„So Gott will“

Impressionen von der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises 2023
Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei Ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises für ihr Lebenswerk am 16. Oktober 2023 in der Bonner Schlosskirche.
Foto: epd
Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei Ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises für ihr Lebenswerk am 16. Oktober 2023 in der Bonner Schlosskirche.

Am gestrigen Montag wurden in Bonn Nathalie Schuler und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer mit dem Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet. Zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick war dabei und schildert seine Eindrücke aus der Bonner Schlosskirche. Sein Fazit: Gut, dass ich da war.

„Es ist noch Platz in der Arche, Platz in der Arche“, dieser geistliche Kinderlied-Ohrwurm befiel den interessierten Besucher, als er am gestrigen Montagvormittag gespannt die Bonner Schlosskirche betrat. Er hatte eher Schlangen vor den Eingängen erwartet, denn niemand Geringeres als das Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung, Luisa Neubauer, sollte an diesem Montag der „Ökumenische Predigtpreis“ verliehen werden und zwar für ihr Lebenswerk. Aber im Gegenteil: Es war entspannt ein Platz in der angenehm gefüllten, doch keineswegs überfüllten Kirche zu finden. Dort hatten sich – cum grano salis – etwa einhundert Menschen versammelt. Nun, ein Montagvormittag ist sicher kein Termin, den viele ermöglichen können.

Friedlich fiel die Herbstsonne in das Kirchenschiff des schönen Sakralbaus mit besonderer, wechselvoller Geschichte, als Orgel und Trompete mit festlichen Barockklängen eröffneten. Dann begann die Preisverleihung: Obwohl im Vorfeld natürlich immer nur von „La Neubauer“ und ihrem Lebenswerk die Rede gewesen war, sollte der zweite der beiden Predigtpreise nicht vergessen werden, der für „Die beste Predigt“ der vergangenen Saison. Den erhielt  Nathalie Schuler für die Predigt zu Johannes 1,19-28, der Selbstvorstellung Johannes des Täufers. Mit Recht! Wer diese keinesfalls lange Predigt liest (vielleicht elf, zwölf Minuten), bewundert die behutsame, präzise Sprache, den weiten Horizont, die Kraft der Gedanken.

Nathalie Schuler, altkatholische Theologin aus München, bei Ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises (Kategorie „Beste Predigt“) am 16. Oktober 2023 in der Bonner Schlosskirche.
Foto: epd

Nathalie Schuler (München) bei der Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises (Kategorie „Beste Predigt“) am 16. Oktober 2023 in der Bonner Schlosskirche.

Mit Recht angetan, ja begeistert, äußert sich Laudatorin Angela Rinn, Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar Herborn, und sie stellte Nathalie Schuler, eine Person, die in München außer altkatholischer Theologie, allgemeiner und vergleichender Literaturwissenschaft und Gender Studies auch griechische Philologie studiert hat, quasi unter den Segen Martin Luthers, als sie in ihrer Lobrede konstatierte: „Die Predigt führt uns allen vor Augen, was eine biblisch-theologisch fundierte Predigtkultur leisten kann. Nathalie Schuler hatte ins Zentrum der Predigt den Bibeltext gestellt, die Frage an Johannes den Täufer: „,Wer bist du? Was sagst du von dir selbst?‘ Sola scriptura hat Martin Luther das genannt.“

Funkelndes Taufwasser

Auch könne es niemanden „kalt lassen“, wenn Schuler „im Rückblick auf die eigene Taufe“ schildert, „dass noch Wasser funkelt und die Worte erklingen, die die Kraft hatten, mit neuem Leben zu erfüllen", so zitierte Rinn. Was für ein schönes, tröstendes, eröffnendes Wortbild! Auf jeden Fall habe Nathalie Schulers Predigt laut der Herborner Professorin und EKD-Synodalen Rinn „sehr zu Recht in diesem Jahr den Predigtpreis gewonnen. Weil sie uns Mut macht, Hoffnung schenkt und Glaubensgewissheit; weil sie uns mit ihren Worten auch die Erinnerung an das Wasser, mit dem wir getauft worden sind, funkeln lässt.“

Dem ist wenig hinzuzufügen, denn in der Tat kann die Predigt von Nathalie Schuler rhetorisch, geistlich, literarisch und seelsorglich als Juwel gelten. Ein Juwel, das auch erfahrenen Prediger:innen viele gute Anstiftungen und Ideen zum produktiv-geschwisterlichen Gedankendiebstahl liefern kann! Und davon abgesehen lohnt es sich, den weiteren Weg von Nathalie Schuler im Auge zu behalten. Nach Trompete und Orgel ging es nun zu dem weiteren Ökumenischen Predigtpreis, dessen Bekanntgabe Ende September für harsche Reaktionen gesorgt hatte, den Preis für Luisa Neubauer und ihr „Lebenswerk“.

