Mit Leidenschaft gegen das Endlager

Matthias Mader erforscht die Ethik des radikalen Protests in der Anti-Atomkraft-Bewegung
Foto: Rolf Zöllner
Foto: Rolf Zöllner
Der Theologe Matthias Mader hat früher an Blockaden gegen die „Castor“-Transporte in Gorleben teilgenommen - heute promoviert er an der Fakultät für Praktische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Thema ist die „Sozialethik deutscher Anti-Atom-Aktivist*innen“

Wenn man in Soltau in der Lüneburger Heide aufgewachsen ist und sich für ökologische Politik interessiert, ergibt sich ein Engagement gegen das geplante Atommüllendlager Gorleben fast von selbst. Seit 1996 habe ich immer wieder an Protesten und Blockaden gegen die „Castor“-Transporte teilgenommen, mich später sehr bei Greenpeace engagiert. Etliche Male wurde ich dabei in der Gefangenensammelstelle der Polizei festgesetzt, es gab auch einzelne Gerichtsverfahren - aber verurteilt wurde ich nie. In einem Fall wurde der Polizeikessel, in dem ich festgehalten wurde, vom Landgericht Lüneburg für menschenrechtswidrig erklärt.

Insofern liegt es recht nahe, dass ich für meine Dissertation das Thema „Sozialethik deutscher Anti-Atom-Aktivist*innen“ in dem Fach Praktische Theologie bei Professor Wilhelm Gräb an der Humboldt-Universität in Berlin gewählt habe. Es geht mir dabei vor allem darum, die Sozialethik dieser Umweltschutz-Bewegung empirisch genau zu rekonstruieren. Dafür habe ich zwölf qualitative Interviews mit Aktivist*innen geführt. Empirische Forschung innerhalb der Praktischen Theologie ist noch recht neu. Ich bin auch im Arbeitskreis Empirische Religionsforschung engagiert, in der sich Praktische Theolog*innen mit anderen empirisch arbeitenden Religionsforscher*innen zusammengeschlossen haben

Dass mich die Religion und die Theologie so interessierten, ist sicherlich auch ein wenig familiär vorgegeben: Mein Großvater mütterlicherseits war Pfarrer, mein Urgroßvater väterlicherseits war ein Pietist von der schwäbischen Alb, der mit seinem Bruder und seiner Schwester nach Bethel ging, um dort Diakon zu werden. Meine Eltern haben beide als Erzieher*innen gearbeitet, meine Mutter zeitweise in einem kirchlichen Kindergarten, mein Vater war lange Jahre Vorsitzender des Kirchenvorstands.

Schon als Jugendlicher war ich in der Jungen Gemeinde engagiert. Mit anderen aus diesem Kreis habe ich lange Zeit unter dem Dach der Kirchengemeinde in einem von uns gegründeten „Eine-Welt“-Laden gearbeitet. Ich hatte Reli-Leistungskurs im Gymnasium und habe nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem christlichen Tagungshaus gemacht. Mein Hauptengagement galt der Grünen Jugend und dem Verein „Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur“, dessen Mitglied ich noch heute bin.

Trotz dieses christlichen Umfelds habe ich sehr, sehr lange überlegt, ob ich Theologie studieren soll - und ich habe auch nie aufgehört, darüber nachzudenken, denn ich habe immer ein ambivalentes Verhältnis zur Theologie gehabt. Dass ich überhaupt Theologie studiert habe, hatte sicher auch damit zu tun, dass einige prägende Gestalten meiner Jugend Theologen waren: Da war mein eindrucksvoller Opa, ebenso der Pastor in meiner Heimatgemeinde, der ein fester Gesprächspartner war und das war so in dem Tagungshaus, wo ich gearbeitet habe. Fast alles prägende Männergestalten, was ich auch im Nachhinein interessant finde, aber Geschlechterkonstruktionen und ihre Bedeutung für die Sozialisation wären nochmal ein ganz eigenes Thema.

Mich fasziniert natürlich die Theologie weiterhin, aber das Interesse an ihr hat sich sehr gewandelt. Während die Religion früher auch ein persönliches Sinnkonzept war, an das ich mich binde, geht es jetzt eher um das Verstehen, warum Menschen religiös sind und welche psychosozialen Dynamiken und existentiellen Probleme in der Religion wie verhandelt werden. Es ist ein vor allem wissenschaftliches Interesse, zumal ich bei sehr vielen religiösen Konzepten nicht der Meinung bin, dass sie tragfähige Antworten geben, wie es dauerhaft möglich ist, glücklich und friedlich zu leben und die Welt gut zu gestalten.

Das ist auch ein Ansatz meiner Dissertation. Sie schließt an Arbeiten des Erfurter Soziologen Andreas Pettenkofer an. Pettenkofer versteht radikalen Protest als Religionsphänomen, wobei es eher am Beispiel religiöser Bewegungen darum geht, wie komplexe Muster sozialen Handelns funktionieren. Unter Verwendung von Erklärungsmustern von unter anderem Émile Durkheim und Max Weber hat Pettenkofer eine eigene Theorie radikalen Protests entwickelt. Sie nimmt auch nicht-rational integrierbare Momente im Handeln von Akteur*innen in radikalen Protestbewegungen auf, ohne diese zu pathologisieren - und das Pathologisieren dieser Momente im Mainstream der Protestforschung hat mich immer gestört.

Im Anschluss an Pettenkofer vertrete ich die These, dass radikalen Gruppen hochüberzeugter Individuen eine große Bedeutung für Prozesse sozialen Wandels zukommt. Diese Aktivist*innen protestieren aber nicht nur dann, wenn dies zur Erreichung der eigenen Ziele vernünftig und rational zielführend erscheint, sondern der Protest wird vielmehr selbst zu einem Teil der eigenen Identität. Damit bauen sich Handlungsmuster auf, die teils in einer starken Weltablehnung gründen. Hier gibt es Elemente, die strukturell eine gewisse Nähe zu religiösen Deutungsmustern haben oder zumindest damit verglichen werden können.

Beispielsweise etablieren radikale Aktivist*innen teils wiederkehrende Übungen oder Praxen, die nicht immer unmittelbar an den Folgen der eigenen Handlungen interessiert sind, sondern an sich einen Selbstwert für die handelnden Individuen haben können. Es sind beispielsweise ritualisierte Spaziergänge um atomare Endlager und dergleichen.

In meiner Dissertation will ich dabei auch den Sinn rekonstruieren, der den jeweiligen Gesprächspartner*innen zwar nicht bewusst ist, sich aber in der immer überdeterminierten Sprache abbildet. Der Protest erscheint dabei als ein zentraler Bestandteil der Identität. Er funktioniert nach der auch religiös zu lesenden Logik: Und auch wenn die ganze Welt anders tickt und wir nie Erfolg hätten - wir werden trotzdem hingehen und protestieren, etwa in Gorleben.

Aufgezeichnet von Philipp Gessler

Matthias Mader

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