Kein Trialog, nur alte Bücher
Die erste Irritation ist der Ort: Sicher, die Ausstellung „Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500 – 1500“ wird im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt, durchaus einer der prominentesten Plätze für Schauen in der Hauptstadt, vielleicht sogar in ganz Deutschland. Aber das Ganze fast versteckt im 2. Obergeschoss – ein Zufall?
Sogleich der zweite Grund zum Zweifeln: Kann das wirklich alles sein? Die Ausstellung besteht im wesentlichen aus Dutzenden von alten Manuskripten und Büchern, alles schön hinter Glas wie in den Achtzigerjahren. Dazu große lange Tafeln an den Wänden mit wenig einladenden Titeln wie „Astronomie und Astrologie 4. Astronomie im arabischen Raum“. Moderne Museumspädagogik dürfte nicht die Hauptsorge der Ausstellungsmacher gewesen sein, um es vorsichtig zu sagen.
Schließlich der riesige Anspruch der Ausstellung, an dem sie – hier sei es klar gesagt – schlicht scheitert. „Die immer wieder aufbrechenden Konflikte zwischen den unterschiedlichen Ethnien, Religionen und Weltanschauungen lassen leicht vergessen, welch große Bedeutung Dialog und Kommunikation für die Entwicklung der jeweiligen Zivilisationen gehabt haben“, tönt es unter anderem im Flyer zur Ausstellung. Puh!
Bei solchem Pathos erwartet man zurecht die große Ausstellung zum Dialog der Kulturen: Vielleicht waren die im Mittelalter ja viel klüger und offener als wir? Eine Schau des Staunens ist da zu erhoffen, die uns zeigt, wie sich christliche, jüdische und muslimische Gelehrte im offenen und friedlichen Austausch befruchteten, an fast mythisch aufgeladenen Orten wie im muslimisch beherrschten Andalusien oder am Hof des Stauferkaisers Friedrich II. (1194–1250) auf Sizilien.
Tatsächlich gab es diese Orte des Austausches, des gegenseitigen Lernens – und die Schau nennt mehrmals etwa die Übersetzerschule am Königshof von Toledo im 12. und 13. Jahrhundert oder das „Haus der Weisheit (bait al-hikma)“, das der Kalif al-Ma’mun im Jahre 825 gegründet hat. Das war eine Art überkonfessionelle und interkulturelle Forschungseinrichtung, samt Bibliothek, Observatorium und Klinik. Diese entscheidenden Stätten des „Dialogs der Wissenschaften“ aber schwirren nur immer wieder als Namen durch die Ausstellungsräume. Ein buntes, sinnliches Bild von ihnen entsteht nirgendwo. War das den Ausstellungsmachern zu unwissenschaftlich?
Man sieht der Ausstellung leider in all ihren Räumen an, dass sie kuratiert wurde von Andreas Fingernagel, seines Zeichens Leiter der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek. Da klebte ein Experte offensichtlich allzusehr an seinen Schätzen. Für Nicht-Fachleute der Medizin- oder Astronomie-Geschichte bleiben die vielen alten Bücher meist stumm. Fast lieblos, mit knappsten Herkunftsangaben, werden sie präsentiert. Der schrieb von dem ab, der übersetzte den – mehr bleibt nach der zehnten trockenen Tafel nicht im Gedächtnis hängen. Mit Kindern sollte man auf keinen Fall in diese Ausstellung gehen, so man künftig weiter erzählen will, dass Museen eigentlich etwas Tolles sind.
Die Ausstellung im Gropius-Bau ist eine erweiterte Neuauflage der Schau „Juden, Christen und Muslime. Interkultureller Dialog in alten Schriften“, die 2010 in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen war. Das ist es: Eine Bibliothek zeigt alte Schriften – mehr ist die Berliner Ausstellung leider nicht geworden. Wie schade! Das Thema hätte viel mehr hergegeben. Empfohlen sei lediglich der Ausstellungskatalog mit seinen hervorragenden Bildern fast aller Exponate. Und, absurder Weise, das Glossar in diesem Band. Denn die dortigen klaren, intelligenten und farbigen Texte zeigen, was diese Ausstellung hätte sein können.
Bis 4. März: „Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500 – 1500“, Martin-Gropius-Bau Berlin.
Philipp Gessler