Den Frieden verfehlt

Es ist Gottes Feindesliebe, durch die wir als „Gottes Kontrahenten“ umkehren können
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Thema verfehlt“, so könnte man unter die Veröffentlichungen schreiben, die in den letzten Jahren von der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie im Rheinland zur Friedensethik erschienen sind. Warum? Weil dabei das ausgesprochen christliche Friedensverständnis nur ganz am Rande vorkommt. Was ist damit gemeint?

Wurzelnd in jüdischen Traditionen wird der Friede im Neuen Testament weder als ein Ziel noch als ein Weg und erst recht nicht als ein Ideal verstanden. Der Friede begegnet zwischen Menschen: Der Friede ist personal (Eugen Biser). Er hat ein Gesicht und trägt einen Namen: Jesus von Nazareth. Das ist die Entdeckung der jungen Christenheit (Eph 2,14), angeregt durch Überlieferungen, die in unseren Kirchen besonders in der Adventszeit und zu Weihnachten erklingen.

Die Botschaft wird vernommen, aber verbleibt merkwürdig fremd. In Jes 9,5 und Mi 5,4 ist der Friede ein Name für einen Menschen, vgl. Ri 6,24. Das ist kaum nachvollziehbar. Zu stark ist die Tradition, die den Frieden als ein Ziel oder ein Ideal beschreibt. Aber damit wird der Friede der Macht und Herrschaft ausgeliefert. Dann wird der Friede vergewaltigt und zur Rechtfertigung von Kriegen und Gewalttaten missbraucht.

Die biblischen Botschaften öffnen den Blick dafür, zu entdecken, dass es um ein anderes Geschehen geht. Es hat mit Jesu Botschaft von Gottes neuer Welt zu tun. Das ist der Lebensbereich der Barmherzigkeit. Es geht um den Anbruch dieses Lebensbereiches, seinen Anfang mitten in unserer Realität. Wo immer sich dieses ergibt, gleich ob zwischen Zweien oder Mehreren: Dort ereignet sich der Friede, von dem Jesus spricht. Menschen können ihn leben, sofort, unabhängig davon, was sie zuvor getan oder unterlassen haben. Das gilt sogar, wenn Schändliches getan und etwas sträflich unterlassen wurde. Wo dieser Friede Jesu Raum greift, entsteht ein Zeugnis dafür, was menschliches Leben menschlich macht.

Zu Jesu Botschaft gehört das Doppelgebot der Liebe – liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst – und gehört die Feindesliebe. Sie darf nicht fehlen. Sonst müssten wir zum Beispiel die Geschichten von Jesu Begegnung mit dem Zöllner Zachäus (Lk 19) oder mit dem römischen Besatzungshauptmann (Mt 8) aus den Evangelien streichen. Feindesliebe macht uns gottgleich (Marco Hofheinz): „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lk 6,36). Wo sie entfällt, stehen Menschen in Gefahr, aus Gott einen Götzen und aus dem Glauben einen Kult zu machen. Durch Jesu Botschaft haben Menschen begriffen, dass es Gottes Feindesliebe ist, warum wir – als Gottes Kontrahenten – umkehren können, neu anfangen dürfen, als Verwundete heilen und selbst als Unleidliche in der Lage sind, das Leid anderer zu tragen.

Die Botschaft Jesu befähigt einen, empfindsam dafür zu werden, wo ich selbst dem Frieden – mit meinem Tun und dem was ich unterlasse – im Wege stehe und stand. Es geht um die Freiheit, der eigenen Schuld zu begegnen, und die Freiheit, sich der Bedürftigkeit in der Vergebungsbitte auszuliefern. Damit aber wird auch ein Weg erkennbar, der zum Feind führt, weil sichtbar wird, worin ich selbst von anderen als feindlich wahrgenommen werden kann. Dieser Perspektivwechsel vollzieht nach, was in der christlichen Theologie als die Kenosis Gottes und Theosis des Menschen verstanden wurde – die Selbsterniedrigung Gottes in dem Menschen Jesus von Nazareth und das Gott-gleich-Werden im Glauben in Christus. In der Selbsterniedrigung Gottes nimmt Gott die menschliche Perspektive ein, und in der Theosis werden wir in die Sicht Gottes hineingenommen, die die ganze Welt der Barmherzigkeit bedürftig erscheinen lässt. Denn Gottes Selbsterniedrigung schloss den Tod nicht aus, im Tod Jesu durch die römische Obrigkeit. Jesus wurde als Anführer einer Gemeinschaft beseitigt, die mit ihrer Feindesliebe und Grenzen überwindenden Geselligkeit für jegliches Besatzungsregime auf die Dauer unerträglich wird. Würde Jesu Feindesliebe im von den Römern besetzten Palästina Schule machen, würden sich Römer und Juden verbünden und die Besatzung würde zusammenbrechen. Das darf nicht Schule machen. Jesus musste von den Römern beseitigt werden.

Doch gerade unter den Freundinnen und Freunden Jesu wurde nach seinem Tode entdeckt, was jegliche Gewalt überwindet: Die Gegenwart Jesu zwischen denen, die sich einüben, nun in seinem Namen zu leben und zu reden und das Böse zu unterlassen, so wie sie es von ihm übernommen haben. Die Botschaft von Jesu Auferstehung vermittelt die Gegenwart Jesu. Seine Gemeinde bildet eine neue Sozialgestalt, wie es sie so in der Antike noch nicht gegeben hatte: Eine öffentliche Gemeinschaft von Männern und Frauen, Freien und Sklaven, jüdischen Menschen und den Anhängerinnen und Anhängern der damaligen Götter. Sie konnten in Jesu Geist auch in Gefahr und Unterdrückung wahrnehmen, was stärker als die Androhung des Todes ist: Die Barmherzigkeit ist nicht tot zu kriegen. Der Friede, den Jesus ermöglicht, ist unverzichtbar.

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Matthias-W. Engelke

Dr. Matthias-W. Engelke, geboren 1957, war viele Jahre Pfarrer, lebt in Köln und ist Mitglied im Ökumenischen Institut für  riedenstheologie.


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