Engagiert

Vom Umgang mit Tieren

Unter den jüngeren Veröffentlichungen zur Tierethik in Philosophie, Biologie und Theologie ragt das handliche Buch von Bernd Kappes Mitgeschöpfe aus mehreren Gründen heraus. Der Theologe und Politikwissenschaftler, erfahren im Bereich Entwicklungszusammenarbeit ebenso wie in der nationalen wie internationalen Bildungsarbeit und derzeit stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, kennt sich in der seit zwei Jahrzehnten intensivierten Debatte zur Tier- und Schöpfungsethik aus wie kaum ein anderer.

Als Mitglied im Kuratorium des Instituts für Theologische Zoologie in Münster hat er die von katholischen wie evangelischen Theologinnen und Theologen initiierte Debatte über eine Überwindung des „despotischen Anthropozentrismus“ im Verständnis der Schöpfung nicht erst seit der berühmten Umweltenzyklika von Papst Franziskus intensiv begleitet. Er nimmt die Leserschaft mit in die Entdeckung von mutmachenden Pionieren einer christlichen Tierschutzbewegung wie Christian Adam Dann und dessen Manifest aus Württemberg aus dem Jahre 1822. Er erinnert ebenso an die philosophischen wie religiösen Wurzeln eines reduktionistischen Verständnisses von Natur und Schöpfung, das allein dem Menschen Vernunft- und Empfindungsfähigkeit zuspricht.

Das Buch liest sich spannend, nicht nur wegen der Fülle des dargebotenen Materials, sondern vor allem auch, weil es sehr zugänglich und engagiert formuliert ist. Historisch rekonstruktive Abschnitte, die in die geistesgeschichtlichen Hintergründe des Herrschaftsverhältnisses zwischen Menschheit und Tierwelt einsteigen, wechseln mit eher meditativen Abschnitten, die sensibel die biblischen Urtraditionen nachzeichnen, von der wichtigen Erinnerung an die Teilhabe der Tiere an dem noachitischen Bund Gottes mit der Schöpfung über die weisheitlichen Traditionen der Gottesreden des Hiobbuches, die den Anthropozentrismus kritisieren und das Geheimnis und Eigenrecht der Tierwelt in der Schöpfung unterstreichen, bis hin zur Meditation des Bildes vom messianischen Tierfrieden (Jesaja 11).

Deutlich ist zu spüren: Es geht dem Autor nicht um eine Romantisierung der Beziehung des Menschen zur Tierwelt, sondern es geht ihm um eine grundsätzliche kritische Archäologie des Verhältnisses zwischen menschlicher Zivilisation und Tierwelt, also um Schöpfungswelt insgesamt, die nach ihm nicht anders denn als „Kriegszustand“ beschrieben werden kann. Sich dieser ethischen Her­ausforderung zu stellen und ihr nicht durch Unsichtbarmachung des Leidens von Tieren hinter Schlachthofmauern oder hinter sterilen Plastikverpackungen von Fleischprodukten zu entfliehen, bedeutet für Bernd Kappes, sensibel zu werden für die Mitwelt des Menschen und von einem erweiterten Verständnis von Gewalt gegenüber der Schöpfung auszugehen, das direkte, strukturelle und kulturelle Gewalt in sich schließt.

Das Buch von Bernd Kappes unterstreicht: Theologische Zoologie ist inzwischen von einem Rand- und Orchideen-Fach, anfänglich von manchen abschätzend belächelt oder als traumtänzerisches Eldorado von Haustierliebhabern verdächtigt, zu einem etablierten, höchst anspruchsvollen, eigenständigen wissenschaftlich-ethischen Diskurs geworden, der als notwendige komplementäre Disziplin alle Arbeit im Bereich der theologischen Anthropologie zu begleiten hat. „Dass sie leben bleiben mit Dir“ – dieser biblischen Verheißung von „Gottes Artenschutzprogramm der Arche Noah“ kann heute nur entsprochen werden, wenn die Grundfragen nach einer massenhaften tötenden Nutzung von Tieren selbst nicht verdrängt und tabuisiert, sondern im Sinne einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Menschen- und Tierwelt aufgegriffen werden. Hier ist es ein Diskursvorteil des Buches von Bernd Kappes, dass er vorhandene Divergenzen zwischen einzelnen Positionen in der Tierrechtsdiskussion nicht ausblendet, sondern klar benennt. Geht es in der Tierrechtsbewegung um graduelle Verbesserung der Tierhaltung bei grundsätzlichem Bestehenlassen der massenhaften Erzeugung von Schlachttieren oder geht es um die grundsätzliche Abschaffung jeglicher tiernutzender Praktiken? Geht es um „Nutztier und Mitgeschöpf“, wie es programmatisch die grundlegende EKD-Studie von 2021 formuliert hatte (Nutztier und Mitgeschöpf. Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht, EKD Hannover 2019)? Oder geht es um die Alternative „Nutztier oder Mitgeschöpf“ und damit um eine grundsätzliche Infragestellung der ethischen Legitimität der „Fleischproduktion“ im Sinne der Anfragen von Friederike Schmitz und David Precht? Es ist deutlich, dass es Bernd Kappes um diese größere Tiefenwirkung einer kulturellen Revolution in unseren Einstellungen zu den Tieren geht, ohne dass damit schon alle praktisch-ethischen Fragen, wie die des Vegetarismus als Option oder als Pflicht für alle, entschieden werden könnten.

Man wünscht dem Buch, das international rückgebunden und geehrt wird durch einen Beitrag der britischen Biologin und Zoologin Jane Goodall, eine breite Leserschaft, weit über den Kreis der speziell an Ernährungs- und Tierethik-Fragen Interessierten hinausgehend.

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Foto: privat

Dietrich Werner

Prof. Dr. Dietrich Werner ist Gastwissenschaftler am Seminar für Praktische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin.


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