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Hip-Hop und die Theologie

Hip-Hop: Er ist nicht nur eines der meistgehörten Musikgenres, sondern auch eine der einflussreichsten Jugendkulturen, die unsere Mode, Sprache, Wahrnehmung und sogar Denkweisen prägt. Dennoch erfolgt die Auseinandersetzung mit ihm in der deutschsprachigen Theologie eher verhalten. Ganz anders verhält es sich in den Vereinigten Staaten. Dort haben sich die so genannten Hip Hop Studies bereits einen festen Platz im akademischen Diskurs gesichert und auch das Forschungsfeld Hip Hop and Religion kann auf eine nahezu 35-jährige Historie zurückblicken. Um in Sachen Diskursfähigkeit aufzuholen, lohnt es sich also, auf die andere Seite des Teichs zu blicken und bei den Profis anzufragen, was Theolog:innen über Hip-Hop lernen und aus unserer Perspektive zur Auseinandersetzung mit ihm beitragen können. Einen guten Einstieg hierzu liefert Alejandro Navas Monografie Street Scriptures: Between God and Hip-Hop.

In den sechs Kapiteln dieses englischsprachigen Buches – nach seinem 2018-Werk In Search of Soul: Hip-Hop, Literature and Religion immerhin die zweite Monografie, in der sich Nava explizit mit diesem Thema auseinandersetzt – setzt sich der Professor für Religious Studies aus theologischer Perspektive mit Hip-Hop auseinander. Im ersten Kapitel legt der Autor begriffliche wie methodische Grundsteine und zeigt auf, wie die Beschäftigung mit Hip-Hop für eine gegenwärtige Theologie ebenso fruchtbar sein kann wie die Beschäftigung mit Theologie für die Hip Hop Studies. Anschließend führt Nava in Kapitel zwei in die prominentesten Subgenres des Hip-Hops ein und zeigt, wodurch sich diese ästhetisch auszeichnen. Die eigentliche theologische Auseinandersetzung beginnt im Kapitel drei, in dem Nava vier Schlüsselfiguren – Lauryn Hill, Chance the Rapper, Jay Electronica und Tupac – als „Prophet:innen“ des Hip-Hop hervorhebt. Indem sie „Orte, die üblicherweise ghettoisiert und herabgesetzt werden – das Ghetto, die Hood, die Straße, den Slum, das Barrio – als etwas Würdevolles präsentieren und unansehnliche Zustände in etwas Wunderschönes verwandeln“, durchbrechen sie bestehende Wahrnehmungsmuster und bahnen poetisch einen Weg für die göttliche Wahrheit. Im vierten Kapitel vertieft Nava diese Darstellungen durch eine intensive Auseinandersetzung mit Kendrick Lamar, einem der einflussreichsten Gegenwartskünstlern und seiner „Theologie“. In den letzten beiden Kapiteln richtet Nava seinen Blick auf Hip-Hop aus dem globalen Süden, erläutert, wie Subgenres wie etwa der Reggaeton den Klang des Genres beeinflussen und welche theologischen Nuancen in Werken von Latinx- und Chican@-Hip-Hop-Künstler:innen zum Vorschein kommen.

Drei Aspekte sind an Navas Werk besonders hervorzuheben. An erster Stelle steht die Sprache, die nicht nur fesselnd, sondern bisweilen geradezu poetisch ist, ohne dabei an inhaltlicher Schärfe zu verlieren. Zweitens beeindruckt, dass Nava nicht nur die Lyrics, sondern auch den Klang, Rhythmus, Tänze und Bewegungen des Hip-Hops in seine theologischen Reflexionen einfließen lässt – ein Ansatz, der sich erfrischend von den üblichen textlastigen Betrachtungen abhebt. Drittens verblüfft die beeindruckende Bandbreite an Subgenres und Künstler:innen sowie theologischen Traditionen und Denkansätzen, die Nava in seine Überlegungen integriert und die das Werk facettenreich und tiefgründig gestalten. Alles in allem bietet sich Street Scriptures als Nachhilfewerk für die deutschsprachige Theologie an, das sowohl für fach- wie genrefremde, wie auch für Personen mit Hip-Hop- und Theologievorkenntnissen spannende Erkenntnisse bereithält.

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Foto: privat

Max Tretter

Max Tretter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.


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