Wachsen gegen den Trend

Die steigenden Einnahmen der Kirchen sorgen für öffentliches Aufsehen
Kirche ganz aus Geld – Aufmacherbild der FAS am 5. Oktober 2014. Foto: f.a.z.-Foto / Amadeus Waldner
Kirche ganz aus Geld – Aufmacherbild der FAS am 5. Oktober 2014. Foto: f.a.z.-Foto / Amadeus Waldner
Obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder ständig sinkt und die Zahl der Kirchenaustritte sprunghaft angestiegen ist, nehmen die Kirchen in Deutschland immer mehr Geld ein. Das ist der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln. Genauso wie die Tatsache, dass es neben der Kirchensteuer Staatsleistungen für die Kirchen gibt, die laut Grundgesetz längst abgelöst sein sollten.

Am Morgen des 5. Oktobers 2014 wachten die beiden großen Kirchen in Deutschland im Dagobertinischen Zeitalter auf. Jedenfalls wenn man der Aufmachung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) glauben wollte. "Kirchen schwimmen im Geld" hieß im vergangenen Herbst die Schlagzeile auf der Titelseite, und daneben prangte ein aus vielen Euroscheinen errichteter Kirchbau, dessen steil nach oben ragende Turmspitze als Freisteller sogar den Rahmen der Seite durchstieß (siehe Foto rechts). In der Unterzeile dann die Sensation: "Trotz der vielen Austritte steigen die Einnahmen aus der Kirchensteuer auf ein Rekordhoch: elf Milliarden Euro."

Dass die Kirchen immer mehr Geld einnehmen, obwohl "immer mehr" Menschen austreten ist ein Rätsel, das sich vielen Zeitgenossen nicht erschließt. Die steigenden Kirchensteuereinnahmen der vergangenen Jahre scheinen so gar nicht zum Negativszenario zu passen, dass seit Jahren in Sachen Kirchen entfaltet wird. So nahmen die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bereits 2013 fast fünf Milliarden Euro an Kirchensteuern ein und erreichten zumindest nominell einen neuen Rekord. Die Zahlen für das vergangenen Jahr 2014 sind noch nicht vollständig statistisch erfasst, aber es ist anzunehmen, dass sie die Fünf-Milliarden-Grenze überschreiten werden.

Warum ist das so, obwohl in der Tat jedes Jahr viele Menschen aus der Kirche austreten? Ganz einfach: Die Kirchensteuer wird als Abschlag auf die Lohn- und Einkommenssteuer erhoben. Der Hebesatz der Kirchensteuer beträgt in Baden-Württemberg und Bayern acht Prozent, in den anderen Bundesländern sogar neun Prozent. Die hohe Beschäftigung und die gute Wirtschaftslage in Deutschland bedeuten nicht nur für den Staat, sondern auch für die Kirchen immer höhere Steuereinnahmen. Die Kirchenaustritte, so bedauerlich sie sind, fallen bei guter Wirtschaftslage finanziell also kaum ins Gewicht.

Wenn die Kirchen im Geld "schwimmen", dann bekommt es in der öffentlichen Meinung schnell etwas Anrüchiges. Für einige kann es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen, für andere - und das sind mutmaßlich deutlich mehr - passen Kirche und Reichtum einfach nicht zusammen. Die Kirche hat arm zu sein, so das Gefühl vieler Menschen, und eine Kirche, die im Geld schwimmt, löst schlicht Unbehagen aus. Besonders im katholischen Bereich hat die arme Kirche Konjunktur, seit Papst Franziskus im März 2013 sein Amt antrat. Hier verstärkten sich Tendenzen, die schon in der spektakulären Rede von der Entweltlichung der Kirche seines Vorgängers Benedikt XVI. enthalten waren, die dieser im September 2011 in Freiburg/Breisgau hielt.

Die Rede des damaligen Papstes fand übrigens in einem ganz anderen Zusammenhang Erwähnung und Zustimmung: Am 28. Februar 2013 debattierte der Deutsche Bundestag über einen Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke. Der Entwurf trug den Titel "Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösegesetz)". Damit wollte Die Linke anstoßen, dass der Bund endlich, wie es im Grundgesetz steht und vorher auch schon in der Weimarer Reichsverfassung stand, ein Rahmengesetz verabschiedet, um die so genannten Staatsleistungen abzulösen. Das sind Zahlungen der Bundesländer an die großen Kirchen, die auf dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zurückgehen und teilweise auf noch älteren Rechtstiteln beruhen.

