Licht in der Finsternis

Auf den Spuren der Waldenser in Württemberg
Waldensermuseum Schönenberg
Foto: Jürgen Wandel
Waldensermuseum Schönenberg

Wer von Stuttgart auf der Landstraße Richtung Karlsruhe fährt, passiert Orte, die Perouse, Pinache, Serres und Villars heißen. So könnte man meinen, versehentlich im benachbarten Frankreich gelandet zu sein. Auf den Friedhöfen tragen Grabsteine französische Namen wie Jourdan und Talmon. Ihre Vorfahren waren Waldenser, Protestanten, die in den Alpentälern zwischen Frankreich und dem (heute zu Italien gehörenden) Piemont lebten. Als der französische König Ludwig XIV. seinen waldensischen Untertanen 1685 die Ausübung ihres Glaubens verbot, fanden sie Zuflucht im Piemont. Aber dessen Herrscher, der Herzog von Savoyen, wies sie 14 Jahre später aus.

Ein Teil von ihnen bat 1699 um Asyl in Württemberg. Die Theologen des Herzogtums, das als „lutherisches Spanien“ galt, lehnten die Aufnahme der Flüchtlinge ab, weil sie reformiert waren, also das Erbe des Genfer Reformators Johannes Calvin pflegten. Herzog Eberhard Ludwig setzte sich über die Einwände hinweg. Aber er tat das nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um den durch den Dreißigjährigen Krieg entvölkerten Nordwesten seines Landes zu besiedeln. Die Waldenser erhielten Privilegien, durften sich selbst verwalten, Dörfer gründen, im Alltag ihren okzitanischen Dialekt und in Kirche und Schule französisch sprechen und reformierte Gottesdienste halten.

Eine bedeutende Gestalt der Waldenser war der französische Pfarrer Henri Arnaud. Er führte die Vertriebenen ins Exil und gründete 1699 in Württemberg den Ort Schönenberg (seit 1921 ein Teil von Ötisheim). Im Zentrum steht ein einstöckiges Fachwerkgebäude, 1712 als Pfarrhaus errichtet. Über einer Tür prangt das Wappen der Waldenser: Es zeigt eine brennende Kerze. Sie ist umgeben von sieben Sternen, die die sieben Gemeinden aus der Johannesoffenbarung symbolisieren, die trotz Verfolgung standhaft blieben. Das Wappen veranschaulicht die Waldenserlosung Lux lucet in tenebris, auf Deutsch: Das Licht leuchtet in der Finsternis.

Arnaud wurde 1721 in der gegenüberliegenden Kirche begraben. Sie trägt wie das alte Pfarrhaus seinen Namen. Dieses beherbergt das Waldensermuseum. Ein Film und die Ausstellungsstücke veranschaulichen die Geschichte der Waldenser von ihrer Gründung im 12. Jahrhundert durch den Lyoner Kaufmann Petrus Waldes über den Anschluss an die Genfer Reformation im 16. Jahrhundert bis zur Gleichberechtigung in Italien ab 1848. Beim Museumsrundgang wird auch deutlich, dass die von Herzog Eberhard Ludwig gewährte Selbstverwaltung Schattenseiten hatte. So wurden die Waldenser von der Bildung abgeschnitten, die den deutschsprachigen Untertanen ermöglicht wurde. 1796 stellte ein Pfarrer der lutherischen Staatskirche fest: „Die Waldenser stehen auf einer sehr niedrigen Stufe der Kultur. Unwissenheit herrscht bei ihnen in hohem Grade.“

Pragmatische Lutheraner

Eine Sonderausstellung, die bis zum 10. Dezember dauert, widmet sich der Eingliederung der reformierten Waldenser in die lutherische Staatskirche vor genau 200 Jahren. Für die Waldenser bedeutete das auch, dass der Gottesdienst in Deutsch statt auf Französisch gehalten wurde. Mit den Unterschieden der beiden Konfessionen ging das Konsistorium der Staatskirche ganz pragmatisch um. Am 7. September 1823 erklärte es in einem Erlass: „Das Unterscheidende zwischen der calvinistischen und lutherischen Abendmahlslehre ist so fein, daß es den ungebildeten und ungelehrten Mitgliedern sich nicht wohl deutlich machen lasse und in jedem Fall ohne Nachteil für den religiösen Volksglauben unberührt bleiben könne. Es möchte also am besten sein, von einem Unterschied der Glaubenslehre nichts zur Sprache zu bringen.“

Heute pflegt die württembergische Landeskirche enge Beziehungen zur Waldenserkirche in Italien. 

 

Das Waldensermuseum Schönenberg ist sonntags von bis 14 bis 17 Uhr geöffnet. 

www.waldenser.de/museum

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