Fehlstart in Jena

Warum ein neuer Studiengang so nicht fort­gesetzt werden sollte
Blick auf Jena
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Blick auf Jena

„Pioneer Ministry“ heißt ein Studiengang an der Universität Jena, der seit dem vergangenen Jahr eine mögliche Alternative zum klassischen Studium der Theologie bieten soll. Johannes Greifenstein, seit März Professor für Praktische Theologie an ebendieser Universität, hält den neuen Studiengang in dieser Form allerdings für einen Irrweg.

Es wird wieder einmal lebhaft über das Theologiestudium und den Pfarrberuf diskutiert. Das betrifft nicht nur altbekannte Fragen nach den Sprachanforderungen oder nach dem Verhältnis von Studium und Vikariat. Vor allem über neue Qualifikationsmöglichkeiten und alternative Berufsbilder denkt man intensiv nach. Und wegen Nachwuchsmangels werden Möglichkeiten eines Quereinstiegs immer wichtiger.

In diesen Kontext gehört auch ein neuer Studiengang an der Theologischen Fakultät Jena mit der Bezeichnung „Pioneer Ministry“, den man seit dem Wintersemester 2023 belegen kann. Nun ist es nicht neu, dass theologische Fakultäten ihr traditionelles Angebot über Lehramts- und Pfarramtsstudiengänge hinaus erweitern – etwa mit „Master of Religion and Culture“ in Berlin oder „Medien – Ethik – Religion“ in Erlangen. Und auch andere Optionen, um jenseits des traditionellen Theologiestudiums Wege zum Pfarrberuf zu eröffnen, sind etwa aus Frankfurt, Greifswald oder Marburg bekannt. Trotzdem soll das Angebot in Jena laut zugehöriger Homepage der „erste und bislang einzige Studiengang seiner Art im deutschsprachigen Raum“ sein. Auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland sieht als zuständige Landeskirche und maßgebliche finanzielle Unterstützerin ein „Alleinstellungsmerkmal“ darin, „dass es im Raum der EKD keinen vergleichbaren Masterstudiengang gibt“. Ein solcher Anspruch fordert heraus: Der neue Studiengang verdient eine entsprechende Erstbegegnung.

Schon die Bezeichnung wirft Fragen auf: „Pioneer Ministry“ – was soll das sein? Eine erste Recherche führt auf eine Seite der anglikanischen Church of Ireland (www.pioneerministry.org) und macht deutlich: Das Stichwort entstammt dem weiten Horizont des Themenfelds Kirchenreform. Man denke an die (auch thematisch verwandte) Übernahme des Begriffs ,fresh expressions of church‘. Ob hier ,frisch‘ oder dort ,pionierhaft‘, es zählen Innovation und Progression. Die Recherche führt aber auch an andere Orte. So lädt die Seite www.pioneerministry.com ein: „watch miracles now“. Ein Video zeigt einen Menschen, der seine Gehhilfe beiseitelassen und selbständig zu laufen anfangen kann. Das lässt sich zwar als mehr oder weniger interessantes religionskulturelles Phänomen einordnen, sorgt aber aus Sicht einer wissenschaftlichen evangelischen Theologie für ein – diplomatisch gesagt – erstes Befremden. Sollte es der Pionierdienst damit zu tun haben, mit Zeichen und Wundern, die man sehen muss, damit man glauben kann (Johannes 4,48)?

Eigentümliche Allianz

Doch im Blick auf Jena geht es nicht um die Frage, wie offen die Theologie für religionskulturelle Phänomene ist. Es geht um das Verständnis eines Studiengangs, der an der Theologischen Fakultät einer staatlichen Universität angeboten und von einer evangelischen Landeskirche finanziert wird. Hat dieser Studiengang in erster Linie mit einem gestiegenen Interesse an Mission im Horizont von Konfessionslosigkeit zu tun? Oder geht es um mehr: um ein anderes Verständnis von Religion? Um eine Neuausrichtung der Kirche? Läuft es gar darauf hinaus: hier die Theologie mit den alten Sprachen, dem historischem Ballast und der – kurzum – jede Unmittelbarkeit störenden Kritik, dort ein frommes Leben in echter Gemeinschaft, gebunden an die Bibel und geleitet von Gottes Hand? Geht hier Schleiermachers berühmter ,Knoten der Geschichte‘ zwischen Wissenschaft und Christentum auseinander? Noch dazu aufgeknüpft in einer eigentümlichen Allianz von staatlicher Hochschul- und kirchlicher Theologiepolitik, von Universitäts- und Kirchenleitung?

