Aufklärung 2.0

Für die Geisteswissenschaften

Das Buch erschien zuerst in englischer Sprache unter dem Titel "Towards a New Enlightenment" (The Case for Future-Oriented Humanities). Das Autorenteam besteht aus Fellows von „The New Institute“ in Hamburg, das sich zum Ziel gesetzt hat, Ideen zusammenzutragen, um Lösungsvorschläge für die drängendsten Probleme der Gegenwart zu erarbeiten. Zu diesen Problemen zählt zweifellos der Klimawandel, aber auch die Bedrohung der „Lebenswelt“ durch die als System von höchst unterschiedlichen Systemen verstehbare Gesellschaft.

Die Perspektive und das Potenzial der Geisteswissenschaften (englisch: „Humanities“), so die Autorinnen und Autoren, sind unabdingbar, wenn wir die Krisen der globalen Weltgesellschaft Erfolg versprechend angehen wollen. Von der Theologie und den Religionswissenschaften und ihrem gemeinsamen Gegenstand, der Religion, ist an verschiedenen Stellen die Rede. Dies ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass Theologie und Religionswissenschaften ohne Zweifel zu den Geisteswissenschaften zählen, sondern deutet auch an, dass im Erbe der Religion offenbar auch Problemlösungspotenzial enthalten ist – etwa orientierungskräftige Werte. Die religiösen Werte können sich dabei aber nicht auf Offenbarung(en) berufen, sondern müssen auf anderen Wegen ihre Evidenz und Leistungsfähigkeit erweisen.Der Bonner Philosoph Markus Gabriel setzt dabei auf seine entwickelte Theorie des „moralischen Realismus“. Ihr zufolge sind moralische Tatsachen „objektiv“, es gibt also deontische Notwendigkeiten und moralische Fakten. Ein solches moralisches Faktum wäre etwa, dass niemand ein Recht hat, einen Säugling zu quälen. Vielleicht liegt aber die von der französischen Philosophin Corine Pelluchon betonte „Vulnerabilität“ (Verletzlichkeit) aller Menschen und Kreaturen in der Reichweite einer universalen anthropologischen Einsicht, ohne dass jeder, der diese Einsicht teilt, daraus die identischen ethischen Konsequenzen ziehen müsste.

Wenn bereits im Titel des Buches für eine „Neue Aufklärung“ geworben wird, dann folgt daraus eine Kritik der früheren, der „alten“ Aufklärung. Hier knüpfen die Autorinnen und Autoren an die klassische Aufklärungskritik von Adorno/Horkheimer an, wenn sie betonen, dass die alte Aufklärung einen „falschen Universalismus“ verfochten und zu einseitig auf instrumentelle Vernunft und quantitative Maßstäbe gesetzt habe. Anders als Adorno/Horkheimer halten sie aber am Projekt der Aufklärung selbst fest, wollen sie weder verabschieden noch gar statt ihrer eine „Gegenaufklärung“ propagieren. Vielmehr müsse die „Neue Aufklärung“ die Fehler der Vergangenheit vermeiden. Statt des „falschen Universalismus“ müsse daher ein „Dialog der Kulturen“ auf Augenhöhe stattfinden. Die instrumentelle Vernunft, die Menschen und Natur als bloße „Mittel“ und nicht als „Zwecke“ an und in sich selbst betrachte, müsse ferner durch eine ökologisch sensible Vernunft ersetzt werden. Und die ausschließlich oder vorrangig quantitative Betrachtung der Welt müsse schließlich in einen qualitativen Zugang eingebettet werden. Es komme also darauf an, „den Schwerpunkt auf qualitatives statt quantitatives Wachstum zu legen“. Denn bereits Aristoteles habe die Idee der Lebensqualität als Grundlage der Ökonomie angesehen.

Es ist ein schmales, aber gehaltvolles und mutiges Büchlein, das hier vorliegt. Seine These, in einem Satz zusammengefasst, lautet: Wer die Geisteswissenschaften auf dem Weg zu einer „Aufklärung 2.0“ neu justiert, der widerspricht dem „Dogma des Neoliberalismus“ und leistet zugleich einen verantwortungsethischen Beitrag zur Rettung der natürlichen Umwelt und zur Gestaltung einer menschlicheren Zukunft. Man könnte auch noch kürzer sagen: „Fridays for Future“ sollte Teil des Projekts „Every Day for a New Enlightenment“ sein.

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