Authentisch

Über die öffentliche Kirche
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Bedford-Strohm will ehrlich sein und doch ermutigen, Frömmigkeit und politisches Engagement zusammenhalten, argumentieren und begeistern.

Die evangelischen Kirchen begehen gegenwärtig das 500-jährige Reformationsjubiläum. Mancher fragt sich: Und was kommt danach? Der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, will mit seinem jüngsten Buch Anstöße für die Zukunft einer mutigen Kirche liefern. Dabei nimmt er die Fakten einer kleiner werdenden Kirche nüchtern zur Kenntnis. Es geht ihm darum, unter dem Leitbegriff der Authentizität „eine neue Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft des Christentums zu entwickeln“, wie es im Klappentext heißt. Dabei versteht er unter Authentizität eine „intuitive Stimmigkeit“. Als Antwort auf die Frage, woraus die Kirche lebt, ruft der Autor zehn biblische Kirchenbilder in Erinnerung. In diesem Zusammenhang findet sich auch der Hinweis auf das Verhältnis von Gottes- und Nächstenliebe. Die Wendung „radikale Liebe“ dient dem Buch insgesamt als Titel. Weiter fügt der Autor einige Aspekte aus der Bekenntnis- und jüngeren Lehrentwicklung an. Dabei hebt er den Zusammenhang von theologischem Inhalt und „Verwurzelung im Gefühl“ besonders hervor. Im nächsten Kapitel skizziert der Verfasser ein Bild der modernen pluralistischen Gesellschaft. Auf dem Hintergrund der Debatte über Gemeinschaft und Gesellschaft (Tönnies und Durkheim) versteht er die moderne Gesellschaft als Netzwerk von Gemeinschaften. Gegenüber anderen Modellen profiliert Bedford-Strohm sein Modell einer Kirche „als authentische öffentliche Kirche in der pluralistischen Gesellschaft“. Eine authentische Kirche lebt aus geistlicher Kraft. Laut Bedford-Strohm brauchen wir eine „Erweckungsbewegung der ganz anderen Art“, also eine Verlebendigung der Frömmigkeit, die alte Frontstellungen überwindet. Dafür bezieht er sich auf den „Reichtum der spirituellen Traditionen des Christentums“. Eine authentische Kirche ist für Bedford- Strohm eine sich öffentlich engagierende Kirche. Mit Nachdruck plädiert er für die Einmischung der Kirche in politische Fragen. Er beruft sich für sein Verständnis von öffentlicher Religion auf die sozialphilosophische Figur des „überlappenden Konsenses“ von John Rawls. Das gegenwärtige staatskirchenrechtliche System ist auf diesem Hintergrund nicht zwingend aber sinnvoll.

Bedford-Strohm zeichnet sodann sein Bild von der „Kirche der Zukunft“. Er rekapituliert den 2006 angestoßenen Reformprozess in der EKD, indem er einige kritische Einwände aufnimmt, ohne die Gesamtrichtung zu widerrufen. So hebt er das Modell des Netzwerks und die in ihm liegenden Chancen hervor. In diesem Zusammenhang werden die Ortsgemeinden und ihre flexible Entwicklung stärker gewürdigt, als viele Leser es aus „Kirche der Freiheit“ herauslesen konnten. Zur Fortentwicklung des Pfarrberufs macht Bedford-Strohm zum Teil sehr konkrete Vorschläge.

Nachdrücklich tritt er dafür ein, die Beteiligungsmöglichkeiten fortzuentwickeln, und ermutigt zu missionarischen Projekten, denen man ihre Verwurzelung in der Liebe abspürt. Er plädiert für einen Leitungsstil, der überzeugt statt anordnet. Das Verhältnis von Diakonie und Kirche beschreibt er als ein konstruktives Miteinander. Und er betont den weltweiten, ökumenischen Horizont. Bedford-Strohm will ehrlich sein und doch ermutigen, Frömmigkeit und politisches Engagement zusammenhalten, argumentieren und begeistern.

Einen Anstoß würdigt man, indem man ihn zurückfragend und weiterdenkend aufnimmt. Deshalb: Was bedeutet es, die Authentizität einer Institution auszusagen? Charles Taylor zeigt an der Entwicklungsgeschichte des Konzepts „Authentizität“ auch dessen Gefahren und Ambivalenzen auf; aber was bedeutet das im Blick auf die authentische Kirche?

Friedrich Hausschildt

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