Noch eine Runde

Ein Bürgerrat soll über eine Dienstpflicht für junge Menschen beraten. Ist das eine gute Idee?
Foto: privat

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD), hat sich in dieser Woche dafür ausgesprochen, die Debatte über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht im Deutschen Bundestag zu führen. Der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius (SPD), lässt eine Rückkehr zur Praxis der Wehrpflicht im Rahmen der sicherheitspolitischen Neuorientierung der Bundesregierung gegenwärtig im eigenen Hause prüfen. Högl warb in einem Gastbeitrag für Table.Media (€) außerdem dafür, die Wehrpflichtdebatte mit einer Diskussion über eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen zu verknüpfen. Die soll bestenfalls nicht allein im Parlament, sondern auch in einem vom Bundestag berufenen Bürgerrat (sic!) geführt werden: „Das Thema gehört in den Bundestag und in die Mitte unserer Gesellschaft. Ein Bürgerrat verbindet beides vortrefflich. Er ist wie geschaffen dafür und könnte Bewegung in die Debatte bringen.“

Wir erleben also den erneuten Aufguss zweier Debatten, die beide unbestritten wichtig sind, die aber günstiger Weise getrennt voneinander betrachtet werden sollten. Denn so wie es jetzt (schon wieder) ausschaut, werden die Interessen unterschiedlicher Akteur:innen unsachgemäß vermischt. Ob man so den jeweils verschiedenen Problemen von Freiwilligendiensten und Bundeswehr gerecht wird, darf im Rückblick auf die routiniert wiederkehrenden Dienstpflicht-Diskussionen der vergangenen Jahre bezweifelt werden.

Ein Bürgerrat für die Dienstpflicht?

Ich habe überhaupt nichts gegen jene Bürgerräte, die insbesondere von der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas (SPD), als Mittel propagiert werden, den garstigen Graben zwischen der Bevölkerung und ihren parlamentarischen Repräsentant:innen in Berlin zu überbrücken.

Ein Bürger:innenrat könnte dem Mangel an Kreativität abhelfen, den die Politik angesichts der Probleme als ursächlich für ihr Nicht-Handeln reklamiert. Konservativ tickende Akteur:innen fordern eine solche Pflicht seit Jahren immer wieder, ohne dass sich irgendwas in diese Richtung bewegen würde. Man könnte darüber ins Grübeln geraten, was die in ihrer Mehrheit von eher konservativen Akteur:innen dominierte Politik in Deutschland eigentlich außer einer vorgeblichen Ratslosigkeit von ihrer Einführung abhält. Zur Verlängerung einer fruchtlosen Debatte ist ein Bürger:innenrat jedenfalls ein wunderbar geeignetes Instrument. Man nimmt sich noch einmal Zeit, dreht noch eine Runde. 

Die Empfehlungen der Bürger:innen tatsächlich umzusetzen, dazu verpflichtet sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages selbstverständlich nicht. Schauen wir in den kommenden Monaten genau darauf, was aus den Empfehlungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ wird, die seit Januar 2024 vorliegen. Punkt 1 auf der Liste der Wünsche: Bundesweit soll an allen Kindergärten und Schulen kostenfreies und gesundes Mittagessen angeboten werden. Es braucht wenig Phantasie dazu sich auszumalen, was daraus im Kreise der Ampel-Koalitionäre allein und erst recht im Konzert mit den für die Bildungseinrichtungen zuständigen Ländern wird. 

Sollte also ein Bürger:innenrat zur Dienstpflicht junger Menschen nur dazu gebraucht werden, Luft aus der – identitätspolitisch aufgeladenen – Debatte zu nehmen, Zeit zu gewinnen oder das Thema irgendwie einschlafen zu lassen, kann man sich das bitte auch sparen. So viel Ehrlichkeit wünsche ich mir von unseren Abgeordneten. 

Es liegt (nicht nur) am Geld

Das Hauptproblem der bereits bestehenden Freiwilligendienste ist die mangelnde finanzielle Ausstattung der Dienste, in der sich die politische Geringschätzung von FSJ & Co. widerspiegelt. Die Freiwilligendienste müssten finanziell deutlich besser aufgestellt werden. In diesem Winter wurde aber stattdessen im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zwischen den Regierungsparteien darum gerungen, sie wenigstens nicht schlechter zu stellen als bisher. Freiwilligendienstleistende müssten zumindest so gut entlohnt werden, dass sie sich das Wohnen und Leben am Einsatzort auch unabhängig vom Elternhaus leisten können. Sie sind – ich habe es 2021 hier in den z(w)eitzeichen schon einmal geschrieben – keine billigen Arbeitskräfte für das Sozial- und Gesundheitssystem. 

Von hier aus könnte man für die Gestaltung einer allgemeinen Dienstpflicht mindestens die Einsicht mitnehmen, dass ein ziviler Dienst gegenüber einer Tätigkeit bei der Bundeswehr nicht geringer entlohnt werden darf. Sonst würden sich in der Bundeswehr zwangsläufig jene Jugendlichen sammeln, die sich einen anderen Dienst nicht leisten können. Hier setzt das Grundgesetz in Artikel 12 schon einen Rahmen, der unbedingt zu achten ist.

