#MeToo in der Kirche
Als Opfer eines Missbrauchs durch einen Kirchenmann und die vielen, vielen, die das möglich machten, ein System der Mitschuldigen“, so schrieb Teresa Pitt Green auf Twitter Mitte Dezember vergangenen Jahres unter dem Hashtag #ChurchToo auf Englisch, „fand ich Heilung in dem einem Wort, das nie eine Lüge ist: Jesus Christus.“
Die #MeToo-Bewegung hat die Welt verändert. Was als ein Phänomen der Filmindustrie in Hollywood begann, hat zu einer globalen Diskussion über sexuelle Übergriffe verbaler oder physischer Art vor allem gegen Frauen weltweit geführt. Es gab Rücktritte von mächtigen Männern im Showbizz, in der Politik, in Unternehmen - und in der Kirche? Wie steht es dort mit #MeToo-Übergriffen und Sexismus? Genauer: Was passiert in den evangelischen Kirchen in Deutschland? Dass in der katholischen Männerkirche, auf die sich Teresa Pitt Green bezog, vieles im Argen liegt, ist fast schon zu erwarten. Aber wie sieht es in der protestantischen Kirche aus, die ein ganz anderes Selbstbild hat?
Hanna Jacobs, Vikarin der Kirchengemeinde St. Lamberti im niedersächsischen Selsingen, hatte Anfang November 2017 darauf eine Antwort. Sie schrieb in einer Kolumne auf zeit.de forsch: Sie habe in der Kirche keine #MeToo-Erfahrungen gemacht. Und, so die angehende Amtsträgerin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, dies könnte mit den Werten zusammen hängen, „die Christen wichtig sind“. Kaum war diese Stimme verklungen, schwoll in den USA nach dem Vorbild von #MeToo ein weiterer Hashtag in den sozialen Medien viral an: #ChurchToo. Innerhalb weniger Wochen dokumentierten Hunderte Frauen auf Twitter unter #ChurchToo (also etwa: „In der Kirche auch“) ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in Kirchen - vor allem in den USA. In der Schweiz hat bref, das Magazin der Reformierten Kirche, #ChurchToo zum Titelthema gemacht. Und die Lage in Deutschland?
Eske Wollrad, Geschäftsführerin des kirchlichen Verbandes „Evangelische Frauen in Deutschland“ (EFID), hat wenig Hoffnung, dass #MeToo-Phänomene hierzulande bei kirchens nicht zu finden wären: „Sicherlich gibt es auch in der evangelischen Kirche in Deutschland Phänomene, die die #MeToo-Bewegung anprangert. Diese Bewegung nimmt spätestens seit den #ChurchToo-Äußerungen in den USA und zum Teil in der Schweiz auch in der evangelischen Kirche in Deutschland an Fahrt auf.“
Aber das Schweigen über #MeToo-Erfahrungen in der Kirche liegt ihrer Meinung nach recht nahe: „Sexualisierte Gewalt ist im kirchlichen Bereich ein besonderes Tabu, weil die Kirche ja den Anspruch an sich selbst hat, einen sicheren Raum für alle zu bieten“, erklärt Wollrad. In gewisser Weise sei das Sprechen über sexuelle Übergriffe im Raum der Kirche sanktioniert. „Es ist nicht besprechbar. Es fehlt dazu die Sprache.“ Sie folgert: „Meine Vermutung ist, dass die Dunkelziffer, was die Übergriffe im Sinne von #MeToo angeht, wesentlich höher ist als das, was nach außen dringt.“
Das Problem ist: Es gibt keine Zahlen. Auf Facebook postete Ende November vergangenen Jahres eine Userin auf Deutsch: „#churchtoo auch wir sind tausende und abertausende.“ Aber überprüfen lässt sich diese Behauptung nicht. Und von welchen Übergriffen genau ist überhaupt die Rede? Kristin Bergmann, Leiterin des Referats für Chancengleichheit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), differenziert: Die unter #MeToo beschriebenen Übergriffe reichten von verbalen Belästigungen und Aufforderungen zu sexuellen Handlungen bis zu strafrechtlich relevanten Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Und sie stellt klar: „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Belästigungen kommen auch im Bereich der Kirche vor.“
Die Schwierigkeit: Sexuelle Belästigungen sind, anders als strafrechtlich relevante Gewalttaten, oft nicht so leicht zu greifen. Denn sie können ganz vielfältig sein: „verbale Belästigungen, Beleidigungen, die auf das Geschlecht oder die sexuelle Identität Bezug nehmen, und Grenzverletzungen wie unerwünschte Berührungen oder das Aufhängen von Pin-ups im Büro“, wie Bergmann erklärt. Zu den Fällen sexueller Belästigungen in der Kirche ließen sich keine bundesweiten Zahlen erheben - nicht zuletzt, weil Beschwerden über sexuelle Belästigungen bei ganz unterschiedlichen Stellen innerhalb der Kirche auflaufen könnten, etwa in den Personalabteilungen, bei Gleichstellungsbeauftragten, in den Mitarbeitervertretungen et cetera.
