So wie die Menschen sich durch die Zeit ändern, ändert sich ihre Sprache. Und so wie die Sprache sich ändert, ändert sich die Rede von Gott, zumindest was die äußere Gestalt angeht. Hier kommt „Leichte Sprache“ ins Spiel. Ihr Ziel ist eine möglichst barrierefreie Kommunikation. So wie im öffentlichen Raum Rampen und Fahrstühle den Zugang zur U-Bahn und zum Büro im 8. Stock ermöglichen, sind Texte in Leichter Sprache „Ermöglichungs-Kommunikation“. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Leichte Sprache Regeln gegeben, die „Leichte Sprache“ zu einem geschützten Begriff machen.
Sie ist ein Arbeitsergebnis, eine Errungenschaft der Selbsthilfebewegung von Menschen mit geistigen Behinderungen. Leichte Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten sind seit der UN-Menschenrechtskonvention von 2008 für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Teil eines „Rechtes auf Verstehen“.
Leichte Sprache hat klare Regeln, die das Netzwerk „Mensch zuerst“ formuliert hat - nachzulesen unter www.leichtesprache.org.
Der Begriff „Leichte Sprache“ bezeichnet dabei eine sprachliche Ausdrucksweise, die in besonderer Weise verständlich ist. Zu ihren Regeln gehört es, kurze Sätze zu verwenden. Dabei enthält jeder Satz nur eine Aussage. Lange Sätze mit mehr als 15 Wörtern werden aufgeteilt. Verbalisierungen sind Nominalisierungen vorzuziehen. Konjunktive oder Futur sollen nicht verwendet werden, ebenso wenig Abstrakta, Fremdwörter oder Fachwörter. Lange Zusammensetzungen werden aufgelöst; Negationen durch positive Aussagen ersetzt; ungewöhnliche Wörter erklärt. Entscheidend ist die Orientierung am Hörverstehen. Mit Bildern und Metaphern wird sparsam umgegangen. Manchmal benötigen in einem Text neu auftretende Namen oder Bilder eine Art Zugangsrampe, die den Zugang zu ihnen erleichtert. Die Regel „Ein Gedanke pro Satz“ führt dazu, sich zu fokussieren. Die Regel „Keine Negationen“ macht nötig, dass zum Beispiel nicht einfach ein Verbot ausgesprochen wird, sondern jemand sagen muss, was stattdessen zu tun ist. Statt: „Du sollst nicht töten!“ heißt es dann beispielsweise „Du sollst Leben fördern. Du sollst Leben bewahren.“ Oder statt „Fürchte dich nicht!“: „Sei ganz ruhig! Hab Mut!“ Und schon beginnt wieder die Interpretation, in der der Sprecher oder die Sprecherin sich zeigt- mehr, als wenn er oder sie die bekannte Sprachform oder die Formel wiederholt.
Doch das Lesen von Buchstaben reicht nicht, schon gar nicht von „uralten“. Das „Wort soll im Schwang sein“, sagt Luther. Es soll ausgelegt und „angelegt“ oder moderner: „angeeignet“ werden. Und das soll jedem Menschen möglich sein, denn allen gilt die frohe Botschaft. Für Luther war es im Blick auf die Bibelübersetzung eine Selbstverständlichkeit, „dem Volk aufs Maul“ zu schauen, also die Sprache der Menschen zu sprechen, um sie mit geistlichen Inhalten erreichen zu können. Das, was wir heute „Kommunikation des Evangeliums“ nennen.
Gesättigt mit Bibelzitaten
Luther war die Wiederentdeckung der zentralen neutestamentlichen Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders eine existenzielle Entlastung und der Befreiungsschlag für die Kirche. Bibelworte wie „Höret, so werdet ihr leben!“ oder „Der Glaube kommt aus der Predigt. Das Predigen aber durch das Wort Christi“ bezeichneten die Mitte seiner Theologie und Anthropologie.
Es gibt ein gemeinsames Anliegen von Leichter Sprache und reformatorischer Theologie und Predigt: Alle Menschen sind eingeladen, niemand ist ausgeschlossen. Das klingt zunächst selbstverständlich. Konkret aber heißt das: Unabhängig von Bildungsgrad und kognitiven Fähigkeiten soll es Menschen möglich sein, die Geschichten vom zugewandten Gott in ihrem Leben als Befreiung zu erfahren.
Keine Frage, die Kriterien der Leichten Sprache sind für die reiche poetische theologische Sprache Luthers, die ihrerseits gesättigt ist mit biblischen Zitaten und Anspielungen auf die theologischen Debatten seiner Zeit, eine große Herausforderung. Mancher Lutherexperte hat uns im Vorfeld von dem ganzen Unternehmen abgeraten. Die Angst vor Verflachung und Trivialität. Warnungen, die die Bewegung der Leichten Sprache von Beginn an begleiten. Wir haben das sehr ernst genommen und geprüft und sind trotzdem bei unserem Vorhaben geblieben, weil wir glauben: Leichte Sprache ermöglicht Tiefe und Verstehen. Wir sind uns bewusst, dass es genau wie bei biblischen Texten für manche schmerzhaft sein kann, die vertrauten Texte in anderem Ton zu hören und zu lesen. In Workshops und Seminaren machen wir zugleich immer wieder die Erfahrung, dass ein in Leichte Sprache übertragener Text ganz andere Möglichkeiten bietet. Die Übertragung eines Predigttextes in Leichte Sprache ist eine gute Predigtvorbereitung.
