Islamdialog 2.0

Wie Christen und Muslime miteinander reden sollten. Eine katholische Kurskorrektur
Zentralmoschee in Köln
Foto: epd/Guido Schiefer
Zentralmoschee in Köln

Wer heute einen Dialog mit Vertretern des Islam führt, sollte sich keinesfalls auf das Thema Gewaltprävention beschränken. Aber wie kann der Islamdialog heute glaubwürdig sein, also wissenschaftlich fair, gesellschaftlich relevant und theologisch produktiv? Ein Vorschlag des Theologen und Islamwissenschaftlers Felix Körner, der den Lehrstuhl für Theologie der Religionen am Zentralinstitut für Katholische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin innehat.

Wie glaubwürdig kann der Islamdialog noch sein? Das ist keine neue Frage. Besonders laut stellte sie ein hoher vatikanischer Würdenträger schon 2014. So fragte damals wohlgemerkt kein Dialoggegner, sondern Kardinal Jean-Louis Tauran (1943 – 2018), erfahrener Diplomat und Leiter des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog. Er rief seine Frage fast verzweifelt in die Welt, vor allem in die muslimische. Denn er verlangte von islamischen Gelehrten eine unzweideutige Verurteilung islamistischer Gräueltaten an Christen, Yeziden und Menschen anderer Religionsgemeinschaften. Man spürte Taurans ungeduldiger Formulierung an, dass er auch kirchlicherseits unter Druck stand. Wie glaubwürdig kann der Islamdialog noch sein, wenn muslimische Repräsentant*innen Verbrechen im Namen des Islam nicht eindeutig als unislamisch verurteilen?

Es gibt immer wieder islamische Stellungnahmen, die genau das tun. Auch im Jahre 2014 verfassten islamische Gelehrte – damals 126 internationale Unterzeichner – einen Brief, der traditionell-rechtlich begründete: Die islamistischen Verbrecher können sich nicht auf islamische Normen berufen. Ein Dialog­erfolg? Vorsicht! Die Frage aus dem Vatikan klang nach einem äußerst eingeschränkten Dialogverständnis: Wir treffen uns mit Muslim*innen zur Gewaltprävention. So sinnvoll eine solche Zielvorgabe gelegentlich ist, so offenkundig reduziert sie doch den Islam auf ein einziges Thema – und ebenso den Dialog: islamistische Gewalt gegen Andersgläubige. Inzwischen hat sich die Dialogszene zumindest im deutschsprachigen Raum gewandelt.

An zehn staatlichen Universitäten und seit mehr als zehn Jahren gibt es das Fach Islamische Theologie. Hunderte von hierzulande Aufgewachsenen studieren inzwischen dort ihre islamische Glaubenstradition. Die Dozierenden sind selbstverständlich Muslim*innen. Was sie unterrichten, ist ja nicht nur Islamwissenschaft, sondern Theologie; und zum Großteil sind sie, wie die Studierendenschaft, deutsche Muttersprachler*innen. Natürlich gibt es Spannungen, sogar Konflikte: Der eine Dozent, die eine Professorin sei zu wenig traditionsbewusst, lautet ein studentischer Protest. Auch unter den islamischen Kolleg*innen kommen Richtungsstreitigkeiten zum Vorschein. Vor allem sind die Beziehungen zu den islamischen Repräsentanzorganen notorisch belastet. Das aber ist kein Zeichen für ein scheiterndes Projekt, nicht einmal für Kinderkrankheiten, sondern für eine lebendige Theologie. Derlei dürfte an christlichen Universitätstheologien ebenfalls vertraut sein: kollegialer Streit, kritische Hörer*innen und gelegentlich auch Zerrüttung zwischen akademischer Lehre und maßregelndem Lehramt. Ergebnis: Die christlich-theologischen Universitätseinrichtungen haben eine neue Gesprächspartnerin bekommen – sie ist jung, sie ist ehrgeizig, vielstimmig und hochspannend: islamische Theologie. Damit hat auch der christliche Islamdialog neue Aufgaben bekommen. So stellt sich unter neuen Bedingungen die Frage neu: Wie kann der Islamdialog heute glaubwürdig sein, und das heißt auch: wissenschaftlich fair, gesellschaftlich relevant, theologisch produktiv?

Um hier weiterzusehen, sind drei Missverständnisse im Religionsdialog aufzudecken. Das erste betrifft sein gesellschaftliches Ziel, das zweite sein theologisches. Das dritte Missverständnis verzeichnet die dem Dialog zugrundeliegende Religionstheologie. Um die drei Missverständnisse knapp benennbar zu machen, werden sie mit neuen Bezeichnungen versehen (allerdings ohne den Anspruch, die Benennungen müssten sich dauerhaft durchsetzen).

