Das Buch ist so etwas wie ein Vermächtnis des ersten EKD-Friedensbeauftragten, der sein kirchliches Nebenamt 2008 noch unter dem Ratsvorsitz von Wolfgang Huber begann und 2021 unter Heinrich Bedford-Strohm beendete. Zuerst: Renke Brahms geht das Leitbild des Gerechten Friedens mit der Zeit der Reformation an. Trotz des historischen Abstands, Martin Luther bestimmt die Fixpunkte Krieg und Frieden bis heute. Sein simul iustus et peccator – ein Dreh- und Angelpunkt: So zitiert Brahms die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus, „dass, egal wie wir uns positionieren, wir um Schuld und Sühne nicht herumkommen“. Der Evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg sagt: Der Mensch sei „Gerechter und Sünder zugleich, er sei zu allem fähig und verbessere sich nicht ethisch über die Jahrhunderte. „Frieden, so wünschenswert er wäre, ist nicht der Grundzustand auf dieser Welt.“
Brahms kommt zum Schluss, dass es gerechte Kriege heute nicht mehr geben dürfe. Im Blick auf den durch Russland in die Ukraine hineingetragenen Krieg will er sich ganz zu Recht mit Dietrich Bonhoeffer auf Beten, Tun des Gerechten und Warten auf Gottes Zeit verlassen. Das Eingeständnis, dass „wir Christenmenschen und Verantwortliche in der EKD… die Situation falsch eingeschätzt haben“ und „so nicht auf die Gefahr eines Krieges unter Putins Herrschaft … gewarnt haben“, gehört zu den beeindruckend ehrlichen Passagen im Essay. Der Autor sieht nicht nur eine friedenstheologische Herausforderung, sondern auch einen Ruf zum Handeln und zur Umkehr. Doch den Schritt zu einer Neuformulierung der EKD-Friedensdenkschrift von 2007 oder einer grundlegenden Reform der Friedensethik geht Brahms dann nicht.
In der friedensethischen Debatte innerhalb der EKD spielen Waffenlieferungen an die Ukraine unter mehreren Gesichtspunkten eine wichtige Rolle. Mit Recht weist der vormalige Friedensbeauftragte auf die ausgesprochen widersprüchlichen Entscheidungen der Bundesregierung hin. Einer offiziell restriktiven Rüstungspolitik stehen Waffenexporte auch in Krisenregionen gegenüber. Die kirchlichen Positionen zur rechtserhaltenden Gewalt könnten nicht „ermäßigt“ werden, sie bleiben immer neu friedensethische Dilemmata. Bei solch schwieriger Gesamtlage entscheidet sich Brahms allerdings doch dafür, der Aggression Russlands mit einem Waffensupport und Wirtschaftssanktionen entgegenzutreten, und macht damit deutlich, dass er von der entgegengesetzten Position seines Nachfolgers im EKD-Amt, Bischof Friedrich Kramer, abweicht.
Zum Schluss seiner Positionierungen setzt sich Brahms für eine gesamtpolitische Neuorientierung ein: „Investitionen in Klimaneutralität, energiepolitische Wende, wirtschaftliche Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit“ seien die wirklich zwingenden Zeitenwenden – „um es theologisch zu sagen: der Kairos“, so Brahms.
Wie weiter in der Friedensethik? Der seit 2021 im Ruhestand lebende Pfarrer und Theologische Direktor der Evangelischen Wittenbergstiftung, der im Hauptamt Leitender Geistlicher der Bremischen Evangelischen Kirche war, plädiert für mehr Ehrlichkeit und die Befragung des Vorranges der Gewaltfreiheit und der ultima ratio als rechtserhaltender Gewalt. Er plädiert für eine wirklich offene Diskussion und macht darauf aufmerksam, dass gerade die Kirche mit ihrer Friedensethik sich mit den vielen Toten auseinandersetzen müsse, die der neue Krieg in Europa mit sich bringe. Die neue Rolle der Bundeswehr mit ihrem Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung gelte es, in den friedensethischen Diskurs aufzunehmen. Tatsächlich wäre damit der Militärseelsorge der Kirchen und ihrer Rolle in den Streitkräften sehr gedient.
Roger Töpelmann
Dr. Roger Töpelmann ist Pfarrer i.R. Er war bis 2020 u.a. Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs in Berlin.