Es ist auch selbst eine Narration, die Martin Illert mit seiner an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg angenommenen Habilitationsschrift präsentiert, in der der Orthodoxie-Referent erhellend die Narrationen sämtlicher Dialoge der EKD und des bek mit orthodoxen Kirchen zur Darstellung bringt und in ihrer Bedeutung bedenkt.
Das Gespräch mit der Orthodoxie droht in Deutschland im Schatten der Aufmerksamkeit einerseits auf die römisch-katholische Kirche und andererseits den Eine-Welt-Ökumenismus des Ökumenischen Rates der Kirchen zu verschwinden. Es stößt auf ein recht begrenztes Interesse, weil es in unserem kirchlichen Alltag nur wenig Berührungspunkte mit der orthodoxen Kirche gibt. Für die
ist es darum weithin ein Gegenstand der „Außenpolitik“, der auch in den eigenen Reihen durchaus sehr unterschiedlich wertgeschätzt wird. Aber im Grunde weiß kaum jemand wirklich, was da eigentlich passiert und welche Perspektive diesen Dialogen zugemessen werden kann. Die jeweils veröffentlichten Kommuniqués erschließen nur überaus begrenzt den Ertrag der jeweiligen Begegnung und verschwinden unversehens in den stetig mehr oder weniger geräuschlos anwachsenden geduldigen und ebenso dickleibigen Dokumentationsbänden einer Lehrökumene, die wohl von niemanden mehr ganz überblickt werden kann.
Die Arbeit von Illert nimmt sich eines wirklichen Desiderates an, indem sie es wagt, eine Gesamtwahrnehmung der zahlreichen Dialoge mit den orthodoxen Kirchen vorzulegen. Dabei wird eine breit orientierte historische Perspektive eingenommen, die sich den Blick von den jeweils gegebenen kontextuellen Bedingungen schärfen lässt, ohne dabei die systematische Tiefenschärfe der erörterten Fragestellungen aus den Augen zu verlieren. Es zeigt sich in einer überraschend weitreichenden Deutlichkeit, wie sehr alle Dialoge von dem vor allem kirchenpolitisch wahrgenommenen Kontext bestimmt werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr sich die Orthodoxie gegen hermeneutische Debatten und die Thematisierung der so genannten nichttheologischen Faktoren in der Ökumene zur Wehr setzt. Vermutlich weiß sie nur zu gut, was es heißt, wenn die Büchse der Pandora geöffnet wird. Behutsam und zugleich entschlossen wird sie nun von Illert geöffnet und den Dialogen entweicht ein Großteil des Pathos, mit der die oft recht kleinen Schritte gern in großer Beleuchtung der Feier übergeben wurden.
Was bei dem Dialog mit der Russisch-Orthodoxen Kirche besonders ins Auge sticht, zeigt sich in unterschiedlichen Ausrichtungen auch in den anderen Dialogen. Dennoch dürfen die verschiedenen Dialoge nicht über einen Kamm geschoren werden, auch wenn damit zu rechnen sein wird, dass selbst da, wo die kontextuellen Aspekte vergleichsweise weit in den Hintergrund rücken, durchaus auch kontextuelle Gründe mit im Spiel sein können; auch eine weitgehende Dekontextualisierung kann ihre Gründe im Kontext haben, wie Illert besonders im Blick auf den Dialog mit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche verdeutlicht.
Die Wahrnehmung der durchweg kirchenpolitisch motivierten Ausrichtung der Dialoge bedeutet zwar eine weitreichende Ernüchterung, aber ganz und gar nicht eine Annullierung ihrer theologischen Bedeutung. Wie Illert herausstellt, ist diese allerdings nicht allein in den Formulierungen der Kommuniqués, sondern eher in den Veränderungsprozessen zu suchen, die durch das Geschehen der Dialogbegegnungen angestoßen werden, ohne dass sich diese immer genau identifizieren lassen. Martin Illert weiß, wovon er spricht und weshalb er wohl nicht nachlassen wird, auch selbst weiterhin das Gespräch mit den orthodoxen Kirchen zu suchen.
Michael Weinrich
Michael Weinrich
Michel Weinrich ist Professor em. für Systematische Theologie in Bochum und Herausgeber von Zeitzeichen.