Doppelte Solidarität
Man kann sich ja nur darüber freuen, wenn Machthaber wie Husni Mubarak in Ägypten aus ihrem Amt gejagt werden. Erschrocken bin ich, als ich lesen musste, welche Einschränkungen von Grundrechten Mubarak seinem Volk über Jahrzehnte auferlegt hatte - und wie in den Gefängnissen Ägyptens gefoltert und gemordet worden war. Erschrocken bin ich auch über mich selbst, hatte ich Mubarak doch immer nur aus dem einen Blickwinkel betrachtet: Da ist ein verlässlicher Partner für Israel, weil er den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten ernstnimmt. Auch schien es mir so, als seien die Rechte der Christen in Ägypten unter diesem Herrscher einigermaßen gewahrt. Und was wird nun aus den Christen in den Ländern des fruchtbaren Halbmonds? Und was wird aus den Christen Palästinas? Welche Auswirkungen werden die demokratischen Aufbrüche in Nordafrika auf den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis haben?
Solche Überlegungen bringen uns wieder einmal dazu, uns intensiver mit dem Los der palästinensischen Christen zu beschäftigen. Im Dezember 2009 verfassten sie einen Hilfeschrei, der nun endlich auch in Deutschland Beachtung findet: Das "Kairosdokument" macht auf die schwierige - als ausweglos empfundene - Situation in Palästina aufmerksam und fordert die Christen weltweit zum Handeln auf. Um Solidarität wird gebeten, die sich - so zwei konkrete Vorschläge - im Boykott israelischer Güter äußern könnte oder darin, bei einem Besuch Israels ausdrücklich auch die Begegnung mit palästinensischen Christen einzuplanen.
Kein Boykott israelischer Waren
Die Evangelische Mittelostkommission, in der evangelische Gruppen im Raum der EKD zusammenarbeiten, die sich im Nahen Osten auf arabischer wie auf israelischer Seite engagieren, hat eine einstimmige Stellungnahme erarbeitet, die versucht, das Anliegen unserer palästinensischen Schwestern und Brüder aufzunehmen. Einen Boykott israelischer Waren kann bei uns niemand unterstützen. Aber wir müssen dieses Dokument von Christen aus einem besetzten Land trotzdem hochschätzen, weil es klar einen Gewaltverzicht im Widerstand fordert. Seine Haltung ist deutlich vom Gebot der Feindesliebe bestimmt und setzt sich damit eindeutig von der Linie und den Forderungen der Hamas ab. Und was hält Deutsche bei einer Israelreise eigentlich davon ab, nach Bethlehem oder Ramallah zu fahren und sich selbst ein Bild davon zu machen, wie palästinensische Christinnen und Christen leben?
Wir nehmen den Hilfeschrei unserer Schwestern und Brüder ernst. Sie brauchen uns. Aber dies darf nicht auf Kosten der Solidarität mit den jüdischen Geschwistern, die in Israel leben, geschehen. Mit beiden Seiten solidarisch zu sein, ist nicht leicht. Aber wir müssen es trotzdem versuchen - das sind wir unserer Geschichte und unserem Glauben schuldig. Denn letztlich ist dieses Dokument ein großes Hoffnungszeichen, weil es zeigt: Christen in dieser Region können darlegen, wie sie sich eine veränderte Gesellschaft vorstellen, damit Frieden und Gerechtigkeit wachsen und Versöhnung stattfindet. Hoffen wir, dass dieses Beispiel künftig auch bei Christen in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens Schule macht.
Stellungnahme der Evangelischen Mittelostkommission
Johannes Friedrich