Als Beispiel unserer Arbeit nun ein Abschnitt aus Kapitel 7 von Luthers bekannter Schrift„Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Zunächst das Original (Luther, Inselausgabe): „Zum siebenten. Darum soll das billig aller Christen einziges Werk und einzige Übung sein, dass sie solches Wort und Christus wohl in sich bilden, um solche Glauben stetig zu üben und zu stärken. Denn kein anderes Werk kann einen Christen machen. (…) Darum ist es ein ganz überschwenglicher Reichtum, ein rechter Glaube an Christus; denn er bringt alle Seligkeit mit sich und nimmt alle Unseligkeit ab. (…)Der Glaube, in dem kurz die Erfüllung aller Gebote besteht, wird alle die überfließend rechtfertigen, die ihn haben, so daß sie nichts mehr bedürfen, damit sie gerecht und fromm seien.“
Nun die Übertragung in Leichter Sprache: „Siebtens. Darum gibt es nur eine wichtige Aufgabe für Christen. Sie lassen Gottes Wort in sich wirken. Nur so wird ihr Glaube stark. Nur so werden und bleiben sie Christen. Jesus macht uns unglaublich reich. Wenn wir an ihn glauben, werden wir selig. Dann kommen wir zu Gott. Der Glaube hilft, das Richtige zu tun. Er allein macht gerecht und fromm.“
Bei der Übertragung von Luthers Text in die Leichte Sprache leiteten uns verschiedene Gedanken und Prinzipien. Manchmal müssen als Hinführungen sogenannte Rampen gebaut und große Begriffe oder Namen eingeleitet werden. Dadurch wird der Text in Leichter Sprache manchmal länger als das Original. Das bringt die Übertragung in Leichte Sprache mit sich. Eine Herausforderung sind auch Negationen. Sie können durch Fragen vermieden werden, die dann mit einem „Nein“ beantwortet werden. Negationen bei Verben oder Adverbien fordern dazu heraus, ein anderes, positives Äquivalent zu finden.
Diese Vorgehensweise hat eine Nähe zu dem, was Luther selbst praktizierte, wenn er (Psalm-)Lieder schrieb und andere dazu animierte. So schrieb er 1523 an seinen Freund Spalatin: „Ich habe im Sinn nach dem Vorbild der Propheten und der alten Kirchenväter volkssprachliche Psalmen für die Gemeinde zu machen, geistliche Lieder, damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe. […] Ich möchte aber, dass die höfischen Modewörter vermieden und stattdessen, entsprechend dem Fassungsvermögen des Volkes, ganz einfache und volkstümliche, aber dennoch treffende und geeignete Worte gewählt werden, und dann der Sinn klar und möglichst nahe dem Psalmtexte wiedergegeben werde. Man muss daher frei verfahren, und wenn man einmal den Sinn erfasst hat, die Wörter dahinten lassen und mit anderen passenden Wörtern übersetzen.“
Auch uns geht es um eine behutsame „zeitgenössische Aneignung“. Wir sind uns bewusst, dass jede Übertragung Interpretation ist. Uns ist gerade für diese Schrift unter den heutigen Bedingungen von Verstehen und von einer Gesellschaft der Vielfalt das „Fassungsvermögen der Menschen“ von zentraler Bedeutung. Beiden sind wir verpflichtet: Luther und den Adressaten von heute.
Die jahrhundertealten Worte sind im Original-Ton nicht mehr geläufig. Die Themen „Freiheit von“ und „Freiheit zu“, nach Identität und Bestimmung, nach Aufgabe und der Suche nach dem, was Gott will, sind aber bleibend aktuell. Und die einfachen und klaren Sätze der Leichten Sprache sollen einen Raum öffnen, in dem eigene Bilder entstehen können. Satz für Satz baut sich ein Bild auf, die Phantasie kann mitgehen und die leeren Stellen füllen. Dennoch wäre es ein Irrtum zu denken, dass alles nur an Verständlichkeit hängt, denn zum Verstehen kann auch ein Offenlassen gehören, ein Wissen darum, dass ich gerade nicht alles erklären und verständlich machen kann. Das gilt auch für manche Formulierungen Luthers, die geheimnisvoll in der Schwebe bleiben. Das gilt besonders für die Anthropologie, wo es immer wieder scheint, als sei der „alte Mensch“ mit dem „äußeren“ Menschen identisch oder der „innere Mensch“ mit der „Seele“.
Wir bemühen uns um Fluss, um Leichtigkeit im besten Sinne des Wortes und hoffen, dass Luthers zentrales Werk in seiner aktuellen Relevanz dadurch einen Weg zu den Menschen unserer Gegenwart findet.
Literatur:
Christiane Kohler-Weiß (Hg.): Von der Freiheit - Martin Luther lesen. Mit Auszügen in Leichter Sprache. Übertragen von Anne Gidion und Jochen Arnold im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016, 64 Seiten, Einzelpreis 1,59 Euro. Die Abgabe erfolgt nur in 10er-Einheiten.
Anne Gidion / Jochen Arnold
Anne Gidion
Jochen Arnold
Jochen Arnold ist Professor für Evangelische Theologie an der FH Hannover.