Auf solche Fragen führt nicht nur die Bezeichnung des neuen Studiengangs. Auch die Kooperationen, die man eingeht, machen Herausforderungen sichtbar. Als besonderes Kennzeichen von Pioneer Ministry wird nämlich die Vernetzung mit einer ganzen Reihe von Einrichtungen betont. Dabei geht es nicht nur um andere Disziplinen neben der Theologie – wie bei so manchem Studiengang, dessen Lehrangebot von verschiedenen Fachrichtungen bereitgestellt wird. Vielmehr führt die Reihe der Kooperationspartner aus dem universitären Raum und dabei auch aus Deutschland heraus. Während Hochschulen anderer Kirchen noch vergleichsweise zugänglich sind (wie zum Beispiel in Reutlingen oder Elstal), ist die „Organisation Dynamic Church Planting International (DCPI)“ mit Sitz in den USA vielleicht nicht nur mir unbekannt.

Ein – offen gesagt – Vorurteil bestätigt sich leider schnell. Die Selbstdarstellung weist diese Einrichtung als fundamentalistisch aus, und dies in einem bestimmten Wortsinn. Was nämlich ihre Geschichte betrifft – so kann man nachlesen –, so habe sie Gott selbst aufgebaut. Der „Herr“ habe dem Gründer in einer Vision den Weg gewiesen, und so fort. Daneben betont man die strenge Überwachung eines „Doctrinal Statement of Faith“, Ausweis eines vormodernen Biblizismus und Weltbilds: Von Jungfrauengeburt über Himmelfahrt bis Verbalinspiration der Bibel. Ähnlich ist das übrigens auch im „Statement of Faith“ der „World Assemblies of God Fellowship“ zu lesen, deren Mitglied der „Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden“ ist, die das ebenfalls als Kooperationspartner genannte Theologische Seminar Erzhausen unterhalten.

Nun gibt die Homepage dieses Studiengangs keine genauere Auskunft über die Ausgestaltung einer solcher Kooperation. Doch in diesem Fall ist die Grenze schon dort überschritten, wo eine solche Organisation überhaupt als Kooperationspartnerin auftaucht. Als neuberufener Professor an die Universität Jena, die diesen Studiengang eingerichtet hat, aber auch als Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland, deren Gliedkirche diesen Studiengang mitfinanziert, möchte ich am liebsten fragen: Ist das euer Ernst? Hat denn hier niemand das Kleingedruckte gelesen?

Um das klarzustellen: Es gibt viele Gründe, in der gegenwärtigen kirchlichen Lage über eine Differenzierung beruflicher Qualifikation nachzudenken, über multiprofessionelle Teams und eine Reform des Theologiestudiums. Es gibt viele Gründe, dabei zu experimentieren und zu explorieren, Traditionen zu überprüfen und Kompromisse einzugehen. Zu einer erst gedanklichen und dann pragmatischen Beweglichkeit (und Belastbarkeit) gehört es in diesem Kontext auch, eventuell liebgewordene Konzepte von akademischer Bildung selbstkritisch zu reflektieren – und sich umgekehrt auf das einzulassen, was mit anderen Frömmigkeitsstilen, anderen Kirchlichkeitsbegriffen oder überhaupt mit anderen Milieus oder Habitus zu tun hat.

Aber so weit sollte es nicht kommen: Dass an ein und demselben Ort (und teils mit demselben Personal) nicht nur die Theologie ihren Weg fortsetzen soll, sondern auch noch Phänomene befördert werden, die mit Prinzipien universitärer Bildung und staatlicher Wissenschaftspolitik nicht mehr im Einklang sind. Zwischen Ideen wie Gedankenfreiheit und Kritik auf der einen Seite, und jenen Vorstellungen von ,göttlicher‘ Führung und ,biblischer‘ Legitimation auf der anderen Seite bestehen nicht nur Unterschiede – um von konkreten Streitfeldern zu Themen wie Homosexualität einmal abzusehen.

Es besteht ein Konflikt. Genau jener Konflikt übrigens, den unsere auch in Sachen Religion an Freiheit orientierte Gesellschaft nicht zuletzt im Umgang mit dem Islam immer wieder als Herausforderung diskutiert – und in diesem Fall eine Theologie an staatlichen Universitäten aufbauen will, um sie mit besagten Prinzipien in ein konstruktives Verhältnis setzen zu können.

