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Über neue Heimaten
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Die hier vorgelegte „theologisch-ethische Heimatkunde“ ist dringend nötig, damit wir nicht weiterhin groben Kurzschlüssen aufsitzen.

Die verbreitete gegenwärtige Renaissance des Heimatbegriffs dient in der Regel der Legitimierung einer immer restriktiveren Flüchtlingspolitik und der Relativierung ihrer ethischen Orientierungen. Wir lassen uns derzeitig einigermaßen besinnungslos in einen irrationalen asymmetrischen „Bedürftigkeitswettkampf“ hindrängen, in dem vor allem eines auf der Strecke bleiben wird: die Menschlichkeit, jedenfalls so, wie sie aus christlicher Perspektive als Gemeinschaftlichkeit zu verstehen ist. Die hier vorgelegte „theologisch-ethische Heimatkunde“ ist dringend nötig, damit wir nicht weiterhin groben Kurzschlüssen aufsitzen, mit denen in fahrlässiger Weise der Heimatbegriff als ein Katalysator für Rechtsverdrehung und Selbstimmunisierung missbraucht wird - Frank Mathwig spricht von einer „Teflonhülle für verunsicherte Seelen“.

In drei fulminanten Studien wird uns vor Augen geführt, wie empfindlich eine Heimat ist, die im Grunde von allen gesucht wird, auch wenn das, was die einen meinen, verteidigen zu können, nicht dasselbe ist wie das, was die anderen in ihrer Not zu finden hoffen. Heimat bleibt eine „konstruierte Größe“, die nicht einfach zur Verfügung steht und schon gar nicht in Besitz genommen werden kann, zumal sie als „Sehnsuchtsbegriff“, wie er insbesondere die biblische Tradition geprägt hat, auch immer etwas Ausständiges mit sich bringt.

Die am Ökumenischen Institut Bossey lehrende Theologin Amélé Adamavi-Aho Ekué bestimmt in ihrem Beitrag die Theologie selbst als eine Migrationsbewegung, welche das wandernde Gottesvolk in seiner Sehnsucht nach Heimat begleitet. Heimat wird zu einem reisenden Konzept, das die Kirche als eine einheitsstiftende Vision in Anerkennung von Verschiedenheit versteht. Aus theologischer Perspektive kann Heimat nur interkulturell in der das Leben prägenden Entdeckung des gemeinsamen Menschseins buchstabiert werden.

Der in Bern wirkende Theologie Matthias Zeindler macht einen verheißungsvollen Umgang mit dem Thema „Heimat“ davon abhängig, dass ihr unausweichlich konflikthafter Charakter anerkannt und ausgehalten wird. Heimat bleibt recht verstanden eine Gabe, während die selbstgeschaffene Heimat eine illusionäre Ersatzheimat bleibt. Es ist die Sünde als Vertrauensbruch, durch den sich der Mensch bereits im Paradies seine Heimatlosigkeit einhandelt, die er mit seinen anhaltend ichbezogenen Anstrengungen nicht wieder aufzuheben vermag. Nicht das Abstraktum der Menschenwürde verhilft zu der notwendigen Solidarität, sondern allein der Wechsel zur Perspektive der Anderen kann zu einer Gemeinschaft führen, der schließlich auch Heimat verheißen ist. Zeindler macht schließlich darauf aufmerksam, dass auch die Enteschatologisierung unseres Existenzbewusstseins zu einer Abweisung von Fremden beiträgt.

Der ebenfalls in Bern tätige Ethiker Frank Mathwig geht davon aus, dass die größten Heimatgefährdungen des Menschen von innen kommen. Er legt den Finger darauf, dass die Sorge vor allem einem Heimatverständnis zu gelten habe, das einen Lebensraum beschreibt, der sich aufgrund seiner Vertrauenswürdigkeit als geeigneter Ort für ein gedeihliches Zusammenleben erweist. Wo Menschen gesichtslos gehaltene Menschen abweisen, kann auch kein Vertrauen in die eigene Gemeinschaft wachsen, weil sich das dort gepflegte Misstrauen nicht allein auf Fremde konzentrieren lässt. Es kann anderen grundsätzlich nichts verweigert werden, was ich dann nicht unversehens auch für mich selbst zu befürchten hätte. Und so bleibt die bedenkenswerte Frage: „Wie viel Vertrauen können ein Staat und eine Gesellschaft beanspruchen, die gegenüber Unwillkommenen ihre rechtlichen und moralischen Grundsätze willkürlich zu ändern oder aufzugeben bereit sind?“ Es wird schon sehr darauf ankommen, was jemand unter den gegenwärtigen Umständen bereit ist, als seine beziehungsweise ihre Heimat auszugeben. - Überaus empfehlenswert.

Michael Weinrich

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