Interreligiöses Lernen kann Frieden bringen

Frieden im Heiligen Land? Anfangen in Kindergärten und Schulen!
Foto: House of One

"Wird nie Frieden im Heiligen Land?" Diese Frage stellen wir angesichts des Terrorangriffes der Hamas und der Gegenwehr Israels mehreren kundigen Menschen aus Kirche, Religion und Politik. Hier die Antwort von Kadir Sanci, Imam am Berliner House of One und Religionswissenschaftler in Potsdam

Der Nahostkonflikt stellt zweifellos eine der schwerwiegendsten Bedrohungen für den Weltfrieden dar. Die jüngsten Ereignisse haben uns erneut vor Augen geführt, welch konkrete, skrupellose Gefahr von Terrorismus ausgeht. Der Krieg im Heiligen Land hat auch bei vielen von uns in Deutschland Ängste ausgelöst. Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Wird es im Heiligen Land je Frieden geben?

Diese endlos scheinende Spirale der Gewalt, genährt von Angst, Hass und Rache auf beiden Seiten, von Unterschieden in der Herkunft und der religiösen Zugehörigkeit, vertieft kontinuierlich die Kluft zwischen den beiden Völkern. Die Stimmen derer, welche diese Kluft überwinden wollen, werden von jenen übertönt, die den Hass befeuern.

Eine Lösung ohne eine Zusammenarbeit ist undenkbar. Israelis und Palästinenser teilen sich einen bedeutsamen Ort, der ein religiöses Zentrum für die drei abrahamitischen Religionen darstellt. Dieser Ort war in der Vergangenheit und ist bis heute Schauplatz zahlreicher Konflikte und Kriege. Dennoch gab es Perioden, in denen die verschiedenen Religionen friedlich koexistierten. Auch wenn die Konflikte seit der Gründung Israels ihren Höhepunkt erreicht haben, gibt es Gründe, die Hoffnung auf Frieden nicht zu verlieren.

Instrumentalisierte Religion

Der Frieden in dieser Region kann nur dann fest etabliert werden, wenn Israelis Sicherheit erfahren und Palästinenser unter lebenswerten Bedingungen in Würde frei leben können. Er kann aber auch nur dann zu einem echten Frieden werden, wenn politische Anstrengungen durch einen gesellschaftlichen Dialog verfestigt werden.

Die Gewalt wird mit religiösen Argumenten legitimiert, die Religionen instrumentalisiert. Daher ist es von entscheidender Bedeutung die religiösen Vertreter als Unterstützer eines friedlichen Weges zu gewinnen. Gemeinsam können sie Antworten gegen Hass und Gewalt finden und für diese gemeinsamen Ideen vor ihren jeweiligen Gemeinden werben.

Für einen nachhaltigen Frieden jedoch muss dieser interreligiöse Dialog institutionalisiert werden. Es gibt auf zivilgesellschaftlicher Ebene bereits einige israelisch-palästinensische Organisationen, die sich für Frieden einsetzen. Ihre Stimmen aber sind zu schwach.

Erziehung zum Frieden

Friedenserziehung muss als selbstverständliches Miteinander Teil der Bildung jedes Kindes werden. Das Heilige Land benötigt Kindergärten, Schulen und Universitäten, die unter jüdischer, christlicher und muslimischer Beteiligung gleichberechtigt entstehen und betrieben werden, ähnlich wie es bereits in kleinerem Rahmen im „House of One“ funktioniert.

Die Mädchen und Jungen sollten in ihren jeweiligen Religionen, Traditionen und Sprachen unterrichtet werden, während sie gleichzeitig die Religionen und Kulturen der anderen gemeinsam kennenlernen. In Fächern wie Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte, Sport, Musik und Literatur hingegen werden die jüdischen, christlichen und muslimischen und andere Kinder koedukativ unterrichtet. Sowohl Schüler als auch Lehrer lernen so voneinander und miteinander.

Ich habe das in meinem eigenen Studium der Religionswissenschaften erlebt. Die Erkenntnisse, die ich durch meine jüdischen und christlichen Dozenten sowie meine Kommilitonen unterschiedlicher religiöser Hintergründe gewonnen habe, haben meine Sichtweise erweitert und mich geprägt. Als Ergebnis dieser Erfahrungen arbeite ich heute in enger Kooperation mit jüdischen und christlichen Kollegen, um gemeinsame Lehrveranstaltungen und religiöse Lernkreise zu gestalten, Tagungen zu organisieren und Publikationen zu veröffentlichen.

Mediatoren nötig

In den ersten Jahren werden möglicherweise Mediatoren benötigt. Zu tief sind bei manchen die Verletzungen. Besonders ausgebildete jüdische und muslimische Lehrerinnen und Lehrer können diese Rolle gemeinsam übernehmen. Sie sollen emotionale Distanz zu den Konflikten bewahren und gleichzeitig den Frieden aus anderen Regionen der Welt, in denen er bereits Realität ist, in die Schule tragen sowie Erfahrungen im interreligiösen Miteinander aus Institutionen wie dem „House of One“ einbringen.

Das Kennen und Wertschätzen von Unterschieden wird zu einer Selbstverständlichkeit, und Schulen werden zu einem Keim des friedlichen Miteinanders in der Gesellschaft. Dies würde dem Hass die Nahrungsgrundlage entziehen. Ja, auf diese Weise wäre ein dauerhafter Frieden im Heiligen Land möglich. Das Zusammenleben verschiedener Glaubensrichtungen ist keine Utopie, solange wir alle dazu beitragen.

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