Auswärtige Stipendien haben Vor- und Nachteile. Neue Länder und Bekanntschaften, andere Bräuche inspirieren den Schriftsteller; deswegen verschiebt er vielleicht seine Pläne; oder er gibt sie ganz auf. Ihm mag der vertraute Arbeitsplatz fehlen und der Umgang mit den Seinen - ist der Studienort auch noch so reizvoll. In den Aufzeichnungen des Berliner Autors Jürgen Israel geht es darum nicht - weder ums Schreiben, noch um ambivalente Empfindlichkeiten angesichts der Entfernung von daheim. Selbst über die Stipendiaten-Wohnung liest man nur, dass sie auf dem Pfarrgrundstück ist und größer als die Wohnungen vieler Einheimischer. Israels Dasein als Schriftsteller spielt, bis auf die Erwähnung der Preisverleihung und einer Lesung, keine Rolle.
Er erzählt, wie er in Rumänien, Siebenbürgen, im 1?250-Seelen-Ort, der auf Deutsch Katzendorf heißt - einst von den Siebenbürger Sachsen gegründet - ankam und für ein Jahr als „Dorfschreiber“ aufgenommen wurde. Er beschreibt, wie er sich auf die Leute einlässt, auf ihr dörfliches Leben: Als Hilfshirte geht er mit auf die Weide, beteiligt sich beim Grasmähen, bei Tiergeburten und beim Schlachten. Natürlich wird er eingeladen: in die Familien, auf Feste, zu Gottesdiensten. Er erlernt, mit immerhin siebzig Jahren, die rumänische Sprache und das Reiten. Private Eindrücke ergänzt er durch Blicke in die Geschichte Siebenbürgens: Die Deportation deutscher Einwohner 1946, die Zeit der Diktatur bis 1989, die Umstände des heutigen Zusammenlebens von Rumänen, Ungarn und Zigeunern. Die Roma in Katzendorf werden von den Einwohnern „Zigeuner“ genannt - und sie nennen sich selbst so.
In Katzendorf lebt noch heute eine Siebenbürger Sächsin mit ihrem Sohn; die anderen sind ausgewandert, hauptsächlich nach 1990, meistens nach Süddeutschland. Viele dieser Menschen fühlen sich weder hier noch da heimisch. Wer von ihnen in der warmen Jahreszeit die alte Heimat bewohnt, gilt als „Sommersachse“.
Wie es um die rumänische Wirtschaftspolitik bestellt ist, zeigt sich im Dorf, wo zum Beispiel der für wohlhabend gehaltene Dichter ständig angebettelt wird; landesweit zeigen sich an der Korruption, hohen Preisen und niedrigen Löhnen persönliche Armut und staatliche Misere, die der Autor beispielsweise bei einem Krankenhausaufenthalt erlebt.
Das Buch klingt aus mit einem Abgesang auf das Siebenbürgisch-Sächsische, dessen „Tradition mit ihrem Nachbarschaftswesen, mit ihren sozialen, kirchlichen und kulturellen Strukturen an ihr Ende gelangt“ ist. In ganz Rumänien leben noch 13?000 evangelische Siebenbürger. In ihre 800jährige Kultur gibt dieses Tagebuch mit seinem lakonischen Ton sehr spezielle und lohnenswerte Einblicke.
Christoph Kuhn