Gefährdete Identität

Das erste Missverständnis ist „atmosphäristisch“. Es geht von der Überzeugung aus, die Identität einer Nation sei gefährdet, wenn in ihr Religionen in echter Verschiedenheit aufeinandertreffen und sich öffentlich äußern. Nationaler Erfolg brauche eine harmonische Atmosphäre in der Gesellschaft; und Harmonie bestehe darin, dass sich die Menschen in Glaubensfragen einig sind.

Papst Franziskus geht indirekt auf dieses Missverständnis ein, wenn er die Gläubigen in ihrer Unterschiedlichkeit ermutigt, mit einem coraggio dell’alterità zu leben: mit Mut zum Gegenüber. Damit meint er ausdrücklich den Mut, sich mit anderen Menschen – auch den religiös anderen – gemeinsam auf den Weg zu machen. Jedoch davor noch meint er mit coraggio dell’alterità etwas anderes: den Mut, anders zu sein. Man muss kein Auseinanderfallen der Gesellschaft befürchten, wenn verschiedene Glaubens­traditionen miteinander konkurrieren und debattieren. Nur erfordert konfrontative Pluralität einen Rechtsrahmen, der echte Religions- und Gewissensfreiheit garantiert. Gefährdet das die Einheit der Nation? Nein. Im Gegenteil können unterschiedliche Weltsichten, Wissenstraditionen und Wertordnungen, die es in jeder Gesellschaft gibt, im Religionsdialog ihr bestes Übungsfeld finden. Denn hier kann die Theologie die Begegnung mitgestalten, also die Reflexion auf das Unverfügbare an den Grenzen der Rationalität. Man muss sich durchaus nicht – „atmosphäristisch“ – zuerst einig sein, um miteinander die Zukunft eines Landes gestalten zu können.

Wer verschiedene religiöse Überzeugungen mit atmosphäristischer Sorge betrachtet, neigt dazu, dem Dialog nur eine Aufgabe zuzugestehen: dass man sich einigt. Dafür lässt sich nun die christliche Theologie mit ihrer jüngeren Erfahrung heranziehen. Verschiedene Sprachtraditionen und Denkkulturen brachten unterschiedliche Formulierungen des christlichen Glaubens hervor. Viele von ihnen hören sich wie Gegenpositionen an. Beispiel: Gott ist eine Wesenheit – oder drei. Beides wurde christlicherweise vertreten, weil man verschiedene Verständnisse von „Wesenheit“ mitbrachte. Streit war die Folge, und Spaltung.

Differenzierter Konsens

Ein anderes Beispiel: Erlösung kann man sich nur glaubend schenken lassen – oder ist die Erlösung ein Geschenk, an dem menschliches Tun beteiligt ist? Beides wurde christlicherseits vertreten, weil man verschiedene Glaubensbegriffe mitbrachte. Neue Spaltung war die Folge, und Krieg. Erst im 20. Jahrhundert besann sich die christliche Theologie, begann unterhalb der querliegenden Ausdrucksweisen ein gemeinsames Christusbekenntnis zu erkennen, und entwickelte Formeln wie den „differenzierten Konsens“, der Übereinstimmungen und Akzentunterschiede anerkennen konnte. Im Grunde meine man dasselbe, drücke es nur anders aus. Das ist die ökumenische Erfahrung mit ihren historisch, systematisch und gesellschaftlich so ergiebigen Forschungen.

Diese Erfolgsgeschichte müsse man doch auch auf die Begegnung der Religionen anwenden können, war eine naheliegende Forderung. Scheinbare Glaubensunterschiede seien bloß Ausdrucksvarianten. Man könne doch geschlossen auftreten, als die eine Menschheitsfamilie oder zumindest als die Gemeinschaft aller Religionen. Man müsse nun nur noch ein paar gemeinsame Werte zum Besten geben oder gar ein gemeinsames Glaubensbekenntnis ablegen, und die entscheidende Einheit sei gefunden. Genau das aber ist das „ökumenistische“ Missverständnis! Was lässt sich dagegen einwenden? Selbstverständlich gibt es Gemeinsamkeiten! Mit jedem Gesprächspartner wird man irgendeinen Satz unterschreiben können. Für ein diplomatisches Vorankommen genügt das. Dort wird der gefundene Konsens oft vage sein – mitunter banal; aber eine solche Übereinstimmung kann notwendig sein, zur Gewaltprävention. Doch ein theologisch inspiriertes Ringen um die gerechte Lebensordnung im Rechtsstaat wird gerade nicht dadurch befördert, dass man religiöse Einigkeit behauptet und sie mit unscharfen Binsenweisheiten verbrämt. Das weltgestaltende Ringen gelingt vielmehr dann, wenn die unterschiedlichen Narrative in ihrem Eigencharakter zur Geltung kommen können. Dann wird Religionsbegegnung wissenschaftlich lehrreich und gesellschaftlich weiterführend. Wenn der Staat Meinungsfreiheit gewährleistet und so sein Gewaltmonopol sicherstellt, ist nicht Toleranz gegenüber anderen die Gipfeltugend der Religionsbegegnung, sondern Interesse am andern.

