-Vinyltrilogie. Er hat über die Jahre viel Material gesammelt und sich für das Album mit etlichen Weggefährten zusammengetan, darunter dem Saxophonisten und Arrangeur João Cabrita aus Portugal, dem dänischen Soundkünstler Anders Filipsen und dem Songwriter und Performer Ndubuisi „Ndu“ Okwumabua aus Kanada, der nigerianische Eltern hat. Mosquito, zu dessen Stärken überraschende Sprach- und Gedankenarbeit gehört, verzichtet auf 0 indes weitgehend auf spoken words. Die nur wenigen montierten Partien haben daher umso mehr Gewicht. Das Dance-trächtige Intro eröffnet die Frage „So, you are ready to eat?“. Basal körperlich bleibt es auch, selbst wo die Haltung mystisch wird: „It’s a curious thing, the idea, we are not narrated, we are a phenomenon – it’s the process of things.“ 

Da schließt das alles tragende Motto in Gesture 4 an: „Curiosity of observation or possible description – with no judgement“. Es geht um offenes Erkunden von Existenz, rein gar nicht identitätsverkämpft wie sonst so nervend oft in jüngster Kunst. Gewitzte Ausgangsfragen, die das Album wie den Hörer weiten – im Sport hieße es dehnen –, nehmen hier eine philosophische Wendung, aber tanzbar, gleichsam beckennah. So entfaltet 0 seine musikalische Textur: versiert, leicht und triftig. Dubreggae rollt, ohne auch nur einen Halm zu beugen. Ska-Bläser steigen auf, beschwingt, nicht geschmettert. Und sogar wenn es sphärisch wird, ein Yeah-Yeah-Chor schwelgt, hält Bassbeat den Körperkurs. Binär-starre und daher unfruchtbare Dialektik, deren Wahrheitsfuror tötet, spielt ebensowenig eine Rolle wie das moralistische Zählen von Hautpigmenten. Dazu passt der Nullpunkt-Titel. Hier geht es menschheitlich zu, konzentriert auf jenen für alle zeitlich begrenzten Raum von Leben. Mitunter ja drängende Randfragen nach dem Danach und Davor fallen dabei nicht hinten runter. So fügen sich die Gestures zu einem Ritual der Besinnung. Auf seiner Homepage und erst recht in Interviews setzt der sprudelnde Kreative zwar reichlich Wörter hinzu, doch das anregende Album spricht da ganz für sich. Kunst, ganz dicht am Leben.

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