Wer braucht eigentlich noch die Konfirmation?

Warum die evangelischen Kirchen den Übergangsritus dringend reformieren sollten
Pfarrerin segnet Konfirmanden
Foto: epd
Eine jahrhundertealte Posse? Auf jeden Fall sei die Konfirmation dringend reformbedürftig, meint Thomas Heller von der Uni Jena.

Die Konfirmation sogt für volle Kirchen und tolle Familienfotos. Doch der Ritus müsse dringend reformiert werden, meint der Religionspädagoge Thomas Heller von der Uni Jena. Für ihn ist es theologisch fragwürdig, von Jugendlichen ein Glaubensbekenntnis zu verlangen.

In der Konfirmation bekennen junge Menschen, so die EKD, „in einem feierlichen Segensgottesdienst […] öffentlich ihren christlichen Glauben“. Häufig geschieht dies im Alter von 14 Jahren und mit den Worten des Apostolikums. Bestätigt wird damit die bei den Teilnehmenden oft bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter vollzogene Taufe und die in ihr etablierte Teilhabe am Christentum. Voran geht dem Gottesdienst dabei eine Phase der Konfirmandenarbeit, die darauf abzielt, so nochmals die EKD, „eine Beziehung zur Kirche“ aufzubauen sowie „sich eine eigene Meinung und Haltung zum christlichen Glauben“ zu bilden.

In dieser Konzeption stellt die in der Reformationszeit entstandene Konfirmation eine sog. Kasualie dar – sie ist eine kirchliche Handlung, die anlässlich eines biografischen Ereignisses geschieht. Im ihrem Falle ist es die mit dem Ende der Kindheit und dem Beginn des Erwachsenenalters verbundene sog. Lebenswende und die mit dieser einhergehende Religionsmündigkeit: die Fähigkeit und das Recht, die im Grundgesetz zugesicherte Religionsfreiheit ausüben zu können. Zugleich ist die Konfirmation damit ein sog. Passageritus, der öffentlich und unumkehrbar in einen neuen Lebensabschnitt hineinführt. Doch auch wenn dieser Ritus nach wie vor für volle Kirchen und tolle Fotos für das Familienalbum sorgt: Die evangelischen Kirchen sollten die Kasualie dringend reformieren.

Der Ritus klappert an allen Ecken und Enden

So ist zunächst zu fragen, was sich im Alter von 14 Jahren eigentlich verändert. Denn z.B. die (Berufs-)Schulpflicht endet ja zumeist erst mit 18 und wer studiert, vollzieht seinen Berufseintritt häufig weit in den 20-ern. Und auch Kauf- und Mietverträge dürfen erst ab der sog. Volljährigkeit unterzeichnet werden, gleichfalls ist es erst dann erlaubt, den Bundestag zu wählen oder zu heiraten. Noch vor wenigen Jahrzehnten war dies anders: Meine Oma bspw. absolvierte 1940 die Volksschule, die passend noch zu Ostern endete, und wurde im Anschluss zum sog. Pflichtjahr eingezogen. Für sie gab es mit 14 wirklich eine Lebenswende: soeben noch im Klassenzimmer, plötzlich schon auf dem Feld. Gegenwärtig sind Übergänge jedoch viel fließender.

Denn auch 11-jährige zeigen politisches Engagement, 30-jährige leben nicht selten noch bei ihren Eltern und 60-jährige tanzen bei den "Toten Hosen". Sie sind "forever young": Jugend als Zeit des Übergangs zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ist längst ein Lebensstil geworden, der auch Seniorinnen und Senioren offensteht. Dies muss kein grundsätzliches Argument gegen die Konfirmation sein – irgendwann müssen die meisten Menschen ja leider doch in jene Phase des Lebens übergehen, in der Verantwortung übernommen und die gemeinhin als Erwachsensein bezeichnet wird. Zumindest sollte die gegenwärtige biografische Fluidität aber zu denken geben. Entspricht die starre Ansiedlung des Ritus im Alter von circa 14 Jahren den heutigen Lebensläufen?

Es ist auch zu überlegen, ob die Konfirmation ihre selbstgesteckten Ziele erreicht. Wird in der vorausgehenden ‚Konfi-Arbeit‘ wirklich, so wie es die EKD sagt, eine „Beziehung zur Kirche“ aufgebaut? Wer mit Pfarrerinnen und Pfarrern spricht, hört oft die Klage, dass sich ein Großteil der Kursteilnehmenden direkt nach der Konfirmation in sog. U-Boot-Christinnen und -Christen verwandelt: Sie ‚tauchen ab‘, um dann erst wieder anlässlich ihrer Trauung sichtbar zu werden (und zwischendurch noch zu Weihnachten). Und was das Ziel der eigenen „Meinung und Haltung“ betrifft: Ist es nicht eigenartig, dass die damit auch auf ein potentielles "Nein!" abzielenden Kurse fast immer zur Gänze konfirmiert werden?