Mediale Wellen

In regelmäßigen Abständen lösen diese Zahlungen mediale Wellen aus. Alle Jahre wieder zeigt sich die öffentliche Meinung überrascht, dass es diese Zahlungen "noch" gibt. Dass es sie noch gibt, liegt schlicht daran, dass der Bund bisher kein Rahmengesetz vorgelegt hat, das den Bundesländern die Grundsätze deutlich macht, nach denen eine Ablösung dieser staatlichen Zahlungen an die Kirche erfolgen kann. Ablösen aber heißt, nicht ersatzlos einstellen, sondern kompensiert einstellen. Der Staat müsste also theoretisch den Kirchen so viel Geld zur Verfügung stellen, dass sie aus diesem Vermögen die bisherigen jährlichen Einkünfte als Zinserträge erwirtschaften könnten. Dann käme man, selbst wenn man die gegenwärtige Niedrigzinsperiode außer Acht ließe, grob geschätzt auf eine Summe von etwa 20 Milliarden Euro, möglicherweise mehr.

Solche absurd hohen Einmalzahlungen werden allerdings aus der öffentlichen Hand höchstens für die Rettung von Banken aufgewendet, aber bestimmt nicht für die Auslösung von Verpflichtungen, die aus der Enteignung kirchlicher Besitztümer vor Jahrhunderten herrühren. In der erwähnten Bundestagsdebatte vom 28. Februar 2013 führte der damalige religionspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Raju Sharma, Papst Benedikt XVI. vorauseilend als Kronzeugen an, indem er sagte: "Ich weiß, dass einige von Ihnen jetzt möglicherweise behaupten werden, dieser Vorschlag sei kirchenfeindlich. Ich sage aber: Das ist alles Quatsch. (...) Ganz im Gegenteil! Der scheidende Papst Benedikt XVI. hat darauf hingewiesen, dass eine Entweltlichung der Kirche und ein Abschaffen der Privilegien kein Angriff auf die Kirche ist, sondern dass das dazu beitragen kann, den christlichen Glauben zu stärken."

Die Debatte vom 28. Februar 2013 blieb bisher im Hinblick auf ein Rahmengesetz des Bundes, das das Grundgesetz fordert (Artikel 140), folgenlos. Der Lösungsvorschlag, den Die Linke damals präsentierte, stieß bei allen anderen Fraktionen auf strikte Ablehnung. Er sah nämlich vor, dass die Länder einmal das Zehnfache der jährlichen Staatsleistungen zahlen sollten, die Auszahlung aber über einen Zeitraum von 20 Jahren strecken könnten. Im Klartext bedeutete dies, dass vom Moment der Ablösung die Staatsleistungen auf einen Schlag halbiert werden und nach 20 Jahren ganz auslaufen. Ein Schelm, wer darin keine Kirchenfeindschaft sieht!

Wie Mietzahlungen

Die Ablösung der Staatsleistungen ist ein schwieriges Unterfangen, denn der Sachverhalt ist kompliziert und jede vereinfachende Darstellung bleibt fehlerhaft. Hängen bleibt aber in weiten Teilen der Öffentlichkeit das Bild einer reichen Kirche, die auch noch vom Staat "subventioniert" wird, obwohl die Staatsleistungen alles andere als eine Subvention sind, sondern eine Kompensation, die den Kirchen zusteht. Eher sind sie, auch wenn der Vergleich ein wenig hinken mag, wie Mietzahlungen zu betrachten. Und Miete zu zahlen, hat man auch noch, wenn eine Wohnung lange Zeit bewohnt wird. "Keine Miete" muss nur zahlen, wem die Wohnung gehört, aber dafür muss er sie kaufen. Und der Wohnungskauf wäre - um im Bild zu bleiben - die große Zahlung von mutmaßlich mindestens 20 Milliarden Euro an die beiden großen Kirchen auf einen Schlag. Das aber kann und will sich im Moment die Politik nicht aufhalsen.

Trotz der eindeutigen Rechtslage und obwohl die Politik seit der untauglichen Vorlage der Linken von 2013 im Moment keinerlei Druck auf die Kirchen ausübt, gibt es auch kirchlicherseits das Verlangen, die Staatsleistungen los zu werden. So warb der katholische Theologe Gerhard Kruip im vergangenen Jahr in der Herder-Korrespondenz dafür, die Kirchen sollten auf die Staatsleistungen verzichten. Schließlich wäre, so Kruip, aus heutiger Perspektive zu fragen, "ob die damaligen Eigentumsverhältnisse als Ergebnisse historischer Prozesse feudaler und teilweise absolutistischer Regime überhaupt als legitim angesehen werden können".

