Neuland ist nicht nur das Internet für manche Politikerin, Neuland war auch für die katholische Kirche die Beisetzung eines papa emeritus. Aus Anteilnahme oder schlichter Neugierde verfolgten daher viele die Beerdigungszeremonie am 5. Januar auf dem Petersplatz. So auch ich.
Gespannt war ich vor allem auf die Predigt des Franziskus über seinen Amtsvorgänger. Ist doch viel im Vorhinein spekuliert worden über ihr Verhältnis, den Kampf der Richtungen in Kurie und Weltkirche. Gerade auch die persönlichen und würdigenden Äußerungen von Franziskus über seinen Vorgänger unmittelbar nach seinem Tod hatte meine Erwartungen an diese Predigt geweckt. Und ja, mir war schon klar, dass der Papst dennoch über das Amt, das er selbst (noch) innehat, reden muss (aber darüber zu reden, ist ihm bei Leibe nicht unbekannt) – und ja, ich hatte auch so viel Kenntnis von katholischen Beerdigungsansprachen, dass sie nicht einfach eine Lobrede darstellen und dass es bisweilen „förmlicher“ zugeht als bei vielen evangelischen Trauer- und Trostansprachen. Geschenkt! Geschenkt!
Aber was ich dann hörte, unterbot selbst meine niedrigsten Erwartungen. Böse formuliert war mein erster Eindruck: „Eine leere Phrase reiht sich an die vorherige, so dass die Phrasendreschmaschine an den Rand des Kurzschlusses gebracht worden wäre.“ Meine Kontrollfrage war: Wer würde eine solche Ansprache am Grab eines normalen Gemeindemitglieds wagen? Okay, trotz der genannten institutionellen Einschränkungen fand ich: fürchterlich trostlos.
„Lustlos, kraftlos, unpersönlich“
Aber das war ja nur ein erster Gedanke, dem man in der Regel keinen Raum geben soll. Daher habe ich durchaus gefiltert dann folgenden Tweet auf Twitter verfasst:
„Traueransprache #Franziskus für #BenediktXVI sinnbildlich für die katholische Kirche: Floskeln, lustlos, kraftlos, unpersönlich. Wie soll eine solche #Kirche Menschen halten, geschweige denn anlocken?“(siehe Bild oben)
Diese – Twitter-üblich nicht zu allzu großen Differenzierungen fähige – Deutung hat eine intensive Diskussion losgetreten. Manche fühlten sich verletzt, andere deuteten die Ansprache für Benedikt anders, sahen darin gar eine tiefe Spiritualität walten (da scheine ich – trotz gewisser Vorkenntnisse – doch religiös zu unmusikalisch gewesen zu sein, um die zu identifizieren). Jedenfalls kam in den Reaktionen so Vieles zu Tage, was weit jenseits dieser Ansprache Bedeutungen in sich trägt, dass es sich lohnt, diese Reaktionen zu sortieren. Unterschieden werden muss zwischen den Deutungen (der Deutungen) a) der Rede und b) der Bezugnahme zur katholischen Kirche insgesamt.
Zunächst a) zur Rede: Hier sagen die einen (u.a. ich): Sie sei kraftlos und unpersönlich gewesen; andere halten dagegen: Sie sei ganz angemessen zu den komplizierten institutionellen und liturgischen Erwartungen gewesen.
Auch hier müssen mindestens zwei Ebenen unterschieden werden: 1.) Ist eine solche – aus meiner Sicht unpersönliche – Traueransprache allgemein (aber was bedeutet hier ‚allgemein‘?) so angemessen? 2. War (unter Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung von 1.) diese konkrete Rede von diesem Menschen (und Funktionsträger) für diesen Menschen (und Vorgänger im Amte) aus diesem Anlass angemessen?
Lobrede auf den Verstorbenen?
Meine Einschätzung dieser Punkte möchte ich in eins präsentieren, und es dürfte leicht sein, die Beachtung der genannten Subpunkte zu identifizieren: Es ist zunächst nicht richtig zu behaupten, dass man in katholischen Begräbnisansprachen nur das Evangelium und dies quasi unabhängig von der verstorbenen Person predigen muss, wie mehrfach – ausgerechnet von bekannten progressiven Theologen – behauptet wird. Das widerspricht nicht nur elementar (konfessionsübergreifend) konsentierten pastoraltheologischen Standards, sondern auch der (kirchenrechtlichen) Freiheit des päpstlichen Predigers, (wenn es so wäre – was es wie gesagt nicht ist) neue Standards zu setzen. Er könnte, wenn er anderer Auffassung ist, anders agieren.
