Bitteres Ende

Warum Annette Kurschus’ Rücktritt unvermeidlich war

Es war ein bedrückender Moment, als Annette Kurschus am 20. November von beiden leitenden Ämtern zurücktrat: vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden und vom Amt der Präses der westfälischen Landeskirche. Doch in den Tagen nach der EKD-Synodaltagung in Ulm hatte sich immer mehr öffentlicher Druck aufgebaut, der diesen Schritt unvermeidlich machte. Warum? In Ulm waren Vorwürfe gegen Kurschus öffentlich geworden, sie habe in einem Fall sexualisierter Gewalt in ihrem früheren Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein, wo sie über zwei Jahrzehnte als Pfarrerin tätig war, Hinweise von Betroffenen auf Missbrauchstaten nicht ordnungsgemäß weitergegeben. Kritisiert wurde in den ersten Tagen nach der Synode besonders ihr Umgang mit dem Fall, der kirchenintern seit Jahresbeginn bekannt war und den die Siegener Zeitung öffentlich gemacht hatte. Ein Fall, dessen besondere Brisanz darin besteht, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen sehr engen Bekannten der Ratsvorsitzenden und Präses handelte. Da die Staatsanwaltschaft in Siegen noch am Anfang der Ermittlungen steht, ist eine weitere Bewertung dieses Falles zur Zeit nicht möglich.

In ihrer Erklärung anlässlich des Rücktritts sagte Kurschus, dass das „öffentliche Vertrauen“ in ihre Person Schaden genommen habe, und zwar gerade in einem Bereich, den sie beim Amtsantritt als EKD-Ratsvorsitzende 2021 ausdrücklich zur „Chefinnensache“ erklärt habe, nämlich der Aufklärung und Prävention sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche. Gleichwohl sagte Kurschus am Ende: „Mit Gott und mir selbst bin ich im Reinen, und so gehe ich sehr traurig, aber getrost und aufrecht.“

Der Rücktritt von Annette Kurschus ist für die evangelische Kirche ein herber Verlust. Denn die evangelische Kirche verliert mit ihr eine öffentliche Stimme, die immer wieder mit ruhiger, besonnener und dadurch in sehr besonderer Weise wortmächtig den christlichen Glauben mit den Erfordernissen unserer Zeit zusammensprechen konnte. Im Ton wohltuend leise, in der Botschaft immer klar und entschlossen. Entscheidende Fehler, besonders in der Kommunikation, machten aber den Rücktritt der 60-Jährigen unausweichlich. Schade, ein sehr bitteres Ende! Und dazu viele Fragen, die offenbleiben.

Mit dem Rücktritt von Kurschus übernimmt nun die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs bis auf weiteres kommissarisch den EKD-Ratsvorsitz. Ansonsten ist die weitere Entwicklung auch nach dem endgültigen Abschluss der im November unterbrochenen EKD-Synode derzeit nicht absehbar.

Eins ist klar: Die auf allen kirchlichen Ebenen bis zuletzt misslungene oder zumindest ungeschickte Kommunikation hat wesentlich mehr als das Vorhandensein gesicherter Erkenntnisse über den konkreten Siegener Missbrauchsfall zu diesem Rücktritt von Annette Kurschus geführt. Auch hat es in diesem Zusammenhang Verwerfungen zwischen der EKD und der westfälischen Landeskirche gegeben. Dies alles harrt einer gründlichen Aufarbeitung, deren Verlauf und Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Einen ausführlichen Artikel zum Rücktritt von Annette Kurschus mit dem Link zum Text der Abschiedsrede finden Sie hier

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