Religionstheologisch entfaltet sich das „atmosphäristische“ Missverständnis ebenso wie das „ökumenistische“ des christlich-islamischen Dialogs regelmäßig als hübsche Theorie: Die beiden Religionen seien Zeuginnen derselben göttlichen Wirklichkeit von unterschiedlichen Perspektiven aus. Jede von ihnen benenne eben einen anderen Aspekt Gottes. Gott selbst jedoch bleibe unsichtbar. Das berühmte Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten muss dann herhalten: Jede Tradition betaste ein anderes Körperteil des Tieres. Anschließend seien sich die Religionen beim Austausch über das Betastete nur deshalb uneinig, weil alle bloß einen Aspekt der Wirklichkeit berührt hätten, jede einen anderen. Jede sage etwas Richtiges, jede aber nur einen Teil. Dialog ist dann „aspektistisch“ missverstanden. Man könne nur dann rücksichtsvoll miteinander reden, wenn die Ansprüche der verschiedenen Religionen nebeneinanderstehen. Keine von ihnen könne das Ganze begreifen, jede von ihnen aber biete einen wahren Aspekt.

Das entspricht allerdings weder dem christlichen Zeugnis noch dem islamischen. Wie sehen Christentum und Islam tatsächlich die Erkennbarkeit Gottes? Der christliche Glaube weiß zwar, dass kein irdisches Bewusstsein die Einzelheiten des göttlichen Vorhabens kennt. Dennoch erhebt er einen äußerst hohen Anspruch: Die Menschen dürfen aufgrund der Christusereignisse bereits wissen, dass Gott die gesamte Weltgeschichte an deren Ende endgültig geheilt haben wird. Damit ist in Christus aller Welt eine Quelle von endgültiger Zuversicht geschenkt, die anderswo nicht zu haben ist. Auch islamischerseits beansprucht man mehr, als das „aspektistische“ Dialogverständnis zulassen will. Man sagt nämlich etwas über alle Religionen. Erstens müsse jede Theologie sich stets mit dem Vorbehalt äußern, dass Gott in seiner Freiheit auch ganz anders handeln könne, als er es den Gläubigen zu verstehen gab. Zweitens liefert man eine umfassende Religionstheologie, derzufolge alle Gottgesandten dasselbe vermitteln wollten, was nun im Koran vorliegt, sodass jede Abweichung davon Entstellung der Gottesbotschaft ist. Und schließlich zählt man deshalb Jesus hochachtungsvoll zu den vorkoranischen Gesandten, sodass er nicht die alles entscheidende Geschichtswende darstellt.

Hübsche Theorie

Wo die Theologien nicht mehr bloß verschiedene religiöse Ansprüche vergleichend nebeneinanderlegen und nicht mehr bloß Studierende in getrennten Hörsälen nebeneinander arbeiten lassen; wo die Theologien vielmehr miteinander lernen und streiten und einander auch zugestehen, Ansprüche der anderen argumentativ zu bestreiten; wo sie so, in anerkannter Andersheit, miteinander reden, forschen und lehren, ist der Islamdialog in eine neue Phase eingetreten. Dann sitzen wir schon am Projekt der gemeinsamen Weltgestaltung mit anderen, die als andere anerkannt sind. Dann sind wir schon über das hinaus, was man früher „komparative Theologie“ nannte. An der Humboldt-Universität etwa wird das nicht mehr „atmosphäristische, ökumenistische, aspektistische“, sondern kontrovers-produktive Zusammenwirken der evangelischen, islamischen, katholischen und jüdischen Theologien gerade eine wahrhaft „interaktive Theologie“. 

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Foto: Ines Grabner

Felix Körner

Dr. Dr. Felix Körner SJ ist Professor für Theologie der Religionen an der Humboldt-Universität zu Berlin.


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