Auch ist der von prominenter Seite (Thomas Söding) eingebrachte Hinweis, dass nur das Evangelium zu predigen sei, aber nicht eine Lobrede auf den Verstorbenen, irreführend. Wer behauptet denn, dass das eine vollständige Alternative sei? Pastoraltheologisch wird man eher sagen müssen: In einer gelungenen Beerdigungsansprache ist das Evangelium im Lichte des Lebens des Verstorbenen – seinen guten wie weniger gelungenen Seite und angesichts des Umstandes, dass wir alle auf Vergebung angewiesen sind – als Trost und Hoffnung für die Hinterbliebenen zu predigen. Und diese sind nicht nur der Hofstaat, sondern die gesamte (katholische) Weltkirche.
Angesichts der Predigt von Franziskus mag man sich ganz nüchtern fragen: Ist es Franziskus gelungen, diese ganz basalen Erwartungen trotz der gewissen, aber doch nicht unüberwindlichen Komplexität dieses Falles (Ein „Stellvertreter Christi“ redet über den vorherigen „Stellvertreter Christi“) zu erfüllen? Jemand sagte: Wer zwischen den Zeilen lesen kann, der hört die notwendigen (auch tröstenden?!) Aussagen zur Person von Ratzinger resp. Benedikt. Aber – im wahrsten Sinne des Wortes: um Himmels willen – wie kann der höchste Vertreter der katholischen Kirche so indirekt in einer solchen Situation reden? Soll die Botschaft nur bei denen ankommen, die im Innersten der Bubble sind? Alle anderen können es nicht verstehen und wundern sich. Machen Sie mal den Test, wie viele schon normale Katholiken welche Anspielungen auf das Leben von Josef Ratzinger verstanden haben. Sie werden ernüchternde Ergebnisse bekommen. Wenn Sie der Auffassung sind: Ja, genauso soll es sein, bleibe ich unumwunden bei meiner These: Eine solche Predigt besteht für mich nur aus Floskeln und kommt lustlos, kraftlos, unpersönlich daher. Wer so predigt, muss sich nicht wundern, dass Menschen, die einer solchen Ansprache folgen, sagen: „Mit denen, die so von Gott reden, will ich nichts zu tun haben.“
Nachlesen lohnt sich
Und für alle mit kurzem historischem Gedächtnis: Dass auch katholischerseits, genau an der Stelle, ziemlich genau anlässlich dieses Ereignisses einer Papstbeerdigung sehr wohl Evangelium und Deutung des Lebens im Lichte des Evangeliums mit persönlicher Wertschätzung zusammengedacht werden kann, demonstriert nun niemand anderes als ausgerechnet Josef Kardinal Ratzinger bei seiner Predigt in der Beerdigungsliturgie für Johannes Paul II. am 8. April 2005. Sage mir keiner, dass das für Franziskus alles viel komplizierter war, weil er selbst – und nicht ein Kardinal – seinen Vorgänger würdigen musste; nein, im Stil hätte er genau so auch predigen können. Es lohnt sich – allen Mythenerklärern und Gralshütern auf allen Seiten zum Trotz diese Predigt nachzulesen – und das sage ich als jemand, der dem frühen Theologen Josef Ratzinger viel verdankt, aber den späteren Papst sehr kritisch betrachtet hat.
Apropos „Deutung verschiedener Seiten“: Bei der Beurteilung der Predigt scheinen zumindest bei katholischen Diskutanten einige nicht aufgedeckte Vorannahmen eine entscheidende Rolle zu spielen. Mir fällt auf, dass ausgerechnet von mir als progressiv eingeschätzte Theologen Franziskus verteidigen und ich umgekehrt für meine Kritik an der Predigt Lob erhalte von eher konservativen Menschen. Das ist insofern bemerkenswert, weil man (katholischerseits) an sich eine persönliche Traueransprache als liturgisch progressiv erachten würde (aber ausgerechnet Progressive hier den Rückgriff auf Traditionen vornehmen). Meine erste Deutung von außen lautet: Offensichtlich sind die Fronten in der katholischen Kirche so verhärtet, dass jegliche Kritik an Franziskus (dem letzten vermeintlichen Hoffnungsstrohhalm von und für Reformwilligkeit; ob er das ist, sei angesichts seiner mäandernden Äußerungen zu Reformnotwendigkeit der katholischen Kirche mal dahin gestellt) gleich als Angriff auf Reformbestrebungen überhaupt gewertet wird – und umgekehrt: dem traditionalistischen Lager scheint jedes Mittel, auch mit theologischer Inkonsequenz, recht zu sein, Franziskus zu diskreditieren.