Ganz sicher werden nicht wenige junge Menschen die Entscheidung für den Ritus aus ihrer religiösen Mündigkeit heraus treffen – ganz sicher dürften aber auch die durch Familie, Freundeskreis oder Kirchengemeinde aufbauten sozialen Erwartungen eine erhebliche Rolle spielen. Hinzu tritt ein weiteres, sehr weltliches Motiv. So hat zum Beispiel Thomas Schlag in einer Studie unter Schweizer Konfirmandinnen und Konfirmanden – veröffentlicht bereits 2009 – erhoben, dass die mit der Konfirmation verbundenen Geldgeschenke in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen sind. Für immerhin 66 Prozent der von ihm Befragten war die Aussage „um am Ende Geld oder Geschenke zu bekommen“ der wichtigste Grund, um sich zur Konfirmandenarbeit anzumelden. Die Dunkelziffer dürfte hier gar noch höher liegen.

Wir alle sind Teil des Problems

Der neuralgische Punkt liegt freilich woanders. Ist es theologisch verantwortbar, von jungen Menschen ein Glaubensbekenntnis zu verlangen? Denn diese werden ja mit der Konfirmation in ein Dilemma gestellt, das ganz und gar nicht den Forderungen Jesu z.B. nach Wahrhaftigkeit und Besitzlosigkeit (u.a. Mt 5–7) entspricht. "Komm schon, bekenne – damit die lieben Verwandten sich freuen. Und richtig viel Geld gibt es auch noch!" Zu bedenken ist hierbei auch, dass das im Rahmen der Konfirmation genutzte Apostolikum ja nicht nur Aussagen zum Schöpfergott oder zur Gottessohnschaft Jesu beinhaltet, die sich metaphorisch leicht ins Unbestimmte deuten lassen. "Ich glaube, dass alles irgendwie auf Gott zurückgeht. Und Jesus hatte zu diesem Gott eine besondere Beziehung!"  Sondern das Apostolikum artikuliert auch, dass Jesus „hinabgestiegen [ist] in das Reich des Todes“ und wiederkommen wird, „zu richten die Lebenden und die Toten“. Sollten mehr oder minder alle evangelischen Jugendlichen, von denen gemäß der aktuellen Shell-Jugendstudie gerade einmal 24 Prozent sagen, dass der Glaube an Gott für sie wichtig sei, dieser theologisch schweren Kost zustimmen? Und sind solche Themen etwa bezüglich eines endzeitlichen Gerichts für sie überhaupt wichtig?

Damit sei nicht gesagt, dass sie sich, wie so viele Menschen, nicht intensiv fragen, was am Ende des Universums kommt, welchen Sinn das Leben hat und welche Rolle Gott hierbei ggf. spielt. Jedoch dürfte es ihnen an dieser Stelle eher so gehen wie dem verzweifelten Vater, der Jesus darum bittet, ihm Glauben zu schenken: "Ich möchte ja gern glauben, hilf mir dabei (nach Mk 9,24)!" In der Bibel sind es immer wieder diese zweifelnden, suchenden Personen, welche als Vorbild in den Blick geraten – und nicht etwa der selbstgerechte Darsteller, der öffentlich mit seinem perfekten Glauben angibt (Lk 18,9–14).

Die erste falsche Pose

Zu fragen ist in diesem Kontext zugleich, was heranwachsende Menschen eigentlich lernen, wenn sie in aller Öffentlichkeit etwas bekennen/bekennen sollen, an das sie vermutlich nur teilweise glauben, wenn überhaupt. Heucheln lohnt sich? Mit Lügen kommt man weiter? Mach immer gute Miene und zieh dir was Nettes an, auch wenn das Spiel fragwürdig ist? Erich Kästner hat hierzu in seinem Gedicht „Zur Fotografie eines Konfirmanden“ eine passende Strophe gedichtet: „Er trägt die erste lange Hose. Er spürt das erste steife Hemd. Er macht die erste falsche Pose. Zum ersten Mal ist er sich fremd.“ Die Konfirmation also als Einführung in die durch Selbstdarstellung und Selbstverleugnung bestimmte Welt der Erwachsenen? Und auch das auf den Kirchbänken das Theater genießende Publikum lernt (und praktiziert) etwas, nämlich das heranwachsende Menschen weich sind wie Butter, formbar, nutzbar, ausnutzbar, hinstellbar als Ersatz für den eigenen Nicht-Glauben, um ein wenig Transzendenz zu fühlen. 

