Die Reise immer wert

Warum die sperrige Tradition des Christentums und in allem Wandel bewahrt werden sollte
Morgenstimmung auf dem Jakobsweg in Galicien (Nordspanien).
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Morgenstimmung auf dem Jakobsweg in Galicien (Nordspanien).

Wie sollen wir mit in traditionell geprägter Sprache überlieferten Glaubensinhalten umgehen? Der badische Kirchenvorsteher Christian Messner erkennt in aller Freiheit ihren großen Wert für sein Leben und seinen Glauben. Er fordert von der Theologie, dass sie diese Traditionen „zugänglich, begehbar und bewohnbar“ halten möge.

In der Kontroverse zwischen Michael Heymel, Eberhard Pausch und Florian Kühl auf zeitzeichen.net geht es um den künftigen Status tradierter Glaubensinhalte, speziell der Trinitätslehre und der Christologie. Diese sind – der einen Seite zu Folge – ihrer Verbindlichkeit zu entheben, da sie „als Sprachspiele vergangener Zeiten keine überzeitliche normative Bedeutung entfalten“ (Pausch) können oder sogar schlicht unbiblisch sind. Darauf reagiert die „Gegenseite“ mit Ideologieverdacht, der Warnung vor der Wiederholung von früher schon ausdiskutierten Fehlern und inhaltlicher Beliebigkeit (Kühl).

Mir geht es dabei viel zu sehr um eine normative Funktion der Tradition. Letztere ist für mich ein Angebot, eine an Figuren und Beziehungen reiche Gedanken- und Bilderwelt, zwar weit entfernt, aber die Reise immer wert und mit der Hilfe einfühlsamer Experten auch zugänglich. Hier finde ich mich wieder im Ringen mit den Anforderungen einer Nachfolge, wie ich sie zu verstehen und zu gehen suche.

Die Rede von unserem Glauben, von unserer Botschaft, über die anscheinend in den Gemeinden kaum diskutiert zu werden braucht, verdeckt die Breite des realen Glaubensspektrums. Die Realität in den Gemeinden zeigt, was schon immer Illusion war: Dass wenige beschließen könnten, was alle glauben müssten. Es geht vielmehr darum, dass das, was durch die Jahrhunderte (gar nicht so) wenige gedacht, behauptet, bestritten und weitergedacht haben, vielen helfen könnte.

Warum aber werden die Trinitätslehre und die Christologie meist nicht als hilfreich erfahren? Wenn Trinität wie ein Fertigprodukt vom Ergebnis her gelehrt und bekannt wird, ohne die altkirchlichen, konziliaren Debatten zum Beispiel über den Arianismus einzuholen, fehlt Entscheidendes zum Verständnis, und der Arianismus läuft mit seiner prima-facie-Plausibilität fröhlich der dann willkürlich wirkenden Trinitätslehre davon. Viele Streitfragen, die zur Trinitätslehre geführt haben, sind auch heute einleuchtend und machen letztere erst einigermaßen zugänglich.

„liebevolle ‚Message‘ Gottes“

Man kann sich an Schwierigkeiten vorbeimogeln mit dem Vorwurf, die christliche Theologie habe selbst erst die Probleme geschaffen, deren (komplizierte) Lösung sie nun anbietet. Natürlich ging es früher auch darum, die christliche Botschaft anschlussfähig zur Philosophie der griechisch-römischen Sphäre zu machen. Dem Machtapparat des römischen Imperiums war die Kalkulierbarkeit eines zentral formulierten Bekenntnisses gewiss willkommen. Aber entwertet das die entwickelten Gedanken? Und war deren wichtigster Antrieb nicht doch die Frage, worin – bei aller Unverfügbarkeit – die „liebevolle ‚Message‘ Gottes“ (Pausch) besteht und die Einsicht, dass sie unsere Vorstellungen von diesem Gott völlig durchkreuzt? Maßen wir uns an, die Anstrengungen von vier Jahrhunderten als irrelevant abzustempeln, oder nehmen wir den gerne zitierten Bildungsauftrag der Kirche ernst?

Gibt es für ein solches Angebot denn eine Nachfrage? Von nichtreligiösen Zeitgenossen wird schon der Satz „Dass Gott selbst [den Kahn der Gemeinde] im Sturm der Zeit nicht untergehen lässt“ unter „Sprachspiele längst vergangener Zeiten“ (Pausch) einsortiert. Und den Noch-Religiösen mag alles unnötig kompliziert vorkommen. Für mich ist alles vorher schon kompliziert, warum?

Meine Bindung ans Christentum ist ziemlich religionslos. Am Anfang steht die Einsicht, dass wir ohne Verabsolutierungen und Kategorisierungen nicht auskommen und dabei doch destruktiv werden, wenn es uns nicht gelingt, alles Recht-haben- und Richtig-machen-müssen, auch in religiösen Dingen, der Nächsten- und Feindesliebe unterzuordnen: Person vor Prinzip und Kategorie, Unterlaufen aller Schranken durch Zuwendung, Authentizität ohne Machtausübung. „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“ (Amos) – auf welchem Altar auch immer und schon gar kein Menschenopfer. Ich bezeichne diese Einstellung oft mit Hin‑Gabe.

Scheitern liegt nahe

Die Verrücktheit, so sein und mit anderen umgehen zu wollen, kriege ich nicht weg. Gott sei Dank!
Aber die Zumutungen an die Zuversicht sind gewaltig und Scheitern liegt nahe. Also suche ich Unterstützung bei anderen, die dasselbe versuchen, Christenmenschen oder Atheisten oder Angehörige anderer Religionen…

Aber ich suche auch bei denen, die dasselbe schon versucht und ihre Erfahrungen und Reflexionen überliefert haben: In Bibeltexten, in theologischen Schriften, in Bild- und Ton- und Baukunst, was immer. Und damit bin ich wieder am Anfang dieses Textes: Ich brauche diese Welt, auch wenn sie nicht meine ist. Darum brauche ich Kundige, die mich dahin leiten, wo ich fündig werden kann. Deshalb bitte ich die Theologenzunft:

Pflegt das Erbe. Entwickelt es weiter.
Aber haltet es zugänglich, begehbar und bewohnbar.
Seid Fremdenführer und keine Wächter.
So helft ihr uns – ich spreche hoffentlich nicht nur für mich.

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Christian Messner

Christian Messner (*1954) ist Kirchengemeinderat der evangelischen Kirchengemeinde Steißlingen-Langenstein. Mit der Kirchen- und Glaubenswelt über die Musik seit jeher stark verbunden, blieben ihm religiöse Sprach- und Frömmigkeitsformen lange fremd.


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