Grobes ökumenisches Foul?
Aber um diesen Konflikt zwischen den bekannten Lagern in der katholischen Kirche ging es mir bei der Kritik an der Predigt nicht. Tatsächlich habe ich diesseits des binnenkatholischen Streits um Reformdynamiken allerdings die These vertreten, dass eine solche Predigt sinnbildlich für die katholische Kirche steht.
Damit komme ich – durchaus auch selbstkritisch zu meinen Ursprungstweet – zu b): der Bezugnahme zur katholischen Kirche: dieser induktive Schluss von der Predigt auf die katholische Kirche hat so manchen empört. Er sei ein grobes ökumenisches Foul, wurde mir vorgeworfen. Dabei stellt sich zunächst die simple, aber schwierig zu beantwortende Frage: Was meint „katholische Kirche“ in Selbst- und Fremdbeschreibung?
Zunächst jedoch stelle ich mir und anderen die Vorfrage: Darf sich ein evangelischer Theologe scharf zur katholischen Kirche äußern? Ja, ganz einfach: weil es um Fragen geht, die weit jenseits der katholischen Kirche bedeutsam sind und weil ökumenische Sensibilität wichtig ist, aber nicht hinreichend dafür, sich zu bestimmten Entwicklungen nach gewisser Zeit nicht äußern zu dürfen.
Ich äußere mich schon deshalb, weil ich als öffentlicher Theologe, also als jemand, dem das Forum der öffentlichen Theologie wichtig ist, wahrnehme, dass der alte Witz „Die Leute treten aus der evangelischen Kirche aus, weil der Papst die Pille verbietet“ inzwischen vielfach bittere Realität geworden ist: Stichwort „Woelki“. Zugleich gestehe ich sofort zu: Was sagt es über das Erscheinungsbild der evangelischen Kirchen und ihrer Vertreter:innen aus, wenn sie offensichtlich so wenig Profil bilden, dass immer mehr Menschen diese fatale Identifizierung vornehmen? Geschenkt!
Dennoch – und damit bin ich bei der Zentralfrage: Was meint „katholische Kirche“ in Selbst- und Fremdbeschreibung?: Von der katholischen Kirche rede ich – wohl nicht zu Unrecht – als der offiziellen römisch-katholischen Amtskirche. Mit Blick auf sie kann ich in vermeintlich ökumenischer Höflichkeit nicht mehr akzeptieren, dass und wie sie sich aufstellt, wie wenig sie willig ist, moderne Menschen in ihrer Suche nach Sinn, Gemeinschaft und Hoffnung, ernst zu nehmen und stattdessen ein klerikalistisch-verknöchertes Bild der Botschaft Jesu Christi vertritt, das der tröstenden und verheißungsvollen Grundbotschaft von neuem Leben, von versöhnter Endlichkeit und Liebe massiv widerspricht. Leider, leider erfolgten und erfolgen oft nur floskelhafte, im Handeln ganz unangemessene Reaktionen auf den größten Skandal ihrer neueren Geschichte, den Skandal um die sexualisierte Gewalt, ihre halbherzige Aufarbeitung. Dies fügt dem christlichen Zeugnis in der Welt dramatischen Schaden zu. Das empört mich.
Irgendwann sagt man: „Es reicht!“
Man könnte also umgekehrt formulieren: Es ist ein ökumenischer Skandal, wie die offizielle römisch-katholische Kirche diesem ökumenischen Anliegen, die Sache Jesu zu befördern, schadet – und da darf man irgendwann sagen: „Es reicht! Es reicht auch mit der Höflichkeit!“ Erste Signale wie die der rheinischen Kirchenleitung, eine offizielle Einladung zu einem Empfang von Kardinal Wölki auszuschlagen, sind schmerzhaft, ein Offenbarungseid für beide Seiten, aber überaus nachvollziehbar.
Nochmals genereller formuliert: Der Verweis auf die Ökumene darf kein Diskurs-Stopper sein, um unangenehmen Wahrheiten nicht ins Auge zu sehen zu müssen. Und zu diesen unangenehmen „Wahrheiten“ könnte dann eben für viele zählen: „In dieser Kirche kann ich nicht länger meine Glaubensheimat finden“ – auch wenn die mit bewundernswerter (oder Don Quichotte’scher) Hartnäckigkeit um den Synodalen Weg sich versammelnden Reformkatholiken dies anders sehen wollen, um nicht zu verzweifeln.