Diese Nachricht hatte aufhorchen lassen. Ja, vor knapp zwei Jahren hatte eine Predigt der 27-jährigen Umwelt­aktivistin im Berliner Dom für Aufregung gesorgt. Einmal durch „das Dass“ einer Predigt mit Neu­bauer überhaupt und dann durch zwei Sätze dieser Predigt, die schon vor zwei Jahren eine breitere Öffentlichkeit erreicht und erregt hatten: „Gott wird uns nicht retten. Das müssen wir selbst tun.“ Waaas? Dafür gibt‘s einen Predigtpreis?!? Und dann gar einen für das Lebenswerk?

„Peinlicher Schrei nach Aufmerksamkeit“?

Für die Nachrichtenagentur IDEA war der Fall klar: „Die Vergabe an Luisa Neubauer ist ein Missgriff und ein peinlicher Schrei nach öffentlicher Aufmerksamkeit.“ Der Autor meinte sogar, feststellen zu müssen, dass Neubauer mit der „Vermittlung des christlichen Glaubens ungefähr so viel am Hut (habe) wie ein Laubfrosch mit der Hochsee“. Und dann „Gott wird uns nicht retten!“ Also „(d)eutlicher hätte sie (Neubauer) kaum ausdrücken können, wie wenig sie mit christlichem Glauben anfangen kann.“

Dieses Urteil erscheint sehr vorschnell, besonders, wenn man sich die Mühe macht, Neubauers Berliner Predigt in Gänze zu lesen! Aber auch ihr Laudator, der Bonner Professor für Praktische Theologie Eberhard Hauschildt, wusste diese vordergründigen Vorwürfe im Blick auf das inkriminierte Zitat zu entkräften. Der Satz über einen Gott, der an­geblich nicht helfen könne, bleibe ja nicht stehen, so Hauschildt, denn Neubauer sage in ihrer Predigt danach ja dies: „Wir werden uns retten, weil wir nicht den Glauben verlieren.“

Und überhaupt! Wichtiger als diese Wortklaubereien oberflächlicher Kritiker zu widerlegen war Hauschildt, das prophetische Potenzial des Wirkens Neubauers in unserer Gesellschaft zu skizzieren und zu reflektieren. Dazu zitierte er aus dem Buch Gegen die Ohnmacht, das Luisa Neubauer 2022 mit ihrer fast 90-jährigen Großmutter veröffentlicht hat, folgende Passage am Schluss des Bandes: „Wir haben uns einer Sache verschrieben, Luisa, in der wir immer wieder verlieren werden. Aber wir dürfen unsere Hoffnung nicht auf einzelne Kämpfe verschwenden. Oder an einzelne Regierungen oder einen guten Politiker. […] Es ist an uns, jetzt zu entscheiden, nicht länger so zu tun, als wäre alles nur halb so wild. Sondern zu handeln, als ginge es um alles. Denn das tut es.“

Besonders der Term „zu handeln, als ginge es um alles“ rief beim Laudator gewichtige Stränge der prophetischen und auch der neutestamentlichen Tradition auf, wie sie zum Beispiel der Apostel Paulus im 7. Kapitel des Korintherbriefes erwähnt. „Zu handeln als ginge es um alles.“ Das sei, so Hauschildt eine „mehrdeutige“ Formulierung, die aber gerade darin „realistisch“ sei. Hauschildt: „Das eigene Selbstbild im Handeln ist nicht an den Erfolg gebunden. Es ist nur ein Handeln, als ob es um alles gehen würde. Aber das relativiert die Gewichtigkeit der Entscheidung darüber, was ich jetzt tun könnte, gerade überhaupt nicht, denn es geht darin immer auch sehr wohl um alles.“ Das, so Hauschildt, sei übrigens „eine Art von Logik“, die sich auch in jener bekannten Passage in 1.Korinther 7 finde. Das „als ginge es um alles“ und „als hätte man nicht“ seien „grammatisch“ Formen eines Irrealis, in der Wirklichkeit der Praxis aber benennen sie „Ausdrucksformen verantwortlicher Freiheit“.