Noch gravierender aber scheint für den Mainzer Universitätsprofessor für Christliche Anthropologie und Sozial-ethik der Imageverlust der Staatsleistungen in der heutigen Öffentlichkeit zu sein. Je "pluraler" die heutige Gesellschaft werde und je geringer der Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung, desto weniger erscheine es plausibel, "dass Nichtkirchenmitglieder heute durch ihre Steuern dafür aufkommen sollen, dass sich vor 200 Jahren christliche Könige und Fürsten Kirchengüter angeeignet und sich im Ausgleich zu regelmäßigen Dotationen verpflichtet haben".

Ob Kruips Argumentation schlüssig ist, sei dahingestellt, denn mit solchen Argumenten könnte man viele staatliche Verpflichtungen aus der Vergangenheit auf den Prüfstand stellen. Auf jeden Fall aber hat der Mainzer Professor einen pfiffigen Vorschlag, wie die Kirchen im Falle eines Verzichts auf die Staatsleistungen den Verlust zumindest teilweise kompensieren könnten: Sie sollten dem Staat im Gegenzug die sehr großzügige Kostenentschädigung kürzen, die dieser bisher für den Einzug der Kirchensteuer kassiert. Zurzeit beträgt diese Entschädigung zwei bis vier Prozent des Kirchensteueraufkommens. Betrüge sie künftig zum Beispiel nur noch ein Prozent des Aufkommens, was den staatlichen Aufwand auf jeden Fall auskömmlich begleichen würde, könnten die Kirchen bereits knapp die Hälfte des Verlustes der Staatsleistungen kompensieren. Da Kruip nicht nur Theologie, sondern auch Mathematik studiert hat, kann man dieser Berechnung wohl trauen.

Deutlich mehr Kirchenaustritte

Während beim Thema Staatsleistungen im Moment wenig Bewegung zu erwarten ist, da Bund und Länder den Aufruhr und größere Einmalzahlungen scheuen, gibt es in Sachen Kirchensteuer ein aktuelles Problem - ausgelöst durch das neue Erhebungsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge: Es treten so viele Menschen aus der Kirche aus, wie schon lange nicht mehr. Auslöser ist ein Brief, den die Banken im vergangenen Jahr an alle Kunden schickten. Darin baten sie zwecks automatisierter Abführung von Kirchensteuern auf Kapitalerträge um die Angabe, ob man einer Konfession angehöre. Die Austrittszahlen für 2014 sind noch nicht ausgewertet und veröffentlicht, doch es gilt als sicher, dass erstmals seit 1996 deutlich mehr als 200.000 Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten sind. Dabei waren die Zahlen in den vergangenen Jahren nach dem Höchststand von 1992 - damals traten über 360.000 Evangelische aus der Kirche aus, Grund war die Einführung des Solidaritätszuschlages für den Aufbau Ost nach der Wiedervereinigung - sehr zurückgegangen, zuletzt auf etwa 140.000 Austritte pro Jahr.

Die Austritte wegen des neuen Erhebungsverfahrens beruhen sicherlich bei vielen auf einem Missverständnis, denn es handelt sich in keiner Weise um eine neue Steuer oder eine Erhöhung der Kirchensteuer. Bei anderen, möglicherweise der Mehrheit, reichte die reine Erinnerung daran, dass man "noch" Kirchensteuer zahle, für einen Austritt, der vielleicht schon lange beabsichtigt war. Wenn es so ist, wäre dies für die Kirchen eine bittere Erkenntnis. Bitter ist aber auch, dass trotz vielfältiger Bemühungen der ominöse Brief der Banken in jedem Jahr verschickt werden soll. Alle Versuche, dies zu verhindern, sind laut Informationen aus dem EKD-Kirchenamt bisher gescheitert. Insofern steht zu befürchten, dass der potenzielle Auslöser für vermehrte Austritte "alle Jahre wieder" kommt.

Dies alles wird aber nichts daran ändern, dass wohl auch in den nächsten Jahren das Kirchensteuervolumen der beiden großen Kirchen weiter ansteigt, beziehungsweise auf hohem Niveau verharrt, vorausgesetzt, die wirtschaftliche Entwicklung erleidet keinen Einbruch. Insofern schloss der FAS-Artikel vom Oktober 2014, der die Kirchen "im Geld schwimmen" läßt, folgerichtig mit dem Satz: "Wäre die Kirche eine Aktiengesellschaft, hieße die Devise: Klare Kaufempfehlung!"

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Reinhard Mawick

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