Gezähmte Dobermänner

Ökumene bedeutet, die Stärken der anderen Konfessionen zu entdecken
Ökumenischer Pfingstgottesdienst in Berlin-Neukölln: Geleitet wurde er von einem methodistischen, reformierten, katholischen und Herrnhuter Pfarrer (schwarzer Anzug). Foto: epd/ Rolf Zöllner
Ökumenischer Pfingstgottesdienst in Berlin-Neukölln: Geleitet wurde er von einem methodistischen, reformierten, katholischen und Herrnhuter Pfarrer (schwarzer Anzug). Foto: epd/ Rolf Zöllner
Die Kirchen sollten miteinander entspannt und zugleich selbstbewusst umgehen, fordert Jörg Lauster, Professor für Systematische Theologie in München, in seinem Buch „Der ewige Protest - Reformation als Prinzip“. Wir drucken einen Auszug. Dass die Reformation zur Kirchenspaltung führte, hält Lauster für ein trauriges, aber letztlich notwendiges Geschehen.

Für den traditionellen kulturprotestantischen Optimismus ist die gegenwärtige ökumenische Situation eine herbe Herausforderung. Sie ist ein untrügliches Indiz dafür, dass es in der Menschheitsgeschichte nicht immer nur vorwärts geht. Die großen ökumenischen Aufbrüche des 20. Jahrhunderts haben sich zu Beginn des 21. Jahrhundert jäh abgebremst, manche sprechen von einer ökumenischen Eiszeit.

Der katholischen Kirche steht zwar ein charismatischer und aus gutem Grund beliebter Papst vor, den man ökumenisch sicher nicht als unaufgeschlossen bezeichnen kann, aber intern rumort es. Wenn emeritierte Kardinäle öffentlich vom Papst Rechenschaft über seine Enzyklika Amoris Laetitia verlangen, wie im Herbst 2016 geschehen, ist das nur die Spitze des Eisbergs eines ewigen Antimodernismus innerhalb des Katholizismus. Gerade in der jüngeren Generation des potentiellen Priesternachwuchses sind rückwärtsgewandte Auffassungen erstaunlich populär. (...)

Der Protestantismus, einstmaliger Motor der ökumenischen Bewegung, arbeitet sich unermüdlich an versagten Gesten der anderen Kirchen ab. Alle Jahre wieder erscheint ein katholisches oder auch orthodoxes Dokument, das die protestantischen Kirchen zu kirchlichen Gemeinschaften degradiert und im Amtsverständnis oder anderswo eine geringere Fülle göttlicher Heilsgegenwart diagnostiziert, alle Jahre wieder reagieren Protestanten darauf reflexhaft im Modus beleidigter Gekränktheit, ohne kaum darüber nachzudenken, dass das, was in jenen Dokumenten als Kirche im vollen Sinne des Wortes bezeichnet wird, für ein protestantisches Kirchenverständnis niemals erstrebenswert sein kann. Mit Mut und Phantasie könnte man darum die vermeintlichen Degradierungen auch als eigentlichen Adelsschlag lesen und offensiv damit umgehen. Das, was dort unter Kirche verstanden wird, geht an der protestantischen Überzeugung vorbei. Die Haltung beleidigter Kränkung hat man stattdessen in den letzten Jahren in eine Ökumene der Profile transponiert, eine Art schiedlicher Selbstabschließung in sich selbst. (...)