Intrikat und anspruchsvoll

Okay, durchaus intrikat und anspruchsvoll, was Hauschildt formulierte (und der Besucher war durchaus froh, den Text der Laudatio vorher gelesen zu haben). Aber eigentlich gut zu verstehen und sicherlich von höherem Erkenntniswert für eine anspruchsvolle Predigtkultur als oberflächliche Häresievorwürfe einliniger, ja fast religiös-theologisch unmusikalisch zu nennender Provenienz. Häresievorwürfe, die eben häufig jene „Art von Sensibilität für die Tiefen des Lebens“ vielfältig vermissen lassen, die Hauschildt und die Jury bei Luisa Neubauer ausgemacht hatten, eine Sensibilität, die sie „in die Klimadebatte und die Klimabewegung“ einbringe.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer bei Ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ökumenischen Predigtpreises für ihr Lebenswerk am 16. Oktober 2023 in der Bonner Schlosskirche.
Foto: epd
 

In seiner Laudatio erklärte Hauschildt auch den Hintergrund der Gedanken einer Auszeichnung des Lebenswerkes. Hier gehe es der Jury um „Personen, deren öffentliches Tun einen Beitrag zu der Art von Kultur im breiten Sinne geht, die auch das Umfeld von Predigt darstellt“. Und dies passe gut auf Luise Neubauers Wirken als Aktivistin von Fridays for Future. Ihr Wirken und auch ihre Predigt im Berliner Dom verkörpere den Grundsatz vom Handeln, „als ginge es um alles“. Hier entdeckt der Laudator gar eine prophetische Dimension.

Keine Frage, die Entscheidung der Jury war durchdacht. Man muss sie nicht teilen, aber sie hat sicher weniger mit einem „Schrei nach öffentlicher Aufmerksamkeit“ zu tun, als vielmehr mit einem wachen Sensorium der Jury für die Zeichen der unserer Zeit. Insofern eine gute Wahl!

„Predigt-Influencer/in des Jahres“

Lediglich die Kategorie „Lebenswerk“ sollten die Verantwortlichen des Preises, der seit neus­tem nicht mehr vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft, sondern von den theologischen Institutionen der Universität Bonn verliehen wird, vor dem Hintergrund der Neubauer-Auszeichnung überdenken. Ein Preis für das Lebenswerk einer 27-Jährigen ist schon sehr ungewöhnlich. Das war auch Luisa Neubauer aufgestoßen: „Wenn wir uns in der Weltgeschichte umgucken, gibt es eine erschreckende Reihe an öffentlichen Personen, denen man im Alter von 27 ganz dringend einen solchen Preis für das Lebenswerk hätte mitgeben sollen, schlicht weil sie nicht so viel länger gepackt haben.“ Dem ominösen 27-er-Club habe sie nicht vor, sich anzuschließen, „so Gott will.“

Wie auch immer: Um Missverständ­nissen vorzubeugen sollte die Jury des neu designten Ökumenischen Predigtpreises neben dem Preis für die beste Predigt und dem Preis für das Lebenswerk, den doch möglichst wieder, wie früher, gereiftere und viel predigende Menschen erhalten sollten, künftig noch einen dritten Preis verleihen, nämlich den für den/die bedeutendste/n „Predigt-Influencer/in des Jahres“. Am „Wording“ kann ja noch gefeilt werden …

PS: Ob der Termin der Preisverleihung  2024 wieder ein Montagvormittag sein muss? Und sollte dies der Fall sein müssen, wäre doch die Einrichtung eines Livestreams für Interessierte aus dem ganzen Land respektive aller Welt durchaus zu überlegen.

(Die prämierten Predigten, die Laudationen und die Danksagungen der Preisträgerinnen finden Sie in Kürze auf der Seite www.predigtpreis.de zum Nachlesen)

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