Was uns zum Nachwuchsproblem unserer Streitkräfte bringt: „Wenn alle jungen Menschen ein Mal Post von der Bundeswehr bekommen, dann würde sich jede und jeder aktiv mit der Bundeswehr auseinandersetzen“, hofft Högl ein wenig naiv. Abgesehen davon, dass die Bundeswehr heute schon durch die Einladung von Verbindungsoffizieren in Schulen und durch analoge und digitale Werbung von erheblichem Ausmaß durchaus nicht unsichtbar ist, darf bezweifelt werden, dass eine einmalige Postzusendung die „Verankerung“ der Bundeswehr „in unserer Gesellschaft“ spürbar verbessern würde. Ich war im Jahr 2005 noch auf einem Kreiswehrersatzamt zu Gast, um mich mustern zu lassen. Dazu habe ich auch eine schriftliche, verbindliche „Einladung“ erhalten. Die Sehnsucht nach dem Dienst in Uniform wurde dadurch allerdings nicht entzündet.

Vor drei Jahren startete die Bundeswehr noch unter der Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihrem Staatssekretär Peter Tauber (CDU) das Pilotprojekt des „Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz“: Ein Dienst mit exzellenter Entlohnung, gerade im Vergleich zu den anderen Freiwilligendiensten, und ohne die Gefahr für die Wehrdienstleistenden, sich unverhofft auf einem Auslandseinsatz der Bundeswehr wiederzufinden. Was ist daraus eigentlich geworden? Und was kann man aus dem Pilotprojekt für die Gestaltung einer neuen Wehrpflicht lernen?

Vor allem doch wohl, dass es nicht am Geld allein liegt, dass die Jugend des Landes wenig Bock auf den Dienst in der Bundeswehr hat. Das Damoklesschwert eines drohenden Auslandseinsatz über den Häuptern der Wehrdienstleistenden ist nach dem Desaster Afghanistan zwar krachend zu Boden gefallen (eine gründliche, öffentliche Aufarbeitung - wie 2021 noch erhofft - hat übrigens nicht stattgefunden). Aber insbesondere der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die neuen Verpflichtungen der Bundeswehr im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung tragen das ihre dazu bei, dass junge Menschen sich gründlich überlegen, ob es für sie zum Beispiel in Frage kommt, für einige Monate oder Jahre an die NATO-Ostflanke zu ziehen. 

Die Probleme von Freiwilligendiensten und Bundeswehr sind also durchaus unterschiedlich: FSJ, FÖJ & Co. mangelt es nicht an Interessent:innen, sondern am Geld. Die Bundeswehr hat Geld, aber zu wenig Interessent:innen.

Wie werden junge Menschen „kriegstüchtig“?

Die Wehrpflichtdebatte wird in einem erheblichen Maße unehrlich geführt. Wenn eine Reform – ehrlicherweise - dazu führen soll, dass einfach mehr junge Menschen in der Bundeswehr dienen, dann muss der Auswahlprozess dementsprechend gestaltet werden. Weil man hierzulande auch trotz der „Zeitenwende“ nicht zum Dienst an der Waffe gezwungen werden darf, müssten also andere Motivationswerkzeuge zum Einsatz kommen. Mit kostenlosen Bahnfahrten in Uniform ist es da wohl nicht getan. 

Auch Studium oder Ausbildung bei der Bundeswehr haben in einer Gesellschaft, in der es an allen Ecken und Enden an Arbeits- und Fachkräften fehlt, in der junge Menschen sich also keineswegs über Jahre hinweg „verpflichten“ müssen, an Attraktivität eingebüßt. Die kundigeren BundesministerInnen der Verteidigung der vergangenen Jahre, insbesondere Ursula von der Leyen (CDU) und Pistorius, haben auch erkannt, dass Inklusivität und Familienfreundlichkeit der Streitkräfte zunehmend von größerer Bedeutung sind. Passiert ist dahingehend allerdings zu wenig.

Ich würde mich jedenfalls an Stelle der Bundeswehr nicht auf ein „Schwedisches Modell“ verlassen: Dass von den erwartbar wenigen tauglich gemusterten Jugendlichen genügend Willige den Weg in die Streitkräfte finden, halte ich für unwahrscheinlich. Das hat ja schon vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 nicht mehr funktioniert – und damals stand die Bundeswehr nicht an den Grenzen von Putins Russland. 

Man könnte alternativ zu handfesten wirtschaftlichen Vorteilen für Wehrdienstleistende sich allerdings darin üben, die Wehrpflicht meta-politisch, also von rechts, aufzuladen. Erste Anzeichen dafür sind bei Pistorius und konservativen Akteuren schon zu sehen. Selbstverständlich kann man den Wehrdienst im Rahmen einer neuen „Kriegstüchtigkeit“ (Pistorius) neu erfinden, ob man so allerdings - wie gewünscht - europäisch-liberal gesinnte Wehrwillige anzieht, wage ich zu bezweifeln. Für einen stumpfen Heroismus, der auf eine martialische Stabilisierung fragwürdig gewordener Männlichkeitsbilder abzielt, sind junge Menschen gleichwohl auch in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts empfänglich. 

Man darf gespannt sein, wie ein Bürger:innenrat Pistorius Wunsch nach einem kriegstüchtigen Land mit dem Wunsch nach einer allgemeinen Dienstpflicht im Kulturbetrieb, Sozial- und Gesundheitswesen zusammendenkt. Dafür braucht man wirklich eine Menge Kreativität.

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