Familientreffen in Krakau

Die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes beginnt mit Mahnung zur Einheit
Eva Christina Nilsson von der schwedischen Kirche und Danielle Dokman von der lutherischen Kirche in Surinam.
Foto: LWF/Marie Renaux
Eva Christina Nilsson von der schwedischen Kirche und Danielle Dokman von der lutherischen Kirche in Surinam, die Predigerin des Eröffnungsgottesdienstes.

Am ersten Tag der Vollversammlung in Krakau ermahnte der scheidende Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB) die Delegierten aus allen Ländern zur Einheit. Denn die Last der Welt drückt derzeit besonders schwer. Eine junge Frau aus Surinam sorgte für Aufbruchstimmung. Und ein Unbekannter für eine ungeplante Unterbrechung.

Irgendjemand hat den „falschen Knopf gedrückt“, so hieß es hinterher offiziell – und alle mussten vor die Tür. Für einige Minuten stand das schicke Kongresszentrum an der Weichsel leer. Feueralarm? Bombendrohung? Doch drinnen blieb alles ruhig und die Delegierten aus aller Welt, die sich zur 13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Krakau trafen, konnten entspannt zum Mittagessen gehen. Man plauschte, lachte, wie bei einem Familientreffen nach langer Zeit, offenbar froh, sich nach all den pandemiebedingten Reisebeschränkungen wieder leibhaftig zu sehen.

Das Bild der Familie und die Ermahnung zur Einheit prägte den ersten Tag, der mit einem, dem Anlass angemessen, internationalen und musikalisch jazzig gestalteten Gottesdienst begann. „Seid ihr da, meine Familie?“, fragte die junge Pastorin Danielle Dokman aus Surinam zu Beginn ihrer Predigt. Ermunternde Zurufe aus dem Publikum, und los ging es mit einer sehr bewegenden Rede über Matthäus 2, 1-12, die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland, die neugeborenen Jesus suchten und bei König Herodes nach ihm fragen. Die Weisen hätten nach einem Kind gesucht, das bereits zur Welt gekommen war, sagte Dokman. „Gott war bereits in ihre Welt eingebrochen, sogar in eine Welt, die durch römische Vorherrschaft, Kolonialisierung und Imperialismus gekennzeichnet war.“

Und dann schlug sie den Bogen zur Gegenwart: „Die Gewalt, die wir während des Zeitalters der Sklaverei und besonders des transatlantischen Sklavenhandels erlebt haben, dauert an. Selbst heute wird noch mit Menschen gehandelt, und ihre Körper werden als Ware oder Kriegsbeute behandelt. Einige werden sogar aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts und ihrer Religion oder einfach aufgrund ihrer Verletzlichkeit getötet und ausgegrenzt. Es mag den Anschein haben, dass Gott an diesen Orten nicht zugegen ist, aber gerade hier in der Zerbrechlichkeit wird Gott Mensch.“

Denn Menschwerdung sei kein abgehobenes theologisches Konzept. „Wenn die ganze Welt in endlosen Kämpfen und Polarisierung zu versinken droht und andere die Flucht ergreifen, taucht Gott in unsere Welt ein. Ich weiß, dass es sich so anfühlt, als stehe unsere Welt in Flammen ohne einen Ausweg aus diesen sinnlosen Kriegen und aus der Klimaungerechtigkeit. Aber gebt nicht auf, denn auch Gott hat diese Welt nicht aufgegeben!“

"Erhebt Euch!"  

