Wie haben Reformation und Protestantismus die Welt verändert? Renommierte Mitglieder des hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirats „Reformationsjubiläum 2017“ gehen dieser Frage in unterschiedlicher Perspektive neu nach. Dabei ist ein höchst inspirierendes Werk entstanden.
Nach der Einleitung bietet der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann einen erhellenden historischen Überblick über die Reformationsgeschichte. Er zeigt darin, dass die Reformation in Ursachen, Hergang und Folgen ein facettenreiches gesamteuropäisches Phänomen darstellt.
Stefan Rhein befasst sich anschließend kurz mit der reformationsgeschichtlichen Bedeutung Wittenbergs. Seine These „Ohne Wittenberg keine Reformation!“ kann zumindest für die lutherische Reformation überzeugen. Der nachfolgenden Würdigung der Lutherbibel als „Leuchtfeuer der Reformation“ durch den katholische Exegeten Thomas Söding liegt erfreulicherweise eine differenzierte Analyse zugrunde.
Das Verhältnis von „Protestantismus und Moderne“ ist der Gegenstand des Religionssoziologen Detlef Pollack. Ausgehend von einem eigenen Modernebegriff formuliert er die These, dass die Moderne ihre eigentlichen Wurzeln im Mittelalter hatte und im 18. Jahrhundert ihren Durchbruch erfuhr. Die Reformation sei zwar ein Beschleuniger, allerdings nicht der Ursprung der Moderne gewesen. Pollack wendet sich damit gegen Deutungen, die den Protestantismus als (positive oder negative) Wurzel der Moderne begreifen. Dem Anspruch der Überschrift kommt er aber nur bedingt nach, da er leider nur die lutherische Reformation in den Blick nimmt. Einen gelungenen Beitrag über „Die weltweite Verbreitung des Protestantismus“ legt die Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg vor. Darin beschreibt sie einerseits die durch Koloniegründungen und religiös motivierten Migrationen einsetzende Expansion der verschiedenen evangelischen Denominationen, vor allem nach Nordamerika. Andererseits betrachtet sie die Verbreitung des Protestantismus in andere Kontinente infolge europäischer und amerikanischer Missionsbestrebungen. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio nimmt das Reformationsjubiläum zum Anlass, die Charakteristika der Neuzeit zu analysieren. Dieser sich mit dem Renaissancehumanismus konstituierenden Neuzeit bescheinigt er eine wesenhafte „Dialektik“, zu der auch Luther einen ideengeschichtlichen Beitrag geleistet habe. Die Dialektik bestehe in der Wechselbeziehung von Freiheit und Bindung sämtlicher Sphären der Gesellschaft.
In seinem Aufsatz „Reformation und Recht“ schildert der Kirchenhistoriker Christoph Strohm überzeugend, welche Auswirkungen der reformierte und der lutherische Protestantismus auf Recht und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit hatte. Er zeigt, dass evangelische Juristen einen großen Beitrag zur Eigenständigkeit und Emanzipation der Jurisprudenz von der Theologie geleistet haben. Zum Schluss plädiert die Historikerin Ulrike Jureit dafür, die „Reformation als Konfliktgeschichte“ zu konzipieren. Bestechend wendet sie sich damit gegen historiographische Bestrebungen innerhalb der EKD und der Politik, die die Reformation als eine „Art Urknall der europäischen Moderne stilisieren“.
Die Lektüre des gut zu lesenden Sammelbands, so lässt sich summieren, ist sowohl für die wissenschaftliche als auch für die breitere Öffentlichkeit lohnenswert. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass die Beiträge mit zwei Ausnahmen nahezu ausschließlich auf den lutherischen Protestantismus beschränkt sind. Die Berücksichtigung anderer Typen des Protestantismus wäre für die Beschäftigung mit der „Weltwirkung der Reformation“ allerdings wünschenswert gewesen.
Gregor Bloch
Gregor Bloch
Gregor Bloch ist Pfarrer und theologischer Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Westfalen und Lippe. Er wohnt in Detmold.