Gute Zeichen

Eine Antwort auf Michael Roths Kritik an der rheinischen Landessynode
Blick ins Plenum während der Tagung der rheinischen Landessynode im Januar 2023.
Foto: EKiR/Hans-Juergen Bauer
Blick ins Plenum während der Tagung der rheinischen Landessynode im Januar 2023.

In der Juniausgabe der zeitzeichen kritisierte der Mainzer Systematiker Michael Roth die vielen Äußerungen der Kirche zur Tages­politik und belegte dies mit seinen Erfahrungen auf der jüngsten Synodaltagung der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ihm widerspricht nun der Bonner Alttestamentler Markus Saur.

In seinem Beitrag unter dem Titel „Oft zu einseitig“ in zz 06/23 hat sich der in Mainz lehrende Systematiker und Ethiker Michael Roth ausgehend von Erfahrungen, die er während der Synodaltagung der Evangelischen Kirche im Rheinland im Januar 2023 machen konnte, kritisch mit tagespolitischen Äußerungen der Kirche als Institution auseinandergesetzt und in fünf Punkten seine Perspektiven dargelegt. Dass es neben diesen Perspektiven auf die Synodaltagung durchaus auch andere Wahrnehmungen geben kann, möchte ich in Auseinandersetzung mit Michael Roth darlegen.

In seinem ersten Punkt weist Michael Roth auf die merkwürdige Spannung hin, die sich zwischen einem protestantischen Grundanspruch, nämlich der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen für die Kirche, und der faktisch immer weiter um sich greifenden Klerikalisierung und Episkopalisierung innerhalb der evangelischen Landeskirchen beobachten lässt. Dass diese Entwicklung im Blick auf die künftig noch weiter steigende Abhängigkeit der evangelischen Kirchen vom ehrenamtlichen Engagement in den Gemeinden und Gremien der evangelischen Kirchen dringend diskutiert werden müsste, scheint mir von zentraler Bedeutung für die kommenden Jahre und letztlich auch für die Zukunft des synodalen Prinzips.

Die Vermischung dieser Kritik mit der Kritik an politischen Äußerungen, wie ich sie in Michael Roths Beitrag beobachte, scheint mir aber nicht hilfreich. Dass sich zu gesellschaftlichen Fragen nicht nur kirchenleitende, sondern alle Christinnen und Christen äußern sollten, liegt aus meiner Sicht auf der Hand. Gerade eine Synodaltagung ist der Ort, an dem diese Äußerungsformen Gestalt gewinnen können. Das ereignet sich gerade dann, wenn Beschlussvorlagen nicht von der Kirchenleitung, sondern von einzelnen Synodalen vorgelegt werden, wie das in der Evangelischen Kirche im Rheinland mehr als einmal der Fall war. Gerade die Synode repräsentiert ja die Kirche in ihrer Breite und steht nicht unter der Kontrolle irgendeines oder irgendeiner Kirchenoberen. Keine Frage – auch mit Tagesordnungen und Sitzungsleitungen kann man Debatten zu lenken versuchen. Meine Erfahrung ist aber, dass Synodale das sehr schnell wahrnehmen und sich dazu dann auch kritisch verhalten. An Diskussionen hat es auf der rheinischen Tagung im Januar 2023 jedenfalls nicht gefehlt – und ich halte das für ein gutes Zeichen.

In seinem zweiten Punkt blickt Michael Roth mit Unbehagen auf die vielen Analysen, Kommentare und Bewertungen aus dem Raum der Kirche, die den Anschein erweckten, wir lebten nicht in einer Demokratie und einer durch Meinungspluralismus geprägten gesellschaftlichen Debattenkultur. Ich teile dieses Unbehagen nicht. Eine Kirche, die das, was in der Gesellschaft von Relevanz ist, analysiert, kommentiert und auch von eigenen Maßstäben, die immer wieder neu justiert werden müssen, bewertet, ist aus meiner Sicht eine lebendige Kirche, die sich aktiv in das Gemeinwesen einbringt. Dass die Stimmen aus den Kirchen nicht jedem und jeder gefallen, und dass manches auch auf die Nerven gehen mag, ist kein schlechtes Kennzeichen für eine Kirche, die damit ja durchaus in der Tradition notorischer Analytiker, Kommentatoren und Bewerter wie Amos aus Tekoa, Micha aus Moreschet oder Jesus aus Nazareth steht. Von ihren streitbaren Vorbildern und Leitfiguren sollte die Kirche nicht allzu weit abweichen, wenn sie nicht ihre Erkennbarkeit als Kirche in der Welt verlieren will.

Im dritten Punkt unterscheidet Michael Roth politische Meinungsbildung vom Vertreten einer politischen Meinung. Eine solche Unterscheidung ist aber kaum möglich, denn das Ausbilden einer politischen Meinung kann nur in Auseinandersetzung mit faktisch in der Debatte vertretenen politischen Positionen gelingen. Zwischen Meinungsbildung und politischer Positionierung besteht ein integraler Zusammenhang. Im Idealfall setzt politische Gestaltung die vorangehende Meinungsbildung voraus – politische Meinungsbildung vollzieht sich aber nicht im luftleeren Raum, sondern in konkreten gesellschaftlichen Situationen. Dass die Kirchen für den Prozess der Ausbildung von Meinungen aufgrund des Abwägens und Ausbalancierens unterschiedlicher Positionen einen geeigneten Raum bieten können, ist eine unaufgebbare Stärke des Protestantismus, der ja gerade auf dieser Grundlage immer auch einen Gestaltungsanspruch hatte und bis heute hat.

