Heilige Mitbringsel
Im Urlaub transzendieren wir uns von unserem Alltag. Gleichzeitig sind auch Erinnerungen daran eine Form der Transzendierung. Dabei hilft uns oft ein Souvenir. Deshalb hat Maraike Heymann über dieses Thema promoviert.
Aufgewachsen in einer christlichen Familie, habe ich etwa mit 16 Jahren angefangen, mich in der Kirchengemeinde zu engagieren. Ich habe jahrelang Kindergottesdienst gestaltet und mich nach dem Abitur entschlossen, Theologie zu studieren. Mit Freude habe ich dabei schnell gemerkt, dass es um viel mehr geht als um die Leitung einer Gemeinde. Mir haben im Studium die breite Ausbildung und die Vielfalt der Fächer und Schwerpunkte gefallen.
Zu meinem Promotionsthema „Souvenir aus dem Paradies: Praktisch-theologische Erkundungen materieller Erinnerungen zwischen Urlaub und Alltag“ bin ich nicht dadurch gekommen, dass ich gerne in den Urlaub fahre oder Souvenirs aufhebe. Mich hat bei diesem Thema vielmehr die Nähe von Theologie und Tourismus gereizt, und damit meine ich nicht nur, dass viele Menschen sich am Urlaubsort Kirchen anschauen.
Meine Arbeit interessiert sich weniger für die Seelsorge in Urlaubsregionen, was zudem schon erforscht wurde. Mir geht es vielmehr um das, was im Urlaub geschieht: andere Perspektiven, andere Lebensstile werden gepflegt oder neu ausprobiert. Manche sagen dazu: Selbsttranszendierung. Im Urlaub transzendieren wir uns von unserem Alltag. Gleichzeitig ist die Erinnerung an den Urlaub eine Form der Transzendierung aus dem Alltag. Dabei hilft uns oft ein Souvenir, in ihm materialisiert sich diese Transzendierung.
Dabei ist nicht wesentlich, ob das Souvenir nun kitschig oder billig ist, so dass man sich darüber gepflegt gruseln könnte. Die Käuferinnen und Käufer von Souvenirs wissen ja in der Regel um den materiellen oder ästhetischen Wert des Souvenirs. Aber das spielt in dem Fall meist keine Rolle für den persönlichen Wert, mit dem das Stück sich auflädt. Kitsch liegt oft ja erst in den Augen der Betrachterin. Ist es kitschig, sich von jedem Urlaubsort einen Stein nach Hause mitzunehmen – oder eine liebgewonnene Routine? Ich selbst bringe mir seit ein paar Jahren durchaus kitschige Weihnachtsbaumkugeln mit, aber für mich ist wichtig, was damit zuhause passiert, nämlich wie sie dafür sorgen, dass gegensätzliche Pole des Jahres zusammenkommen.
Klar ist, Souvenirs polarisieren. Was der einen banal vorkommt, anrüchig erscheint oder sie peinlich berührt, schätzt der nächste hoch. Und mit Souvenirs verbinden sich individuelle Erlebnisse, die Eingang in die persönliche Erinnerung finden sollen, so dass sich über die Gegenstände nur unter Einbeziehung der beteiligten Subjekte sprechen lässt.
Sicherlich, ich musste gerade am Anfang meines Forschungsprojekts immer wieder begründen, weshalb ich Souvenirs als ein lohnendes Thema für meine Promotion empfinde. Zudem bekam ich gut gemeinte Ratschläge, dass ich meinen Religionsbegriff enger fassen sollte oder ich mich etwa auf Pilgerreisen konzentrieren sollte, bei denen der Zusammenhang zwischen Souvenir und Theologie offensichtlicher ist. Aber in den ganz weltlichen Souvenirs, wo das Label ‚religiös‘ nicht draufsteht, gibt es mehr Spielraum, etwas zu entdecken. Und dass Pilgersouvenirs auch eine religiöse Dimension haben, ist keine große Erkenntnis.
