Werbend

Zugänge zum Gebet

Eberhard Martin Pausch, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Frankfurt, tritt auch mit seiner neuesten Schrift für ein rational verantwortbares, nicht dogmatistisch verengtes Christentum ein. Der an eine frühere EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (Fremde Heimat Kirche, 1993) erinnernde Titel lässt religiös Distanzierte als mögliche Zielgruppe der „liberalen Zugänge zum Gebet“ (Untertitel) assoziieren, die hier in dreizehn kurzen und durchweg gut lesbaren, thematisch eher locker aneinandergereihten Kapiteln dargeboten werden.

Im Zentrum stehen die Kapitel IV–IX, die von einer Definition des Gebets ausgehend, dessen religiöse Bedeutung am kritischen Maßstab eines aufgeklärten Wirklichkeitsverständnisses in mehreren Schritten verantworten. Diesem systematisch-theologischen Kern des Buches, dem die Praxissättigung der vom Autor angestellten Überlegungen aber abzuspüren ist, folgen unmittelbar praktisch orientierte Abschnitte zur Ethik des Gebets (X), zur Möglichkeit interreligiösen Betens (XI) und zu Gebeten im Zeitalter der Digitalisierung (XII). Bedeutsam ist, dass Pausch zu Beginn von seiner religiösen Primärsozialisation, von Zweifeln als Heranwachsender und einem wiedergewonnenen Zutrauen zum Beten aufgrund des Theologiestudiums erzählt. Denn die vergewissernde Funktion, die das wissenschaftliche Studium in dieser Entwicklung des Autors ausfüllt, prägt auch den liberalen Zuschnitt seiner Gebetstheologie: Die rationale Absicherung der Darstellung, die Pausch sich bei vielen Einzelthemen (zum Beispiel Gebetserhörung und Wunder) leistet, scheint weniger auf „gebildete Verächter“ (Friedrich Schleiermacher) der Religion gemünzt zu sein als auf Sinnsuchende.

Pauschs Definition versteht unter dem Gebet eine sprachliche Relation mit den drei Bezugspunkten Mensch, Gott und Wirklichkeit, was gängige dialogische Vorstellungen einerseits erweitert, andererseits einschränkt. Erweiternd wirkt der Einbezug der Wirklichkeit als Gegenstandsbereich, dem die Gebetsinhalte – für Pausch heißt das vor allem: Gebetsbitten – entnommen sind, wohingegen die Konnotation eines Wechselgesprächs, die im Begriff des Dialogischen mitschwingt, vom Autor bewusst zurückgehalten wird: Gebete seien zunächst nur Anreden an Gott in der Erwartung möglicher Gegenseitigkeit. Das bedeutet, dass weder die Antwort Gottes noch überhaupt seine Existenz im Begriff des Gebets schon mitgesetzt sein darf. Nicht nur in der Haltung der Glaubensgewissheit, sondern schon des Offenseins für Gott und im Munde von „Suchenden“ wird das Gebet, wie Pausch es begrifflich fasst und durchdenkt, gesprochen. Die besondere Bedeutung des Bittgebets sieht der Autor darin, dass es als einzige Gebetsform die Zukunft offenhält – freilich auch für die Möglichkeit der Nichterhörung, die das Buch mehrfach mit leicht apologetischem Unterton thematisiert.

In der niederschwelligen, werbend-einladenden Grundhaltung der Gottoffenheit dürfte der Reiz des vorliegenden Buches bestehen, dem der assoziative Aufbau mit den praktischen Abschnitten gegen Ende sehr entspricht (wozu aber auch die weitgehende Ausklammerung des liturgischen Betens passt). Sperriger erscheinen dem Rezensenten sowohl die erwähnten Absicherungen der rationalen Nachvollziehbarkeit, die meist religionsphilosophischen Kriterien verpflichtet sind, als auch die dogmatischen Argumentationen gegen einen trinitarischen Gottesbegriff und für eine adoptianische Christologie, mit denen Pausch sozusagen im eigenen Haus (der Theologie) Position bezieht. Es ist die Position eines nicht konfessionell gebundenen Glaubens, für den sich der Autor auch im Bund für Freies Christentum engagiert.

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