Die offizielle römisch-katholische Kirche aber ist allen alternativen dogmatischen und praktisch-theologischen Deutungen vom pilgernden Volk Gottes und ähnlichen dynamischen Bildern zum Trotz kirchenrechtlich eine streng von oben nach unten, hierarchologisch organisierte, statische Organisation, die eine strenge Grenze (mit einem – hier nicht zu diskutierenden – Ausnahmefall des Diakonats von so genannten viri probati) zwischen den dem Zölibat verpflichteten Klerikern und den so genannten Laien kennt. Das bedeutet, dass in die entscheidenden Leitungsämter nur unverheiratete Männer kommen, die in diesem klerikalen Gestus erzogen worden sind und darin oftmals ihre primäre Anerkennung suchen (müssen).
Nüchtern betrachtet lässt sich dieses System tatsächlich nur so ändern, dass der Druck so groß wird, dass in möglichst großem Konsens mit den anderen Bischöfen der eine Mann auf dem Papstthron sagt: „Jetzt müssen wir umkehren und vieles ändern: Aggiornamento!“ Scharf formuliert: Wenn eine Milliarde Katholiken „Hü!“ rufen, aber die eine Person auf der Kathedra Petri „Hott!“ sagt, gilt „Hott!“. So klar ist das katholische Kirchenrecht – es rechnet durchaus mit Schwarmintelligenz oder in der kirchlichen Sondergruppensemantik formuliert: mit dem Heiligen Geist, aber nicht ohne die Bestätigung dieser einen Person – Nebenbemerkung für die kirchenrechtlich und dogmatisch an Details Interessierten: nicht ohne das „ex sese“[1] des Vaticanum I, das auch das Vaticanum II nicht zurückgenommen hat resp. zurücknehmen konnte.
In der eigenen Bubble verharren
Dass ein solch hierarchologisches Modell in der Gefahr steht, die Glaubensbotschaft eher ritualisiert – andere würden sagen: verknöchert – zu vertreten, überrascht nicht wirklich. Aber in Zeiten des vielfachen Traditionsabbruches, in denen Religionsgemeinschaften ihre Glaubwürdigkeit – jedenfalls wenn sie nicht nur vor und in der eigenen Bubble ihre Botschaft zelebrieren wollen – neu suchen müssen, wirkt sich ein solcher Ansatz fatal aus.
Nicht der böse Zeitgeist treibt viele Leute aus der Kirche, sondern dass die Kirche die Zeichen der Zeit nicht erkennen will und nicht bereit ist, sie im Lichte des Evangeliums zu deuten – um mit einer berühmten Formulierung des Vaticanum II zu „spielen“. Und genau der Gestus, also völlig abgekoppelt von der Lebenswirklichkeit moderner Menschen in der eigenen Bubble zu verharren, steile theologische Sätze ohne ernsthaften Rezipientenbezug zu verbreiten, der zeigt sich in der Beerdigungsansprache von Franziskus für Benedikt. Die Ansprache ist nicht identisch mit der katholischen Kirche als ganzer, aber sie steht sinnbildlich für den Geist der hierarchologisch verfassten römisch-katholischen Amtskirche. Die harsche Reaktion Franziskus‘ auf die Bemühungen des Synodalen Weges (sinngemäß: „Wir haben in Deutschland bereits eine evangelische Kirche; wir brauchen keine zweite.“) sollte allen die Augen geöffnet haben, wie weit der Reformwille in Rom – präziser: bei Franziskus selbst – reicht. Und ja: da die offizielle römisch-katholische Amtskirche der Auffassung ist, sie sei die eine, wahre, heilige, katholische und apostolische Kirche (und nochmals für die dogmatisch Spitzfindigen: die Rahner’sche Deutung der genannten Identifikation von katholischer Amtskirche mit der universalen Kirche Christi durch das ‚subsistit in‘ hat sich amtlicherseits – immerhin ist diese Formel schon seit 50 Jahren bekannt – nicht durchgesetzt), ist es legitim zu sagen: Diese Predigt steht sinnbildlich für die sich so verstehende katholische Kirche.