Oberlehrerhafte Theologen

Omnis determinatio est negatio - die Weisheit, dass alle Bestimmung offensichtlich nur über die Negation funktioniert, lehrte schon Spinoza. In der Ökumene der Profile kommt sie zu fataler Anwendung. Evangelisch ist darum schon gut, weil es nicht katholisch ist. Man vergisst, dass Tillich schon vor über einem halben Jahrhundert davor gewarnt hat, das protestantische Prinzip auf einen bloßen Antikatholizismus zu reduzieren. Denn damit wäre es kraftlos. Und doch ist der Antikatholizismus bisweilen eine Art zweiter Natur des Protestantismus. Dass sich 1999 deutsche Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer zu einer Erklärung zusammenfanden, die die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung ablehnte, ist in der jüngeren Geschichte der deutschen protestantischen Theologie einer der trüberen Momente. Die deutsche protestantische Theologie dokumentierte damit, warum die Weltgeltung, die sie einstmals hatte, seit langem verloren war. Oberlehrerhaft monierte man Schwachstellen in der Lutherinterpretation und erkannte die Zeichen der Zeit nicht. Und wenn die Gemeinsame Erklärung nur ein Dokument des guten ökumenischen Willens gewesen wäre, sie wäre schon allein darum unterstützenswert gewesen.

Das Gezänk um die Gemeinsame Erklärung ist auch noch in einer anderen Hinsicht für die ökumenische Bewegung folgenreich. Es bedeutet das Ende der Konsensökumene und der dogmatischen Übereinstimmungserzielung. Es war eine an sich bewundernswerte Anstrengung in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die gegenseitigen Verwerfungen und Lehrverurteilungen genauer zu untersuchen, um im Lichte gegenwärtiger theologischer Einsichten mögliche Konsense zu formulieren. Man gelangte auf diesem Weg erstaunlich weit, wenigstens zwischen Katholizismus und einigen lutherischen Kirchen zeichnete sich am Horizont die fast vollständige Stilllegung kirchentrennender Lehrbestände ab. Ernüchternd war die Rezeption. Aus jeder Kirche standen Wächter der rechten Lehre auf, die etwas zu bemängeln hatten oder den Konsens für völlig unannehmbar hielten. So ist es bis heute. (...) Der verdienstvollen Mühe, die Dokumente wachsender Übereinstimmung zu sammeln, könnte man genauso gut Dokumente wachsender Zerstreitung und Abschottung an die Seite stellen.

Der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben. Die gegenwärtige ökumenische Lage stimmt per se nicht leicht hoffnungsfroh, umso mehr muss man sich an das Hoffnungsvolle halten. (...) Das Ihre kann auch die Theologie dazu beitragen. Obgleich die Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum anfangs das Schlimmste befürchten ließen und auf einen Rückfall in einen platten Hurraprotestantismus hinausliefen, ist es umso erfreulicher, dass man das Steuer noch herumgerissen hat und die ökumenische Dimension in den Blick genommen hat.

Das Reformationsjubiläum ist eine Chance, über den Sinn der Reformation für das gesamte Christentum nachzudenken. Der Verlust der Einheit des Christentums ist ein trauriges, aber letztlich notwendiges Geschehen. Es ist die unabdingbare Folge jenes ewigen Protests, der sich dauerhaft in der Geschichte des Christentums erhebt. Er richtet sich gegen die Selbstsicherheit, über das Heilige verfügen zu können. Die Vielfalt der Konfessionen durchzieht das Christentum von seinen Anfängen an, die Reformation ist daher nicht der einzige, sondern der tiefste Einschnitt für das westliche Christentum. Die anderen Konfessionen stellen immer auch die je eigene Fassung, christlich zu leben, in Frage. Dafür hat das Christentum in seiner Geschichte einen hohen Blutzoll entrichtet. Die Religion, deren Begründer den Friedfertigen Seligkeit verhieß, hat unverkennbar nicht nur aggressive, sondern auch autoaggressive Züge. In einer sehr langen und mühevollen Lerngeschichte kam nach dem Wüten des konfessionellen Zeitalters das Christentum jedenfalls in seinen würdigsten Erscheinungsformen zur Vernunft. (...) Es ist ein gutes Anliegen, in all der Vielfalt danach zu suchen, was man mit den anderen Konfessionen gemeinsam hat. Es ist ein noch besseres Anliegen, das Unterscheidende friedlich und als nicht trennend in versöhnter Verschiedenheit stehen zu lassen. Es ist die höchste Kunst ökumenischer Theologie, den anderen stark zu machen und in den anderen Konfessionen Erscheinungsformen göttlicher Gegenwart zu suchen, die die eigene Gestalt des Christentums nicht kennt, verloren hat oder nie hatte.