Diskursraum eröffnet

Hier kann es vor allem dann zu einer Vereinseitigung kommen, wenn von überwiegenden Mehrheiten abweichende Positionen kein Gehör mehr finden. Genau das war auf der Synodaltagung im Januar 2023 aber nicht der Fall. Jeder und jede hatte das Recht und die Möglichkeit zu sprechen – und Michael Roth hat davon ebenso Gebrauch gemacht wie viele andere auch. Eine Synodaltagung ist ein Ort des respektvollen Aufeinanderzugehens, aber niemand kann erwarten, dass die eigene Meinung in jedem Fall zur Meinung einer Mehrheit wird. Mehrheitsfähig ist am Ende das, was überzeugt.

Dass – so Roths vierter Punkt – kirchliche Beiträge zur gesellschaftlichen Debatte „christlich“ begründet werden, kann ich nicht als Problem erkennen. Damit wird ja auch keineswegs der „ergebnisoffene Abwägungsdiskurs abgeschnitten“, wie Roth meint. Hier wird vielmehr ein Diskursraum eröffnet, der in anderen gesellschaftlichen Kontexten nicht genutzt wird. Was sollten kirchliche und theologische Gremien denn anderes tun, als darüber nachzudenken, wie man sich zu bestimmten Themen und Anliegen, die im Raum der Kirche diskutiert werden, theologisch verhalten könne? Wenn die Evangelische Kirche im Rheinland einen Beschluss zur Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2035 fasst und der synodale Theologische Ausschuss dazu eigene Überlegungen anstellt, erkenne ich darin vor allem das Bemühen, über die gängigen politischen, ökonomischen und ökologischen Sprachfiguren hinaus erkennbar eigenständig sprachfähig zu sein und zu bleiben.

Die Rede von der Bewahrung der Schöpfung als Floskel zu diskreditieren, verkennt den Anspruch der beiden Schöpfungsberichte in Genesis 1–3, die dem Menschen etwas zumuten und auftragen – im vollen Bewusstsein darum, dass die Schöpfung mit dem Menschen in der Mitte keineswegs als nur „sehr gut“ bewertet werden kann, sondern gerade der Mensch zugleich in seiner Brüchigkeit und Gebrochenheit wahrgenommen werden muss. Dass während einer Tagung Debatten über solche anthropologischen und theologischen Grundfragen geführt werden, kann man wie Michael Roth mit dem Verweis auf den Zusammenhang zwischen morgendlicher Hautpflege und Bewahrung der Schöpfung ins Lächerliche ziehen – oder man freut sich aufrichtig darüber, Teil einer Kirche zu sein, die keineswegs bereit ist, ihre Grundlagen und deren narrative Ausgestaltung dem Vergessen preiszugeben, sondern die sich darum bemüht, die Relevanz dieser Grundlagen für die Gegenwart herauszuarbeiten.

Der fünfte Punkt Michael Roths bezieht sich auf einen Beschluss der Synode im Blick auf die Kohleförderung im rheinischen Lützerath. Gerade dieser Beschluss, den die Synode mit großer Mehrheit gefasst hat, wurde nicht von der Kirchenleitung vorbereitet, sondern geht auf die Initiative einer jungen Synodalen zurück, die zusammen mit anderen Synodalen der jüngeren Generation ein gesellschaftlich zentrales und in der Region sehr kontrovers diskutiertes Thema der Synode zur Diskussion aufgegeben hat. Gerade an dieser Stelle ist allerdings keine klassische Parteigängerschaft zu erkennen gewesen, wie Michael Roth meint, denn die Forderung „Keep it in the ground!“ richtete sich als Appell an alle politischen Parteien – bis in das für die Räumung politische Mitverantwortung tragende linksliberal-ökologische Lager hinein. Dass die Debatten im Raum der Evangelischen Kirche oft von Gerechtigkeits-, Diversitäts- und Klimathemen bestimmt sind, könnte damit zusammenhängen, dass sich in diesen Themen die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts spiegeln, denen sich auch die evangelische Kirche stellt.

Schräges Dach

Trotz unterschiedlicher Perspektiven auf alle von Michael Roth vorgetragenen Punkte bleiben wir beieinander – im Raum der Kirche, unter diesem bisweilen schrägen Dach, das zumindest im Rheinland nun zur Klimaneutralität ertüchtigt werden soll und durch das es hier und da doch auch einmal tropfen kann. Im Buch Kohelet, das auf einen Weisen aus dem antiken Juda zurückgeht, heißt es in Kapitel 10, Vers 18: „Wo Trägheit wohnt, senkt sich das Gebälk, und wo die Hände müßig sind, tropft es ins Haus.“ Auf einer Synodaltagung wie derjenigen, an der ich im Januar 2023 teilgenommen habe, war das Gegenteil der Fall: Bis in die Nacht hinein wurde gedacht, beraten und kontrovers diskutiert. Diese Arbeit kann aber nur gelingen, wenn alle sich daran beteiligen, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven, denn nur dann ist zu sehen, ob das Gebälk wirklich ordentlich ausgerichtet und das Dach tatsächlich umfassend gesichert ist. 

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