Dokman schloss mit einem Appell an die LWB-Familie: „Die Sonne geht über vielen Imperien dieser Welt unter. Einige erkennen das an, andere führen deswegen Krieg. Ich aber sage euch heute: Wann immer die Sonne über einem der Imperien dieser Welt untergeht, so ist es Zeit für euch, meine Familie in Christus, euch zu erheben! Wenn falsche Versprechen gegeben werden, um etwas gegen unsere Klimaungerechtigkeit zu unternehmen, dann, ihr 150 Kirchen, erhebt euch als Kirchengemeinschaft! Steigt auf wie der Stern in jener schicksalhaften Nacht, erhebt eure Stimmen und verkündet der Welt: Es gibt einen anderen Weg! Gott ist hier!“

Ein ungewohnter Predigtsound für europäische Ohren, aber hier kam er an. Die Delegierten feierten die junge Pastorin und dankten ihr mit langem Applaus. Denn natürlich stand ihnen nicht nur die Situation in vielen Ländern des globalen Südens vor Augen, sondern auch die in der Ukraine, räumlich recht nah am Versammlungsort. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein Krieg in Europa ausbricht“, sagte der noch amtierende Präsident des Weltbundes, der nigerianische Erzbischof Panti Filibus Musa, in einer Pressekonferenz am Mittag. Dies zeige die Verwundbarkeit der Welt, aber auch dass Frieden ein Prozess sei, an dem immer wieder gearbeitet werden müsse.

Hier liege eine wichtige Aufgabe für die Kirchen, sagte die aus Estland stammende LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt. Der LWB habe den Krieg gegen die Ukraine immer klar verurteilt und leiste humanitäre Hilfe. Doch besonders wichtig würden die Kirchen in der Versöhnungsarbeit, wenn der Krieg einmal vorüber ist, sagte Burghardt und verwies auf die Rolle der Kirchen nach dem II. Weltkrieg in Europa. Möglicherweise könnten die lutherischen Kirchen in Russland, die den Krieg gegen die Ukraine nicht unterstützen würden, an dieser Stelle sehr wichtig werden.

Frauen stärken

Doch bereits jetzt sah LWB-Präsident Musa die Stärkung der Einheit innerhalb der lutherischen Kirchen als wichtiges Ziel der kommenden Tage in Krakau. Er betonte, dass die Kirchen in einer Welt, die „erfüllt ist von den unterschiedlichsten Meinungen und der Gefahr der Spaltung“, „respektvolles Zuhören“ praktizieren müssten, um als „Hoffnungsstrahlen inmitten von Verworrenheit, Unsicherheit und sich wandelnder Ideologien“ zu fungieren. Tatsächlich sind die lutherischen Kirchen weltweit nicht einer Meinung, wenn es um den Umgang mit Homosexualität oder der Ordinierung von Frauen geht. Zum letzten Punkt äußerte sich der sonst sehr diplomatisch sprechende Musa vergleichsweise deutlich in seiner Rede vor den Delegierten: „Im Laufe der Jahre haben wir gesehen, dass sich immer mehr Mitgliedskirchen für die Ordination von Frauen in das Pfarramt und ihre aktive Mitgestaltung der kirchlichen Gemeinschaften entschieden haben. Aber wir müssen noch besser werden.“ Vielen Frauen würden in ihrem Dienst immer wieder Hürden in den Weg gelegt. „Dagegen müssen wir gemeinsam etwas tun. Ich rufe den LWB und seine Mitgliedskirchen daher auf, in Bezug auf die Zurüstung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung und die Einbindung von Frauen in die Führungsverantwortung nicht weiter zu zögern und zu zaudern oder in ihrem Engagement nachzulassen.“

Ob es so weit kommt, dass nach der Versammlung eine Frau als Präsidentin an der Spitze des LWB steht? Noch ist das nicht abzusehen. Bislang einziger Kandidat für die Wahl zur Nachfolge Musas ist der Däne Henrik Stubkjær, Bischof des Bistums Viborg. Nach zwei LWB-Präsidenten aus dem globalen Süden und mit Blick auf die Bedeutung der skandinavischen Kirchen in der lutherischen Welt ein ohne Frage veritabler Kandidat. Doch gewählt wird erst am Samstag, die Delegierten können noch Kandidaten oder Kandidatinnen nominieren. Mal sehen, welche Knöpfe noch gedrückt werden. 

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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