Kostbare Kleinode

Feuerwerk zum Neujahr
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Klavierstücke für Ästheten, Stauner und Feinhörer – insbesondere, wenn sie so klingen, wie Martin Helmchen sie spielt.

Wenn Martin Helmchen Musik macht, spielt er nicht mit ihr: Er hört, er sieht, er geht mitten hinein, er durchstreift ihre Ränder. Er ist einer jener Musici, die ihr ganzheitliches Wesen formend in sich aufnehmen und durchdrungen zurückgeben – scheinbar unmittelbar, gleichzeitig aber mit jener Distanz, die die Resonanz verdoppelt. Es scheint, als wisse er alles, was er schwarz und weiß tut. Hingegeben. Aber quellklar. Das hat ihn auf dieser CD zu Beethoven (1770–1827) und dessen Diabelli-Variationen opus 120 geführt – derer es in diesem späten Zyklus von 1823 üppige 33 geworden sind, obwohl Anton Diabelli (1781–1858) nur eine bestellt hatte. Der Meister wollte sich nicht lumpen lassen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Diese CD ist nicht nur das wirbelnd virtuose Feuerwerk in ein neues Jahr hinein, sondern sie ist in ihrer geniehaft das Genie präsentierenden Energie eine „Ode an die Freude“, die uns 2020 zum großen 250. Beethoven-Jubiläum vermutlich oft zu Ohren kommen wird. Dass es zu diesem staatstragend gefeierten Jubiläum kommen wird, ist nicht zuvörderst den Diabelli-Variationen zuzuschreiben – diese nämlich sind viel zu komplex, viel zu geistreich, als dass sie je in aller Ohren gedrungen und per se Publikumsliebling geworden wären. Das hymnisch-triumphale ist nicht ihre Sache. Sie sind etwas für Ästheten, Stauner und Feinhörer – insbesondere, wenn sie so klingen, wie Martin Helmchen sie spielt. Und er spielt sie mit empfänglicher Zuneigung und Freude, dabei mit chirurgischer Präzision und musikantischer Raffinesse, dass es eine Stunde pianistischer Offenbarung ist, die einen nachhaltig mit seinen Talenten wuchernden Begnadeten mit einem sich ihm anvertrauenden Wunder zusammenführt. Ein Sesam öffne dich. Diabellis fröhlich-biederes Walzerthema anfangs ist tatsächlich nur ein kurzer Moment der Bodenberührung, aus dem sich fast atemlos der nachfolgende Kosmos Beethovenscher Gedanken- und Tonfantasien öffnet – das gewieft vorschlagend polternde Allegro Pesante e Risoluto (v.ix), das gewichtig schwärmerische Grave e Majestoso (v.xiv) mit dem folgenden Fangespiel durch die Donauauen im Presto Scherzando (v.xv) oder das grüblerisch sinnende Andante (v.xx) – alle diese und schließlich das tränenschwer affektreiche Largo, molto espressivo (v.xxxi), das in seiner Melodiösität ebenso zurück zu Bach wie in der Figürlichkeit über Beethoven hinaus in die nächste Generation zu Chopin weist und schließlich das finale Tempo di Menuetto moderato (v.xxxiii), dessen hintergründige Helligkeit nichts mehr gemein hat mit der antiquierten Reif-und-Steifrockpräsentation bei Hofe – sie alle sind kostbare Kleinode eines himmlischen Ganzen. Dank Martin Helmchen ersteigen sie behänd die Leiter dorthin.

Klaus-Martin Bresgott

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