Auch die Wissenschaft kann derzeit dazu keine Zahlen liefern. Jantine Nierop, geschäftsführende Studienleiterin des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Hannover, kennt keine Studien zu physischen oder verbalen Belästigungen von Frauen in der Kirche. Aber generell sei zu sagen: „Es gibt überall dort Belästigungen von Frauen, wo asymmetrische Geschlechterverhältnisse herrschen.“ Und: „Wo Frauen überwiegend in unteren Positionen vertreten sind, entstehen Abhängigkeitsverhältnisse, die verbale oder physische Übergriffe gegen sie wahrscheinlicher machen. Überall, wo Hierarchien herrschen, gibt es Abhängigkeiten.“
Hierarchien gibt es in der Kirche. Und was konkret auch in ihr passieren kann, davon weiß Alina Erdem zu berichten. Die 30-Jährige ist Pfarrerin im Unterspreewald. Von einem Pfarrer-Kollegen in ihrer Landeskirche habe sie schon Sprüche wie „Die hat aber ein Figürchen.“ gehört. Auch bei einem Generalkonvent im vergangenen September habe dieser Pfarrer vor allen Kolleginnen und Kollegen sowie dem Landesbischof coram publico „sexistische Kackscheiße“ geäußert, wie Erdem mit überdeutlichen Anführungsstriche in der Stimme sagt. „Ich habe mich in Grund und Boden geschämt.“
Mitte vergangenen Jahres gab es ein Erlebnis noch schlimmerer Art: Ein Mann rief Erdem anonym auf ihrem Handy an und fragte sie, ob sie Pfarrerin sei. „Er fing dann an, am anderen Ende der Leitung zu masturbieren. Wie sich später herausstellte, hat er das bei drei anderen jungen Pfarrerinnen auch getan.“ Pfarrerin Erdem stellte Anzeige bei der Polizei.
Aber die Sache verlief im Sande. „Ich war zwar beruhigt, dass es offenbar niemand aus meiner Gemeinde war, aber so ein Erlebnis hat natürlich Auswirkungen auf mich.“
Silke Radosh-Hinder, Stellvertretende Superintendentin des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, schildert die Gefahren, denen vor allem junge Pfarrerinnen im Studium ausgesetzt sind: „Die sensibelste Phase für angehende Pfarrerinnen ist in Bezug auf sexualisierte Übergriffe die Ausbildungssituation, da sie da in einem klaren Abhängigkeitsverhältnis stehen. Dabei geht es - meiner Kenntnis nach - vor allem um verbale Übergriffe. Aber anderes auszuschließen, steht mir nicht zu.“
Wie viele Gesprächspartnerinnen sieht Radosh-Hinder tiefere Wurzeln für die Problematik: „Wir haben in der evangelischen Kirche das Problem, dass es eine relativ hohe Körperfeindlichkeit gibt.“ So gebe es etwa die unausgesprochene Anforderung an Pfarrerinnen, sich in dieser Hinsicht dezent zu kleiden. „Ich weiß von Frauen, dass sie sich permanent rechtfertigen müssen, wenn sie diese unausgesprochene Regel verletzen - sei es durch offenes Haar oder einen ‚zu kurzen‘ Rock.“ Plötzlich werde nur noch über das äußere Erscheinungsbild der Frau gesprochen - ihre beruflichen Fähigkeiten würden irrelevant. „Wir sind als Kirche in Sachen Sexualität wenig sprachfähig. Alles Körperliche ist mit einem hohen Tabu verbunden.“ Radosh-Hinder verweist darauf, dass es in der Kirche erst seit etwa 60 Jahren Pfarrerinnen gebe - und die mussten anfangs noch zölibatär leben.
Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bochum, argumentiert ähnlich grundsätzlich: „In der Kirche gibt es einen Sexismus, der immer noch viel mit einem traditionellen Geschlechterrollen- und Eheverständnis zu tun hat. Das ist auch erkennbar bei den Problemen der Anerkennung von schwulen und lesbischen Paaren, die in der Synodenentscheidung der württembergischen Landeskirche wieder bedauerlich deutlich zum Ausdruck kamen.“ Ende November vergangenen Jahres hatte die Synode der Württembergischen Landeskirche eine öffentliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare abgelehnt. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit für solche Segnungen wurde um zwei Stimmen verfehlt.
Die Berliner Vize-Superintendentin Radosh-Hinder sieht, dazu passend, ein Spezifikum der #MeToo-Phänomene in der Kirche bei manchen evangelikalen Gruppen. „Dort gibt es den Irrglauben, man könne und müsse Schwule und Lesben ‚heilen‘ oder in heteronormative Beziehungen hinein pressen. Das ist eine Form der Gewalt.“
Übrigens ist das Ganze keineswegs ein Schichten- oder Bildungsproblem: Die immer noch wirksamen neuzeitlichen Geschlechterstereotype seien insbesondere im Bürgertum gepflegt und ausgeprägt worden, so Karle. „Das ist bis heute spürbar.“ In der Kirche sei vor allem die religiöse Prägung entscheidend. „Der volkskirchliche Mainstream ist insgesamt toleranter als evangelikale Kreise, die weithin noch ein sehr traditionelles Frauenbild pflegen.“
Wie fast alle Expertinnen betont auch Karle die Bedeutung der Macht, wenn es um #MeToo-Phänomene in der Kirche geht: „Die Kategorie der Macht ist bei sexuellen Belästigungen auch in der Kirche zentral. Eine besondere Problematik ergibt sich bei der Kirche aus der Tatsache, dass hier seelsorgerliche Beziehungen aufgebaut werden - und ausgenutzt werden können.“
Die 33-jährige Pfarrerin Sina Kaiser aus Pforzheim kann so eine Geschichte erzählen. In ihrer Vikariatszeit habe sich beim Besuch einer älteren Dame deren Mann, sobald diese aus dem Zimmer war, übergriffig verhalten - mit anzüglichen Bemerkungen wie: „An Ihrem Hintern ist ja wirklich was dran“ und „Haben Sie extra für mich eine aufreizende Bluse angezogen?“. Die gebotene Höflichkeit als Seelsorgerin habe sie davon abgehalten, sofort das Haus zu verlassen. Was Kaiser aber dann doch „fast fluchtartig“ tat, als der Mann beim Abschied auch noch ihre Hand ableckte. „Ich war danach mehr auf mich selbst zornig“, sagt sie. Denn sie habe sich nicht so verteidigt, wie sie es wohl sonst, außer Dienst und gegenüber Gleichaltrigen, getan hätte.