Die Vielfalt der Konfessionen bildet das Unerschöpfliche des Heiligen ab, und eben darin liegt in aller Unruhe der vielen Christentümer ein tiefer Trost: Das Christentum ist immer sehr viel mehr als das, was Menschen daraus machen können. Nach Jahrhunderten der Kontroverstheologie sind Theologinnen und Theologen aller Konfessionen üblicherweise als Dobermänner ausgebildet, die riechen, was an der anderen Konfession falsch ist. Man lernt, wo man reinbeißen muss. Ökumenische Theologie ist eine Hundeschule höherer Ordnung, die wenigstens das Beißen abzugewöhnen und einen gemeinsamen Aufenthalt aller Konfessionen auf der großen Wiese des Herrn verträglich zu gestalten versucht. Das Starke und Große in den anderen konfessionellen Erscheinungsformen aufzusuchen, ist eine vollständige Umkehrung der Blickrichtung, es gleicht im angewandten Bild den alttestamentlichen Visionen des großen Tierfriedens. Die Aufgabe ist groß und doch nicht schwer, wenn man die Beschränkungen konfessioneller Kleinkariertheit hinter sich zu lassen in der Lage ist. Die Augen öffnen sich von selbst.

Die katholische Kirche lebt aus einem zentralen Gedanken. Das an sich unfassbare Heilige bindet sich in seiner Erscheinung in der Welt verlässlich an die sichtbare Gestalt der Kirche. In ihr ist die Fülle des den Menschen zugänglichen Heils geborgen, mit ihr wandert das Gottesvolk durch den Lauf der Zeit. Das ist theologisch ein Gedanke von edler Schönheit. Das Göttliche verliert sich nicht im Unfassbaren, sondern ist gebunden an das Versprechen seiner bleibenden Gegenwart, garantiert in der Sendung der Kirche. Diese offenbarungstheologische Sicherheit macht Gott in der frommen Vorstellungswelt zu einer ansprechbaren Person. An ihn kann man sich wenden, ihn kann man bitten. Das Votivreligiöse ist das Herzstück katholischer Volksfrömmigkeit, sie gibt dem Katholizismus eine warme und gütige Seite. In Gebeten steigt zum Himmel auf, was auf dieser Welt unerlöst, bedrängt, geängstigt oder aber auch erhebend dankbar gestimmt ist. Darin nimmt der Katholizismus in sich anthropologisch wichtige Formen außer- und vorchristlicher Religiosität auf. (...)

Der Protestantismus verlegt die Erscheinung des Heiligen in die Seele der Glaubenden. Nicht in der Institution, sondern im Individuum lebt Gott in unmittelbarer Gegenwart. Das erhebt den Menschen zu einer Freiheit von allen religiösen Formen, sie erfüllen nur mittelbare Dienste. Zu leben ist das unmittelbare Gottesverhältnis nicht an besonderen Orten und zu besonderen Zeiten, sondern Tag für Tag im Alltag. Frömmigkeit ist Kontemplation des Einzelnen, sein Nachdenken, sein Sich-Besinnen auf den göttlichen Grund der Welt und sein Bemühen, sein Leben nach Kräften an dieser Gewissheit im Denken und Tun zu orientieren.

