Jetzt einfach in der Kirche heiraten, das wäre toll. So haben Martina und Jochen das zu dem Wirt gesagt, der im Bierwagen vor der Gustav-Adolf-Kirche in Hanau stand. Mehrmals im Sommer finden hier Pop-Up-Biergärten statt, Gelegenheiten für Menschen einander zu begegnen und auch das Areal um die Kirche neu zu erleben. An diesem Sonntag war der Pop-Up-Biergarten total verregnet. 20 Hartgesottene stehen mit wehenden Haaren um den Bierwagen, der Musiker hat sich mit seiner Gitarre unter das Dach des Kirchenportals gerettet und kaum einer hat mit dem gerechnet, was hier heute bei dieser Veranstaltung noch überraschend geschehen würde, die doch augenscheinlich so vollkommen ins Wasser gefallen ist.
Geistesgegenwärtig ruft Wirt Patrick mich auf die andere Seite des Bierwagens. „Komm mal her, die beiden hier wollen heiraten...“ Als ich die ersten Worte mit Jochen und Martina spreche, gehe ich noch davon aus, dass es wahrscheinlich um eine Anfrage für 2024 geht. Aber nein, „einfach jetzt“ soll es sein. „Klar, das machen wir... einfach jetzt“, antworte ich. Das sind die Momente im pastoralen Alltag, in denen du etwas sagst und dann nachträglich drei mal durchatmen musst, weil du noch nicht weißt, wie es geht. Eigentlich meine Lieblingsmomente in diesem Beruf.
Einzug zu "Highway to hell"
Die Kirche ist noch geschmückt von der gestrigen Hochzeit. In Windeseile bitte ich die Küsterin, die Tonanlage aufzubauen, instruiere zwei Kirchenvorsteherinnen und spreche mit dem Musiker die Stücke ab. Dann wieder raus zu dem ungeahnten Brautpaar an den Bierwagen. Ende 50 und Anfang 70 sind die beiden. Seit 2017 sind sie standesamtlich verheiratet. Was Jochen für sie zu einem so besonderen Menschen macht, frage ich Martina. „Er hat mich mal so aus der Tiefe gezogen“, sagt sie. Und mit den Tränen, die sich in diesem Augenblick in ihren Augen sammeln, sind all die Geschichten da, ohne dass sie nur eine davon erzählen muss. Für Jochen ist Martina so einzigartig... außerdem hat sie die Würmer, die er zum Angeln braucht.
Kurzerhand holen wir alle hartgesottenen Bierwagen-Gäste in die Kirche und drücken jedem ein Gesangbuch in die Hand. Einzug zu „Highway to Hell“, so hatten Martina und Jochen sich das augenzwinkernd immer vorgestellt und ich zwinkere gern mit an diesem Tag. Als die beiden auf den Stühlen angekommen sind, mischt sich ausgelassenes Lachen mit Tränen in den Augen darüber, dass es jetzt hier und heute so sein darf, wie es zu ihnen passt. Eine Begrüßung, wenige dichte Worte zu diesen beiden Menschen und ihrer Liebe. Mit allen zusammen „Liebe ist Leben“ singen. Bei den Worten aus 1. Korinther 13 hätte man eine Stecknadel in der Kirche fallen hören. Ich stelle die Traufrage mit Worten, die so sicher in keiner Agende stehen und beide sagen von Herzen „Ja“. Dann alle Menschen nach vorne holen in den Altarraum. Mit 40 ausgebreiteten Händen segnen wir die beiden und ihre Liebe. Zum Schluss „An Tagen wie diesen“ live performed von Jörg Bob Sanders zu Gitarrenklängen. Plötzlich beginnen Martina und Jochen zu tanzen, mitten im Altarraum... mitten in ihrem Altarraum. Wir alle tanzen mit.
Kraft des Geistes
Wer an diesem Tag in der Kirche war, konnte etwas davon spüren, dass in dieser Spontanität eine große Tiefe zu entdecken ist. Was dort geschah war keineswegs flach und beliebig, sondern das genaue Gegenteil. All diejenigen, die in der vergangenen Zeit ihre Kirchen für spontane Heiratswillige geöffnet haben, berichten von ähnlichen Erlebnissen einer hohen Dichte. Was da spürbar wird, ist nicht weniger als die Erfahrung, dass wir es in der Religion mit etwas zu tun haben, das nicht bis ins letzte planbar ist. Es ist die Kraft des Geistes, die wirksam ist in der Spontanität, genau da, wo die Worte noch nicht eingeübt und der Rahmen nicht klar abgesteckt ist. Bei aller Organisationsförmigkeit der Kirche lässt sich der Kern, um den es ihr geht, nicht organisieren. Im gelingenden Fall ist etwas von dieser Spontanität in jedem Gottesdienst erfahrbar und auch in jeder Trauung, die bereits seit zwei Jahren vorgeplant wird. Aber bei Jochens und Martinas Tanz im Altarraum konnte man von dieser Kraft des Geistes in besonderer Weise etwas spüren.
Nach der Trauung geht es raus an den verregneten Bierwagen zum Anstoßen. Leuchtende Augen und klingende Gläser. Irgendwann lehne ich mich zu einer der Kirchenvorsteherinnen hinüber und sage: „Falls demnächst mal wieder Jemand fragt, warum wir diese Pop-Up-Biergärten an der Kirche machen, dann erzählt doch einfach von dem, was gerade hier geschehen ist.“
Katharina Scholl
Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.