Ich füge ein selbstkritisches „Aber“ hinzu: In meinem Ursprungstweet habe ich unterschlagen, dass ich die Amtskirche meine. Obwohl die Gleichsetzung aus deren Sicht legitim, ja geboten ist, hätte ich natürlich schreiben können, dass es die unendlichen vielen Engagierten und die gibt, die immer noch Hoffnung auf Reformen setzen. Selbstverständlich sind auch sie und die immense Vielzahl und Vielfalt ihrer Spiritualität und ihres bezeugten Glaubens katholisch. Unbedingt! Die römisch-katholische Amtskirche beansprucht zwar die religiöse „Trademark“ ‚katholisch‘, aber diese ist weder faktisch noch normativ exklusiv. Und so habe ich einerseits großen Respekt vor vielen kritischen und engagierten Christgläubigen innerhalb der katholischen Kirche – wir sind ja alle Glaubensgeschwister – und verstehe, dass sie sich verletzt fühlen durch eine von mir so zunächst vorgenommene Generalisierung, dass diese Predigt sinnbildlich für das Katholische stehe, obwohl ich das verknöcherte amtskirchliche System gemeint habe.
Man muss Konsequenzen ziehen
Aber anderseits müssen sich auch die Engagierten und Kritischen schon sagen lassen, dass sie auf Reformen in genau dieser Organisation setzen, die für sich diesen exklusiven Selbstanspruch hat. Ich kann auch nicht sagen, wenn ich in einer Partei bin, aus der andauernd problematische Äußerungen von der Parteispitze kommen: „Aber damit habe ich nichts zu tun; ich arbeite daran, dass sich das ändert“. Wenn ich dann nicht willig bin, Konsequenzen ziehen, wenn sich wider Erwarten meinerseits über einen langen Zeitraum die Positionen der Parteigranden nicht ändern, dann darf es mich nicht wundern, dass ich irgendwann genau mit der von mir selbst von innen heraus kritisierten Partei von außen identifiziert werde.
Und ja, den Geist des Beharrens, der Verknöcherung und der Mutlosigkeit sehe ich auch in den evangelischen Kirchen. Geschenkt! Aber darum geht es bei der Diskussion im Anschluss an die Predigt von Franziskus nicht. Mit einem solchen Whataboutism kann man sich gegen jegliche Kritik immunisieren. Jetzt geht es um diese Predigt und um ihre möglicherweise symptomatische Bedeutung für das Selbst- und Fremdverständnis der katholischen Kirche, die nach Auffassung der katholischen Amtskirche mit der von Oben nach Unten organisierten römisch-katholischen Kirche identisch ist.
Noch einmal: Es geht mir überhaupt nicht darum, die Realität in meiner Kirche zu beschönigen. Mit Schaudern erinnere ich mich an den Satz eines leitenden evangelischen Kirchenbeamten, der mich angesichts meiner Überlegungen, in seine Landeskirche zu wechseln, fragte: „Wollen Sie wirklich zu uns kommen? Wir verwalten hier sowieso nur den Untergang!“ Einen Unterschied möchte ich aber doch festhalten: In den meisten evangelischen Kirchen, jedenfalls auf dem Gebiet der EKD, besteht die Möglichkeit, keineswegs in Willkür – es braucht schon immer satte Mehrheiten – dem geglaubten Wirken des Geistes dynamischer zu respondieren: Alle „Hüh!“, einer „Hott!“, und es gilt „Hott!“ – das geht bei uns nicht.
Wenn die offizielle römisch-katholische Amtskirche diese Sensibilität als Zeitgeist diskreditiert, dann bin ich froh, dass evangelischer Glaube diesem Zeitgeist Raum gibt. Im Prinzip und in aller Zweideutigkeit ist die evangelische Kirche so zumindest konstitutionell ehrlicher und zumindest von der Möglichkeit her näher bei den Menschen. Diese nüchterne Einsicht mag für manchen ein ökumenisches Foul sein, aber diesseits solcher Diskursstopperrhetorik sollten wir uns alle in mehr offener Ehrlichkeit und ehrlicher Offenheit üben. Es steht zu viel auf dem Spiel. Das hat diese trostlose Papstpredigt am 5. Januar in Rom sinnbildlich gezeigt.
[1] Beim Ersten Vatikanischen Konzil wurde beschlossen: „Wenn der Römische Bischof 'ex cathedra' spricht, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer kraft seiner höchsten Apostolischen Autorität entscheidet, dass eine Glaubens- und Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist, dann besitzt er mittels des ihm im seligen Petrus verheißenen göttlichen Beistands jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definition der Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte; und daher sind solche Definitionen des Römischen Bischofs aus sich (ex sese), nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich (non autem ex consensu Ecclesiae irreformabiles).“ (Pastor aeternus, Kap. 4)
Peter Dabrock
Peter Dabrock ist seit 2010 Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2012 bis 2020 war Dabrock Mitglied des Deutschen Ethikrates und von 2016 bis 2020 dessen Vorsitzender.