Unterschiedliche Sprachen

Theologen und Naturwissenschaftler eint nur derselbe Bezugspunkt
Der Weltraum – unendliche Weiten, hier Sternennebel Nebel IC 405.  Foto: epd/ Peter Wienerroither
Der Weltraum – unendliche Weiten, hier Sternennebel Nebel IC 405. Foto: epd/ Peter Wienerroither
Wir blicken zurück auf ein Jahrhundert der Kosmologie: Unser Bild der Welt hat sich dabei fundamental verändert. Das hat Folgen, auch für die Theologie – sagt der Münsteraner Theologe Matthias Schleiff im ersten Teil der fünfteiligen zeitzeichen-Serie „Naturwissenschaft und Theologie“.

Am Anfang, heißt es, schuf Gott Himmel und Erde, doch schon der Physiker Steven Weinberg beklagte, dass niemand dabei gewesen sei, der dies beobachten konnte. Ganz sicher können wir uns bei den Fragen der Vorgeschichte unseres Universums also offenbar nicht sein. Zunächst stehen wir hier vor einer sehr grundlegenden Alternative: Entweder hat es den Kosmos (oder eine irgendwie geartete Vorform) immer schon gegeben. Oder: Der Kosmos hat irgendwann seinen Anfang genommen. Mit Rücksicht auf die biblischen Schöpfungserzählungen haben die Theologen es stets eher mit der zweiten Lösung gehalten. Eigentlich scheint jedoch beides undenkbar: Sowohl die Annahme, die Welt habe seit Ewigkeit bestanden, als auch die entgegengesetzte Auffassung, sie sei plötzlich aus dem Nichts hervorgetreten, stellen das Denken vor unauflösliche Widersprüche. So diagnostizierte es schon der Philosoph Immanuel Kant (1724–1804). „Nichts“ und „Ewigkeit“ – das sind Grenzbegriffe, bei denen die Vernunft vor die Wand zu laufen scheint.

Die griechische Philosophie war in der Frage geteilt, ob die Welt einen Anfang gehabt habe: Platon ersann einen halb philosophischen, halb phantastischen Mythos über die Entstehung der Welt. Aristoteles dagegen gab mit nüchternen Argumenten der Vorstellung den Vorrang, der Kosmos habe seit jeher unveränderlich Bestand gehabt. Christliche Denker des Mittelalters wie Thomas von Aquin waren daher gut beraten zu zeigen, dass auch ein anfangsloser Kosmos mit dem Glauben an einen Schöpfergott zu vereinbaren ist. Über Jahrhunderte schien in dieser Frage allerdings alles auf eine philosophische Pattsituation hinauszulaufen.

Erst im 20. Jahrhundert wurde die bis dahin in der Metaphysik beheimatete Frage des kosmischen Anfangs ein Gegenstand der empirischen Physik. Die Wende kam, als Astronomen mit ihren gewachsenen Möglichkeiten in den Zwanzigerjahren beobachten konnten, dass der Kosmos nicht so unveränderlich war, wie man bis dato gedacht hatte. Das war eine epochale Entdeckung: Der Kosmos veränderte sich. Er hatte eine Geschichte – und diese Geschichte hatte einen Anfang.

Die entscheidende Idee dazu hatte 1927 der belgische Jesuitenpriester Georges Lemaître: Aus der Rotverschiebung des Lichts von Galaxien außerhalb unserer Milchstraße schloss er, dass die Dinge im Raum – Sterne und Galaxien – und auch der Raum selbst sich auseinanderbewegen. Er stellte sich vor, diese Expansionsbewegung des Kosmos wie in einem Film rückwärts ablaufen zu lassen. Damit stieß er zu einem Moment in der Vergangenheit vor, an dem alle Materie des Universums auf kleinstem Raum konzentriert gewesen sein muss. Lemaître bezeichnete diesen Ausgangspunkt des Universums als ein „kosmisches Ei“. Und heute sprechen Physiker von der kosmischen „Anfangssingularität“. Im Volksmund hat sich die klangvollere Metapher des „Urknalls“ durchgesetzt.

Innerhalb der Physik war die Urknalltheorie in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stark umstritten. Namhaften Physikern wie Arthur Eddington und Albert Einstein war die Vorstellung eines Anfangs der Welt zunächst suspekt, nicht zuletzt, weil sie religiös imprägniert zu sein schien. Was heute als eindrucksvollster empirischer Beleg der Urknalltheorie gilt, war das Resultat eines glücklichen Zufalls: Arno Penzias und Robert Wilson, zwei Forscher an den „Bell Telephone Laboratories“ in New Jersey, stießen 1964 bei Messungen mit einer Funkantenne auf ein Rauschen, das ihre Arbeit unmöglich machte. Was sie für eine technische Störung hielten, erwies sich als eine kosmische Hintergrundstrahlung, die sich als Fingerabdruck des Urknalls verstehen lässt. Die Entdeckung wurde 1978 mit dem Physiknobelpreis gewürdigt. Heute glaubt man, auch den Moment des Urknalls recht genau eingrenzen zu können: Die jüngsten Messungen siedeln ihn vor 13?772 Milliarden Jahren an.

