Zwischen den Zeiten

Die Raunächte der Kirche
Foto: Christian Lademann

Ich habe sie immer schon geliebt, diese geheimnisvollen Tage zwischen den Jahren. Wenn die Zeit fast bis in die Bedeutungslosigkeit verschwindet, nur die nötigsten Mühlen des Alltags mahlen und wenn die Kalorien der übriggebliebenen Weihnachtsschokolade einfach nicht zählen. Einen melancholischen Zug haben diese Tage, auch den mag ich: zurückschauen und lassen, was ich nicht festhalten kann. Mich für das Neue bereit machen, was aus der Zukunft auf mich zukommt. All die Sehnsüchte und Ängste spüren, die hier wohnen, irgendwo zwischen den Jahren. 

In diesem Jahr frage ich mich, ob die Kirche nicht gerade ihre Raunächte erlebt, eine Zeit des Dazwischen. Die Raunächte sind Entscheidungszeiten, in denen sich den alten Überlieferungen nach die Zukunft deuten lässt. Manchmal weiß man in diesen Nächten gar nicht genau, ob man noch im alten oder schon im neuen Jahr ist. Es ist eine ungewisse Zeit. Das Wetter in dieser Zwischenzeit deutet die Wetterlage an, die kommen wird. In der „Wilden Jagd“ preschen allerlei Geister durch die Dunkelheit. Wie alle Übergänge gelten auch die Raunächte als gefährlich und trotzdem liegt genau hier die Wende zur größten Chance, zum Sprung ins Neue. Es ist eine Zeit der Wahrsagerei. Manche sind sich sicher den Untergang besingen zu können und andere flüstern leise von neuen Aufbrüchen. Und irgendwie ist uns allen in der Kirche klar, dass es nicht genügen wird, in dieser Zwischenzeit einfach nur keine Wäsche zu waschen. 

Kürzer als gedacht

Die Veränderungen der Kirche sind keine ferne Zukunftsmusik mehr, die Umbildungsprozesse sind im vollen Gange. Von einer Zwischen-den-Jahren-Entschleunigung ist nicht viel zu spüren. Die Raunächte der Kirche sind ruhelose Nächte. Die Maschinerien laufen auf allen Ebenen mit voller Kraft und überall gibt es Zeichen der Erschöpfung. Manchmal wünsche ich mir die Göttin Percht herbei, die mit Adlersaugen darüber wacht, dass in dieser Zwischenzeit wirklich mal die Spinnräder stillstehen, damit Raum ist für das Neue, das werden kann. 

Immer ist diese Zeit des Dazwischen kürzer als gedacht. Flüchtig ist sie. Kaum hat diese Zeit jenseits der Zeit begonnen, ist sie auch schon wieder vorbei. Ich glaube, das werden wir in den Raunächten der Kirche auch erleben. Die Zeitfenster, in denen wir dem Neuen Raum geben können, werden kurz sein. Räume für Gestaltungsfreiheit werden sich schnell schließen, wenn wir sie jetzt nicht bewahren. Jetzt ist die Zeit zusammenzukommen und uns die Geschichten zu erzählen von dem, was werden soll. Ich frage mich, was es eigentlich braucht, um in diesem Dazwischen wirklich den Mut für Veränderungen zu finden. 

Gurke oder Flasche

Die Raunächte waren traditionell die Zeit, um Orakel zu befragen. Das Bleigießen aus der Silvesternacht stammt aus diesem Brauchtum. Erhitztes Blei in kaltes Wasser gießen und dann das Bild erkennen, was die Zukunft ankündigt. Als ich Kind war haben wir das gemacht am Silvesterabend und dann lachend darüber gestritten, ob das, was bei meinem Stück Blei sichtbar wurde, eher eine Flasche oder doch eine Gurke sein könnte. 

Das Bleigießen ist ein kleines Relikt des tiefen Wunsches nach Bildern, die wir brauchen, um in eine noch ungewisse Zukunft zu gehen. Auch die Kirche braucht solche Zukunftsbilder in ihren Raunächten. Im Moment fehlen solche Bilder. In Synodalentscheidungen zu finanziellen Ressourcen geht es um Prioritäten und Posterioritäten, doch dabei fehlen Zukunftsbilder. Dieses Zaudern, konkrete Bilder in den Raum zu stellen und zu diskutieren, ist verständlich. Groß ist die Gefahr, dass wir uns in der Frage nach dem guten und richtigen Zukunftsbild verkämpfen und dann gar nicht mehr ins Handeln kommen. Und doch werden wir merken, dass es nicht mehr lange ohne die Verständigung auf tragfähige Zukunftsbilder gehen wird, die unser kirchliches Handeln leiten. Für mich wären die Kasualisierung der Kirche ein ganz wesentliches Element eines solchen Bildes und wahrscheinlich gäbe es so manche, die mit mir darüber streiten würden. 

Und dass am Ende alles dann doch nochmal anders wird als in dem Zukunftsbild, das ist ja klar. So wie ja auch meine aus Blei gegossene Flasche nicht alles abgebildet hat, was meine Zukunft im neuen Jahr bereithielt. Wie gut, dass ich damals entschieden daran festgehalten habe, dass es eine Flasche ist und keine Gurke. Bei einer Gurke droht man vom rechten Weg abzukommen. Eine Flasche hingegen verheißt fröhliche Zeiten. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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