Denn wer braucht eigentlich noch die Konfirmation, diese jahrhundertealte Posse, bei dem coram publico intime Glaubensaussagen verkündet werden? Die heranwachsenden Menschen? Die Pfarrerinnen und Pfarrer? Die EKD? Oder sind die Menschen in den vollen Kirchbänken – sind wir – nicht diejenigen, welche die Konfirmation letztlich benötigen? Einen hieran anschlussfähigen Gedanken hat Slavoj Žižek 2006 formuliert. Er schrieb, dass Menschen das Bedürfnis haben, „jemanden zu finden, der ‚wirklich daran glaubt‘“. Menschen wünschen sich Transzendenz und Sinn, können jedoch in der säkularisierten Moderne nicht mehr glauben. Deswegen benötigen sie Ersatz: jemanden, der stellvertretend glaubt. Sie benötigen jemanden, der Gott sieht hindurch durch die ‚Fenster in der Welt‘ (Friedrich Schweitzer), welche einem selbst verschlossen sind, und dessen Einsichten in kulturellen Praktiken wie in der Konfirmation auch mitgeteilt werden.

Aber wie schrecklich ist das doch: In einer besonders vulnerablen Lebensphase werden Menschen, fast noch Kinder, damit als religiöser Notbehelf missbraucht. Die Konfirmation ähnelt damit zum Beispiel dem Kult rund um den Profisport. Denn brauchen wir nicht alle die Profi-Sportlerinnen und -Sportler, weil wir selbst viel zu wenig vom Sofa wegkommen? Bei der Konfirmation ist die Schizophrenie freilich sogar noch größer. Denn wehe, dem apostolischen Bekenntnis folgen auch Taten! Denn wenn ein heranwachsender Mensch zum Beispiel beginnt, sich mit dem Ziel der Bewahrung der Schöpfung auf einer Straße festzukleben – dann kann es sich hier doch nur um Fundamentalismus handeln. Sie und er werden dann zur Barbarin und zum Barbar, welche uns und unsere kulturellen Praktiken bedrohen. Denn Kultur ist eben, nochmals Žižek, der Begriff „für all diese Dinge, die wir praktizieren, ohne tatsächlich an sie zu glauben, ohne sie wirklich ernst zu nehmen.“

Eine Alternative steht bereit

Für die evangelischen Kirchen ist das keine erfreuliche Einschätzung. Dabei könnten sie grundsätzlich ganz entspannt sein: Denn biblisch ist, anders als etwa die Taufe, die Konfirmation keinesfalls belegt und gefordert. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als ein Ritus, der in einem spezifischen historischen Kontext entwickelt wurde – und der auch weiterentwickelt oder ersetzt werden kann. Ideen hierzu existieren seit Jahrzehnten. So sind in einzelnen ostdeutschen Städten wie Erfurt, Halle und Magdeburg seit den 1990-er Jahren, zumeist im Umfeld christlicher Schulen, sog. Segens- oder auch Lebenswendfeiern entstanden. In diesen Feiern werden heranwachsende Menschen gesegnet: Die Kirche spricht ihnen angesichts der herausfordernden Lebensphase, in der sie sich befinden, zu, dass Gott sie auch und gerade in diesen Jahren begleiten wird.

Eine eigene Vorleistung, gar ein Bekenntnis, ist hier nicht erforderlich, und es ist auch vollkommen egal, ob es sich um konfessionsgebundene oder -freie Kinder und Jugendliche handelt. Kirche agiert damit im besten Sinne als ‚Kirche für andere‘ (Dietrich Bonhoeffer). Umso bedauerlicher ist es, dass solche Feiern im kirchlichen Raum stiefmütterlich behandelt und zurückhaltend beurteilt werden, als "Konfirmation light", die eher widerwillig durchgeführt wird, um auch konfessionsfreien Menschen etwas anbieten zu können. Derartige Einschätzungen sollten überdacht werden. Denn klar ist: Junge Menschen und ihre Familien haben ein Bedürfnis danach, auf dem Weg ins Erwachsensein begleitet zu werden. Es liegt an den Kirchen, hierfür einen glaubhaften, die Heranwachsenden nicht instrumentalisierenden Ritus anzubieten. Falls es ihnen nicht gelingt, dann werden die Menschen noch mehr mit den Füßen abstimmen. Ein Blick auf die Kirchenaustrittsstatistiken zeigt, wohin die Reise dann geht.

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Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Thomas Heller

Dr. Thomas Heller ist Privatdozent für Religionspädagogik an der Universität Jena. In den letzten Jahren hat er die religionspädagogischen Professuren an den Universitäten Mainz und Rostock vertreten und religionspädagogische Lehraufträge an der Universität Göttingen wahrgenommen.


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