Theologische Genugtuung

Von Seiten der Theologie und der Kirchen ist die Theorie des Urknalls sehr schnell positiv aufgenommen worden. Was revidiert werden musste, war freilich die traditionelle Vorstellung vom Alter des Universums. Den biblischen Schöpfungserzählungen folgend hatte man der Welt ein Alter von einigen Tausend Jahren zugestanden. So hatte der Astronom Johannes Kepler (1571–1630), das Datum der Schöpfung auf Sonntag, den 27. April 3877 v. Chr., um 11 Uhr vormittags, berechnet. Aber mit der Urknalltheorie war dieser Moment um einige Milliarden Jahre vorzudatieren. Dennoch überwog auf theologischer Seite die Genugtuung, dass man mit der Vorstellung, dass der Kosmos einen Anfang gehabt hat, prinzipiell im Recht geblieben war. Schnell erfolgte daher auch die lehramtliche Approbation: Papst Pius XII. erkannte die Urknalltheorie 1951 an. Der wissenschaftlich interessierte Pontifex urteilte: „Es scheint, dass es der modernen Wissenschaft gelungen ist, durch geniales Zurückgreifen um Millionen von Jahrhunderten irgendwie Zeuge jenes am Uranfang stehenden ‚Es werde Licht‘ zu werden, als die Materie ins Dasein trat und ein Meer von Licht und Strahlung aus ihr hervorbrach.“

Der Urheber der Theorie, der Jesuit Lemaître, war hier gerade auch aus theologischen Gründen erheblich vorsichtiger gewesen. Ob er mit der Sekunde des Urknalls tatsächlich zum Moment der göttlichen Schöpfung vorgedrungen war, ja, ob er überhaupt eine Stunde Null des Kosmos ausgemacht hatte, wollte er mit Bedacht offenlassen. Man könne nicht wissen, ob der große Knall nicht seinerseits das Ergebnis eines Vorgänger-Universums gewesen sei, das in sich zusammengefallen sei, bevor es erneut zu einer heftigen Expansion angesetzt habe. Der Urknall ist daher zwar sicher der Anfang unseres Universums, wie wir es kennen, aber nicht automatisch der Anfang der Welt. Beide Begriffe sind sorgfältig auseinanderzuhalten: Der „Urknall“ ist ein physikalisches Konzept, vom „Anfang der Welt“ ist dagegen theologisch und philosophisch die Rede. Und die Frage, was „vor dem Urknall“ war, ist – anders als die Frage nach dem, was sich „vor dem Anfang der Welt“ ereignet hat – nicht von vornherein sinnlos.

Theologen und Naturwissenschaftler sollten sich daher daran erinnern, dass sie unterschiedliche Sprachen sprechen, die sich nicht ohne weiteres übersetzen lassen. Das gilt für viele zentrale Begriffe beider Disziplinen: So lässt die Urknalltheorie den Kosmos aus einem „Quantenvakuum“ entstehen. Theologen erinnert das daran, dass sie schon immer von einer „Schöpfung aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo) gesprochen haben. Doch vor einer vorschnellen Identifizierung ist wieder zu warnen: Während das Quantenvakuum in physikalischen Theorien als Vorstufe unserer materiellen Welt in Erscheinung tritt, verlässt man mit einem ernst genommenen Gedanken des „Anfangs der Welt“ den Bereich des physikalisch Beschreibbaren: Das „Nichts“ ist kein reales Ding, das mit irgendeinem realen „Etwas“ in einen kausalen Zusammenhang treten kann. Es bleibt dabei: Von nichts kommt wirklich nichts.

Auch das „Universum“ und die „Natur“, von denen die Wissenschaften sprechen, sind nicht einfach mit der „Schöpfung“ gleichzusetzen, von der der Glaube Zeugnis ablegt. Und wer die Welt als Gottes Schöpfung deutet, sagt damit entschieden mehr, als eine Hypothese über ihre Entstehung abzugeben: Er setzt sich und die Welt in ein produktives Verhältnis zu ihrem Urheber. Der Schöpfungsglaube fügt der Fülle an Erkenntnissen über die Entstehung der Welt nichts hinzu. Aber er verändert die Perspektive: Angesprochen als „Schöpfung“ erscheint die Welt in anderem Licht.

All das spricht für eine wohlüberlegte Differenzierung der Perspektiven von Kosmologie und Theologie – eine wichtige Unterscheidung, zu der die Theologie in der Auseinandersetzung mit den Weltbildern der Moderne mit einigen Mühen gefunden hat. Das letzte Wort ist damit aber noch nicht gesprochen: Im Glaubensbekenntnis bekennen Christen den Glauben an Gott, den „Schöpfer des Himmels und der Erde“. Es bleibt daher richtig, das, was theologisch mit „Schöpfung“ gemeint ist, von der „Natur“ zu unterscheiden. Es ist aber auch wichtig, das, was die Welt zu Gottes Schöpfung macht, an der Welt aufzuzeigen. Theologie und Naturwissenschaft unterscheiden sich in ihrer Sprache. Aber sie treffen sich auch: in der einen Welt, die die Theologie als Schöpfung Gottes beschreibt und die die Naturwissenschaft in ihren Gesetzmäßigkeiten erfasst.

Den Verfassern der biblischen Schöpfungserzählungen war das bewusst. Sie haben das kosmologische Wissen ihrer Zeit in Anspruch genommen, um damit vorstellbar zu machen, was es heißen kann, Gott als den Schöpfer dieses Kosmos zu verstehen. Und das gilt auch heute noch: Ohne Kosmologie wird die Theologie weltfremd.

Matthias Schleiff

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