In der Kirche bleibt üblicher Weise vieles eher im Nebulösen, wie Radosh-Hinder erläutert: „Sexualisierte Übergriffe sind häufig sehr verbrämt, etwa wenn es heißt: Sie sieht gut aus - und kann auch noch gut predigen.“ Es ist wohl kein Zufall, dass bei der Recherche zu diesem Thema einige nicht mit dem zitiert werden wollten, was sie gesagt haben. Andere wollen nicht mit ihrem Namen genannt werden, wie etwa diese 35-jährige Pfarrerin aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Sie erzählt: „Es gibt immer wieder Sprüche, die man ertragen muss. Ein Ex-Pfarrer-Kollege sagte mir: ‚Frauen auf der Kanzel sind eine Übergangserscheinung.‘“ Auch von Gemeindemitgliedern höre man Sachen wie: „Ich lass mich nicht von einer Pfarrerin trauen.“ oder „Ihr Segen als Pfarrerin ist nicht gültig.“
In der Seelsorge erlebe sie als Pfarrerin, gerade auf dem platten Land, dass sie etwa am Hintern angefasst werde. „Ich sage da mittlerweile: ‚Das würde ich lassen, ich habe den orangenen Gürtel.‘“ Man lerne eben, damit umzugehen, meint sie leicht resigniert. „Aber ich finde es schon belastend, dass man von Vorgesetzten in der Kirche hört, man solle solche Konflikte so lösen, dass auch der Grabscher nicht sein Gesicht verliert.“ Und was sie dabei noch stört: „Von Vorgesetzten und von Kolleginnen in der Kirche kommt häufig der Standardsatz: ‚Damit müssen Sie als Frau rechnen, wenn Sie in diesem Beruf arbeiten.‘ Ich will mich aber nicht daran gewöhnen.“
Andreas Kahnt vertritt etwa 20?000 Pfarrerinnen und Pfarrer hierzulande , er ist der Vorsitzende des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland. Er verweist darauf, dass im Zuge der Diskussion um sexuelle Übergriffe im Raum der Kirche Anfang 2015 das Disziplinargesetz der EKD für Pfarrpersonen und Kirchenbeamte verschärft wurde. „Die Kirche will sich in der Frage sexueller Übergrifflichkeit überhaupt keine Blöße geben.“ Ihm sei derzeit kein aktueller Fall im Sinne von #MeToo-Übergriffen bekannt, betont er. Aber: „Dass ich von keinem aktuellen Fall weiß, kann auch daran liegen, dass es nach wie vor ein Un-Thema ist, über das niemand spricht.“
Diese Neigung zum Wegschauen oder Weghören sieht auch Antje Schrupp. Die Buchautorin hat unter anderem Theologie studiert, arbeitet seit Jahren mit halber Stelle für die Mitgliederzeitung Evangelisches Frankfurt und betreibt einen viel beachteten und ausgezeichneten Blog mit feministischem Impetus. Sie erklärt: „In den Gemeinden ist häufig das Selbstbild: Bei uns passiert so etwas nicht. Da kann es natürlich sein, dass es deshalb auch schwerer fällt, über #MeToo-Phänomene zu sprechen. Um so geheimer sind sie dann vielleicht.“ Sicherlich gebe es diese Übergriffe auch im hiesigen Protestantismus - wie in allen Institutionen, in denen Männer und Frauen zusammen arbeiteten. „Und ich fürchte, es ist in der Kirche nicht weniger schlimm als in anderen Institutionen.“
Schrupp verweist jedoch auch auf einen Mentalitätswandel der Frauen in der Kirche: „In den Achtzigerjahren habe ich mir auch in der Kirche noch viel mehr gefallen lassen - etwa Bemerkungen über meinen Busen. Aber ich dachte damals: Das ist halt so.“ Noch vor rund 20 Jahren, so erzählt eine evangelische Redakteurin, sei sie von ihrem Chefredakteur gebeten worden, doch für ein Gespräch mit einem Landesbischof einen kürzeren Rock anzuziehen. Um die Stimmung aufzuhellen.