Vielleicht entspricht es gerade dieser Ausrichtung von Pioneer Ministry, dass die Berührung mit der sozusagen herkömmlichen Theologie ohnehin eher vermieden wird.

Unklares Bild

Das Bild ist allerdings nicht eindeutig. Denn was die konkrete Gestaltung der Lehre betrifft, so wird die Theologie einerseits wie eine Bezugsdisziplin neben anderen aufgeführt, andererseits sollen theologische Inhalte vermittelt werden. Welche aber sollen das sein – und welche bitte lieber nicht? Ein Blick in das Lehrangebot zeigt beispielsweise, dass bei den explizit mit dem Studiengang verbundenen Angeboten das Fach Kirchengeschichte überhaupt nicht auftaucht. Man wird eine freiwillige Teilnahme weder empirisch ausschließen noch normativ verwehren können, aber gebraucht wird diese Disziplin offenbar nicht.

Fast ebenso gilt das für die marginal bedachten bibelwissenschaftlichen Fächer, bei denen gerade das ausgespart scheint, was man mit historisch-kritischer und hermeneutischer Kompetenz in Verbindung bringt. Dem Bereich der Praktischen Theologie zugeordnet werden vor allem der Leitbegriff der Spiritualität und entsprechende Praxisvollzüge („Ausbildung und Formung einer eigenen Spiritualität“). Zwar ist immer wieder auch von Reflexion die Rede. Doch offenbar soll man vor allem nicht nur schon im Studium, sondern durch das Studium lernen, als Christenmensch zu leben. Wohl denen, die das auch lehren können – und die zuerst einmal wissen, was das ist!

Umgekehrt fällt auf, dass die Veranstaltungen für den neuen Studiengang nicht für Theologiestudierende vorgesehen sind – zumindest im Blick auf die zu erwerbenden ,Credits‘. Wird hier bereits im Studium das spätere Leben in der Sozialform der ,Sekte‘ (Ernst Troeltsch) eingeübt? Aber warum beansprucht man zugleich denkbar vollmundig, hier lerne man eine Vermittlung des Evangeliums jenseits bestehender Gemeindestrukturen und traditioneller kirchlicher Milieus? Genauer gesagt lautet der Anspruch sogar: Wenigstens hier lerne man es, oder endlich lerne das einmal jemand. Denn das Theologiestudium, von dem man zur eigenen Profilierung ein schlechterdings respektloses Zerrbild zeichnet (Pfarrer:innen halten lange Predigten und hören nicht zu), befähigt dem Selbstverständnis des neuen Studiengangs zufolge dazu gerade nicht. Weshalb aber bietet man die traditionelle Theologie dann überhaupt noch an?

Von anderen Anfragen abgesehen sei am Schluss an die gedacht, die den Studiengang Pioneer Ministry seit kurzem als Einstieg in ihre berufliche Zukunft wählen können. Wo die Homepage die Aussichten zu einem entsprechenden Berufsbild bewirbt, wird der Fokus auf einen kirchlichen Beruf einerseits überboten, so dass der Eindruck entstehen kann: Was die mit ihrem Theologiestudium können, könnt ihr dann sowieso auch! Andererseits geraten sehr vage Kompetenzen in den Blick: Hier werden sogenannte Entrepreneur:innnen befähigt, Startups zu gründen, die der Gesellschaft neue Impulse geben. 

Verantwortung zum Handeln

Ein neuer Studiengang soll zweifellos neue Wege beschreiten. Wie bei allem Neuen muss nicht alles schon beim ersten Mal gelingen. Doch umso größer ist die Verantwortung zunächst derer, die ein professionelles Interesse an solchem Gelingen zu nehmen haben. Dabei ist die Verantwortung, die man am Ort einer staatlichen Universität für Leitbilder von Wissenschaftlichkeit hat, nur das eine. Das andere ist die Verantwortung für die Menschen, die man mit diesem Studiengang gewinnen will, und denen man mit diesem Studiengang nicht nur ein Angebot macht, sondern denen gegenüber man auch eine gewisse Verpflichtung eingeht. Diese Verantwortung fordert im Fall des neuen Studiengangs Pioneer Ministry zu schleunigem Handeln auf. Denn so jedenfalls sollte es in Jena nicht weitergehen.

Homepage des Studiengangs: www.uni-jena.de/ma-pioneer-ministry

Wie Katharina Bracht, Studiendekanin der Theologischen Fakultät Jena, auf die Kritik reagiert, lesen Sie hier.

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Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Johannes Greifenstein

Dr. Johannes Greifenstein ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Jena.


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