Was brauchst Du heute?

Die Zukunft der Kirche schmeckt nach Butterbrot
Foto: Christian Lademann

Was brauchst Du heute? Wer am vergangenen Donnerstag in Kassel am Karl-Marx-Platz aus der Tram gestiegen ist, wurde genau das gefragt. Was brauchst Du heute für dein Leben? Etwas Kresse-Grün für die Hoffnung? Etwas Salz für die nötige Würze? Oder einfach nur Butter, damit es wieder richtig flutscht? Wer sich ins Spiel bringen ließ, dem wurde von den Ehrenamtlichen der Kasseler Friedenskirche ein Brot geschmiert. Ein Brot geschmiert bekommen, das ist liebevoll im besten Sinne, Gnade zum Hineinbeißen. Kaum einer der Passanten ließ sich nicht auf das verlockende Angebot ein. 

Das Besondere an diesem Tag war, dass die Ehrenamtlichen das allererste Mal auf der Straße waren. Aufregend war das, einfach Menschen anzusprechen, aber nachdem die ersten Brote geschmiert waren, wurde es ganz leicht. Die Idee stammt aus Hamburg. Da waren es Pfarrerinnen und Pfarrer in Talaren, die liebevoll Brote schmierten. In Kassel war es eine Beach-Flag mit der Aufschrift „Friedenskirche on tour“, die die Aktion als eine der Kirche sichtbar machte. Offenbar geht Pop-Up-Church auch ganz ohne Talare. 

Mich stimmt das hoffnungsfroh, was da auf dem Karl-Marx-Platz in Kassel passiert ist. Eine ganz normale Kirchengemeinde, die sich fragt, was sie für ihr Quartier tun kann. Eine Kirche der Menschen im besten Sinne. Es sind Ehrenamtliche, die inmitten von Mitgliederschwund und knapper werdenden Ressourcen nach neuen Kontaktmöglichkeiten suchen und neue Bilder von Kirche entstehen lassen. 

Selbstwirksamkeit erfahren

Innerhalb der nächsten Jahre wird sich die Zahl von Pfarrerinnen und Pfarrer in etwa halbieren. Das werden einschneidende Veränderungen sein und es wird auch das Ehrenamt verändern. Ehrenamtliche werden vor allem diejenigen sein, die Kirche sichtbar machen. Die Erfahrungen auf dem Kasseler Karl-Marx-Platz zeigen, dass das attraktiv ist. Menschen wollen Selbstwirksamkeit erfahren und sich für ihr Quartier engagieren. Die wenigsten wollen nur Stühle rücken oder ihre Abendstunden in langen Gremiensitzungen verbringen. 

Für mich ist das Bild der Menschen auf dem Karl-Marx-Platz auch richtungsweisend für die Frage, was der Protestantismus unter den sehr veränderten Bedingungen einer kleiner werdenden Kirche sein kann. Der Protestantismus ist nicht in erster Linie die Fülle seiner kirchlichen Gebäude und definiert sich nicht vorrangig über kirchlich-organisationale Strukturen. Zuallererst ist der Protestantismus eine Lebensform. Es ist eine Lebensform, die sichtbar wird durch Menschen, die diese besondere Sicht auf die Welt und den Umgang miteinander in ihrem Handeln wahrnehmbar werden lassen mitten in ihrem Sozialraum. Wo darauf das Augenmerk gelegt wird, da ist auch eine kleiner werdende Kirche resonanzstark und anziehend. 

In meinem Alltag erlebe ich wenig Orte, an denen ich gefragt werde: „Was brauchst Du heute?“ Wunderbar, wenn Kirchengemeinden solche Räume entstehen lassen können. Wo das geschieht, schmeckt es nach Zukunft. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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