Eske Wollrad von EFID meint: „Meine Vermutung ist, dass die Übergriffe im Raum der Kirche nicht andere sind als im Rest der Gesellschaft. Dafür sprechen auch meine eigene Anschauung und mir bekannte Fälle.“ Außerdem, gibt sie zu bedenken, gebe es einen belastbaren Grund zu glauben, dass dies in der Kirche anders sein sollte? „Das zu glauben wäre naiv. Die christlichen Prinzipien der Gotteskindschaft aller Menschen oder der Nächstenliebe sind viel zu abstrakt, um solche Übergriffe zu verhindern.“
Aber gibt es nicht doch eine Entwicklung zum Positiven, weil die Männer-Macho-Kirche alter Prägung angesichts vieler Pfarrerinnen langsam verschwindet? Die efid-Geschäftsführerin ist da skeptisch. Und: „Wäre es dann eine gewisse Ehrenrettung für die heutige Kirche? Nein, solche Übergriffe sind heute schlimm und besorgniserregend. Sie stellen eine dringende Herausforderung dar, der wir uns als Kirche stellen müssen.“ Macht spiele eben auch in der Kirche eine Rolle: „Oft fragen sich betroffene Frauen: Was passiert mit mir, wenn ich diesen Übergriff nun melde?“ So sei das in jeder hierarchischen Institution. „Warum sollte es in der Kirche anders sein?“
Stefanie Hoffmann weitet das Thema „#MeToo in der Kirche“ in gewisser Weise aus - auf einen Aspekt, der häufig nicht beachtet wird. Die Pfarrerin ist 33 Jahre alt und arbeitet im Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte. Sie erzählt: „Gelegentlich fühle ich mich auch im Raum der Kirche in eine Rolle gepresst - etwa wenn ich sagen soll, ob ich denn auch mal eine Familie haben will, wenn man mich bittet, den Kaffee zu holen, oder ich Sätze höre wie: ‚Sie sorgen für uns wie eine Mutter.‘“ Ihr habe auch schon einmal eine Frau eine Hand auf den Bauch gelegt - und gefragt: „Wann ist es denn so weit?“ Die #MeToo-Debatte könne dazu beitragen, dass das Bewusstsein wachse: „Sexistische Bemerkungen sind eine Form der Gewalt gegen Frauen.“
Die schon zitierte Pfarrerin der EKBO sieht auch bei manchen Kirchenoberen noch Lernbedarf: „Als ich mich auf eine Pfarrstelle beworben habe, sagte mir ein Vorgesetzter in der Kirche am Telefon, dass ich mir das überlegen solle, da ich doch eine Dreiviertelstunde zur Stelle fahren müsse - und die viele Fahrzeit könne schlecht sein für meine Ehe oder schlecht für meine Kinder, sollte ich mal welche haben.“ Sie hat sich trotzdem beworben - und wurde nicht genommen. Auch in Sachen Solidarität von Pfarrerinnen gegen sexistische Übergriffe hat sie wenig Hoffnung: „Wenn ich versuche, mit meinen Kolleginnen diese Missstände gemeinsam anzupacken, versickert das meist, da manche doch Angst haben, dass man kirchenintern Probleme kriegen könnte. Man sitzt dann schnell bei irgendeinem Vorgesetzten und muss sich rechtfertigen.“
Professorin Karle warnt: „Es wird eben nicht einlinig besser, weder in der Kirche noch in der Gesellschaft. Die antigenderistischen Tendenzen, die gegenwärtig zu beobachten sind, bestätigen dies.“ Eske Wollrad fordert, über sexuelle Übergriffe auch im Raum der Kirche zu reden: „Von der Kirchenspitze sollte das Signal kommen, dass wir uns diesem Problem stellen - in der Form einer Denkschrift, einer Studie oder wie auch immer.“
Silke Radosh-Hinder vom Kirchenkreis Berlin Stadtmitte hat da schon etwas Konkretes zu vermelden: „Wir planen in der EKBO eine Telefon-Hotline als Anlaufstelle für diejenigen, die von sexualisierten Übergriffen betroffen ist - und zwar für alle Betroffenen.“ Diese Forderung gebe es seit langem - und es sei davon auszugehen, „dass wir dies 2018 endlich umsetzen können“. Die Befürchtung - wie etwa jüngst von Frauen in Frankreich geäußert -, Männer und Frauen könnten bald in Kirche und Gesellschaft nicht mehr offen miteinander reden, lässt sie nicht gelten: „Es gibt Grauzonen. Aber mit denen wird meist argumentiert, um das ganze Thema #MeToo zu diskreditieren. Diese Übergriffe bleiben unmoralisch, unethisch und unchristlich.
Philipp Gessler