Susanna Faesch engagierte sich für die Interessen der nordamerikanischen Ureinwohner und war eine Vertraute des Sioux-Häuptlings Sitting Bull. Von ihr, geboren 1844 in Basel, erzählte vor wenigen Jahren auch der US-amerikanische Spielfilm „Die Frau, die vorausgeht“. Bekannter noch wird sie, die auch malte und sich als Künstlerin Caroline Weldon nannte, im deutschsprachigen Raum wohl nun durch das Buch Susanna des Erfolgsschriftstellers Alex Capus werden. Mit ihm setzt der französisch-schweizerische Autor fort, was er besonders gut beherrscht: eine Kombination aus qualitätsvoller wie flüssiger Erzählung und Aufbereitung ungewöhnlicher historischer Stoffe. Capus betrachtet die Historie aus ungekannten Perspektiven. Der Autor beziehungsweise sein Erzähler, der sich gelegentlich selbst zu Wort meldet, lässt keinen Zweifel daran, dass sein Stoff weit vorausweist und dass er mit ihm von einer Schwellenzeit erzählt, der beginnenden Moderne und schnell an Tempo gewinnenden Industrialisierung, die unsere Welt bis heute in Atem hält und sie längst zu überfordern droht.
Susanna ist die Geschichte einer Emanzipation und ein Stück Welt- und Kulturgeschichte in einem. Capus beginnt mit der Kindheit im noch provinziellen Basel, wo Susanna schon als kleines Kind erheblichen Eigensinn beweist. In diesem ersten Teil ist der Erzähler ganz bei sich; er fabuliert, schmückt aus und entwirft ein lebendiges Porträt einer streng protestantischen Bürgerschaft, die sich fast alle Sinnenfreuden versagt. Unter diesem Klima leidet besonders Susannas Mutter. Dass sie, Maria, mitsamt ihrer Tochter den auch dies mit größter Selbstdisziplin zur Kenntnis nehmenden Gatten Lukas Faesch Mitte der 1850er-Jahre verlässt, werden Leser verstehen. Nach New York wandern sie aus, um dort mit einem Kriegskameraden von Lukas, einem deutschen Revolutionär, der mit ihm in der Fremdenlegion diente, zusammenzuleben. Hier reift Susanna zur Künstlerin und pflegt weiter ihre Individualität. Sie heiratet zwar, wird aber schwanger von einem anderen Mann – und zieht ihren Sohn dann alleine auf.
In diesem Teil des Buchs vermittelt Capus die meisten zeitgeschichtlichen Inhalte; er erzählt von Elektrifizierung und Arbeitsteilung, Wissenschaftsgläubigkeit, weißer Überheblichkeit und der Benachteiligung von Menschen anderer Hautfarbe, was manchmal ein wenig pflichtschuldig und dem Anliegen geschuldet wirkt, eine grundsätzlich zeit- und gegenwartskritische Haltung zu präsentieren. Literarischer wird das Buch wieder im letzten Teil, in dem Susanna mit ihrem Teenagersohn zur abenteuerlichen Reise in den Westen aufbricht, um den legendären Sitting Bull zu treffen. Hier gestattet sich der Autor auch wieder mehr erzählerische Freiheiten. Durchweg souverän erzählt ist das Buch aber gleichwohl. Sein literarisches Programm deutet Capus in Wendungen wie „Es ist überliefert“ am Anfang von vorgeblich historische Fakten aufzählenden Passagen an, die eben zugleich auch anzeigen, dass in einem Roman Fakten und Erfindung stets gemeinsam auftreten. Er schreibt gepflegt, anschaulich und erfindungsreich. Sein Ton wahrt immer eine gewisse Sachlichkeit, die zu seinen Hauptfiguren passt; denn die wollen sich zwar nicht fügen in die Umstände, bleiben aber doch, von der Prägung her, pflichtbewusste Protestanten. Wieder verarbeitet Capus einen Stoff, der weit über seinen Ursprungsort und seine Zeit hinausweist. Er schreibt für Menschen, die fesselnde Stoffe ebenso schätzen wie Autoren, die diese in niveauvolle Literatur verwandeln.
Thomas Groß
Thomas Groß ist Kulturredakteur des Mannheimer Morgen.