Eigenes, Neues, Anderes

Die überwiegende Zahl der Christinnen und Christen wächst in ihre Konfession hinein, die Zugehörigkeit zum Katholizismus, zur Orthodoxie oder zum Protestantismus ist meist so kontingent wie die Geburt selbst. In den meisten christlich geprägten Ländern ist die Konfessionszugehörigkeit erfreulicherweise kein unabänderliches Schicksal, man kann sie theoretisch wechseln oder auch ganz aufgeben, in Lateinamerika gab es unter dem Ansturm der Pfingstkirchen hohe Konversionsbewegungen, in Asien und Afrika bekehren sich Menschen neu zum Christentum. Dennoch bleibt es ein Faktum, die je eigene Religiosität ist dem Menschen etwas an sich Undurchsichtiges, es haftet an ihr die Aura des Kontingenten. Es ist eine schätzenswerte Form der Loyalität gegenüber seiner eigenen Herkunft, an der mit ihr eingeschlagenen religiösen Lebensrichtung festzuhalten, sie zu ehren und sie mit Gründen sich selbst plausibel zu machen und auch nach außen zu vertreten.

Klein ist es jedoch gedacht, das, was uns selbst nur zugefallen ist und wohin wir hineingestellt sind, durch die Kontingenz unserer Lebensumstände als die einzig mögliche Wahrheit absolut zu setzen. Wir ehren in anderen Konfessionen das, was unser eigenes Leben religiös vielleicht auch hätte sein können. Wir erkennen Eigenes wieder und entdecken Neues und Anderes dazu. Ein nächster Schritt der Ökumene wäre darum ein offener und gastfreundlicher Umgang miteinander in der Religionspraxis. Warum sollte beispielsweise ein Münchner Protestant nicht ab und zu ein Pontifikalamt im Frauendom aufsuchen dürfen? Er kann dort gute Predigten hören und in einer stilsicheren Liturgie in die Beruhigung einer alten Tradition abtauchen, die ihm Erholung von den gelegentlichen Strapazen evangelischer Familiengottesdienste bietet. (...) Die bereichernden Möglichkeiten zu offener Gastfreundschaft zwischen den Konfessionen sind vielfältig.

Vieles ist an der je anderen Erscheinungsform des Christentums freilich fremd und wird dies immer bleiben. Eine Lerngeschichte der Konfessionen kann nicht heißen, das Andere und Fremde in die eigene Religionspraxis einfach mühelos hineinzunehmen. Formen etwa katholischer Marienfrömmigkeit oder orthodoxer Ikonenverehrung bleiben üblicherweise für ein protestantisches Gemüt fremd bis sogar irritierend, Erscheinungsformen protestantischer Weltfrömmigkeit müssen Katholiken und Orthodoxen profan erscheinen.

Die Liste bleibender Fremdheiten führt tief hinein auch in die Theologie, wo Unterschiede unüberbrückbar sind. Dem Protestantismus muss naturgemäß die offenbarungstheologische Aufladung der Institution Kirche unheimlich bleiben, weil er die Gefahr des Missbrauchs und der institutionellen Selbstverabsolutierung wittert. Katholiken und Orthodoxe beäugen von ihrer Warte her die protestantische Gottunmittelbarkeit als einen subtilen Subjektivismus, der den Menschen überhöht. Von den anderen zu lernen, kann darum nicht heißen, alles zu übernehmen. Der Sinn der Reformation liegt im Widerstreben gegen eine Vereinheitlichung der Christentümer. Ihre Vielfalt ist begründet in einer Art geschichtstheologischer Arbeitsteilung, in der jeder Erscheinungsform des Christentums die Aufgabe zukommt, die sie prägenden Gewissheiten der göttlichen Präsenz in der Welt an dem Ort zu leben, in den sie hineingestellt wurde. Der ewige Protest erinnert daran, dass das Christentum jeweils dies und doch auch immer noch viel mehr ist. Mit der Aufgabe, das Göttliche in der Welt darzustellen und von seiner Gewissheit zu leben, kommt das Christentum in seiner Geschichte nie zu Ende. Darum gehört die Reformation allen.

Literatur

Jörg Lauster: Der ewige Protest - Reformation als Prinzip. Claudius-Verlag, München 2017, 144 Seiten, Euro 12,-.

Jörg Lauster

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