Generell wird die Souvenirforschung im deutschsprachigen Bereich weit weniger intensiv betrieben als im englischsprachigen. Mitunter hängt dies mit einer deutschsprachigen Wissenschaftstradition zusammen, die den Anspruch hat, ernste, gewichtige oder geistige Themen zu erforschen – und Bereiche eher meidet, die als leicht, spielerisch oder konsumorientiert erscheinen. Es ist gerade das Interessante an Souvenirs, dass es sich dabei um Objekte handelt, die mitgenommen und geschätzt werden, und zwar bei gleichzeitigem Wissen um ihre vermeintliche oder oberflächliche Austauschbarkeit. Der neue Zusammenhang eines mitgebrachten Souvenirs etwa im heimischen Wohnzimmer verändert seinen Gehalt. Es ist die Erinnerung, die ein Souvenir wertvoll macht.
In Souvenirpraktiken lassen sich religionsanaloge Muster entdecken, gerade wenn man davon ausgeht, dass Religion die Möglichkeit ist, für etwas einen Ausdruck zu finden, das sich uns am Ende entzieht. Souvenirs spiegeln, so beschreibt das ein Interviewpartner in meiner Arbeit, das „Puzzle des Lebens“. Zugleich werden sie vielleicht das eigene Leben überdauern, da gibt es Verbindungen zur Theologie. Die Theologie befasst sich viel mit den Übergängen des Lebens, in den Kasualien werden diese Übergänge religiös-spirituell aufgeladen und gespiegelt.
Die Selbsttranszendierung im Urlaub stammt als Konzept aus der Philosophie. Aber auch die Theologie wird angesprochen, denn im Urlaub schwingt oft viel Ungelebtes mit, es wird probeweise erlebt. Etwa wenn ich im Hotel kurzzeitig das Leben eines reichen Menschen lebe, der bedient wird, oder wenn ich bei einem Kanu-Urlaub das Leben eines Abenteurers erlebe. Hier geht es um den Menschen, der aufbricht und zurückkehrt, der sich weiterentwickelt und Erfahrungen macht – der dadurch keine andere Person wird, aber seinem Alltags-Selbst andere Versionen an die Seite stellt.
Dabei geht es übrigens nicht nur um Glücksgefühle, an die mich Souvenirs erinnern. Anhand der Interviews, die ich für meine Dissertation geführt habe, wird deutlich, dass auch ambivalente Erfahrungen im Urlaub durchaus als bereichernd empfunden werden. Warum? Weil sie zu meiner eigenen Geschichte gehören, selbst dann, wenn sie belastend waren, wenn sie mit einem Abenteuer oder gar mit Angst zu tun haben, aber am Ende einen guten Ausgang hatten.
Meine Arbeit trägt den Titel „Souvenir aus dem Paradies“, weil wir beim Reden über den Urlaub das Wort „Paradies“ nutzen – nicht zuletzt spricht die Tourismuswerbung gern von „paradiesischen Stränden“. Hier changiert sprachlich Religiöses und Lebensweltliches. Das Souvenir kann eine Erinnerung aus dem Paradies sein – und gleichzeitig hilft es, später wieder gedanklich in ein Paradies einzutauchen oder eben an den Ort, den man als Facette des Paradieses erlebt hat oder zuhause als solche konstruiert. Und das, obwohl wir natürlich wissen, dass es das Paradies auf Erden nicht gibt.
Information: Maraike Heymanns Dissertation ist gerade unter dem Titel Souvenir aus dem Paradies: Praktisch-theologische Erkundungen materieller Erinnerungen zwischen Urlaub und Alltag im Kohlhammer Verlag erschienen. 526 Seiten. Euro 59,–.
Aufgezeichnet von Philipp Gessler
Maraike Heymann
Maraike Heymann ist Pfarrerin in Bad Vilbel-Gronau.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.