Respekt und Selbstklärung

Vierzig Jahre evangelisch-islamischer Dialog in Deutschland
Der interreligiöse Dialog zwischen Islam und Christentum in Deutschland begann in institutionalisierter Form vor etwa vierzig Jahren als Reaktion auf die zunehmende Migration von Muslimen. Damit dieser Dialog gelingen kann, sind persönliche Begegnungen und
Der interreligiöse Dialog zwischen Islam und Christentum in Deutschland begann in institutionalisierter Form vor etwa vierzig Jahren als Reaktion auf die zunehmende Migration von Muslimen. Damit dieser Dialog gelingen kann, sind persönliche Begegnungen und
Der interreligiöse Dialog zwischen Islam und Christentum in Deutschland begann in institutionalisierter Form vor etwa vierzig Jahren als Reaktion auf die zunehmende Migration von Muslimen. Damit dieser Dialog gelingen kann, sind persönliche Begegnungen und kritische Selbstklärung wichtig, meint der Theologe Martin Affolderbach, bis 2012 Referent der EKD für den interreligiösen Dialog.

"Die Muslime erleben medial gerade den GAU", sagte Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, bereits in einem Interview im Dezember 2014 mit Bezug auf die Berichte über Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Nur wenige Wochen später gaben die Terroranschläge in Paris Anfang Januar und in Kopenhagen und die Frevel des IS gegen antike Baudenkmäler im Februar und März dieser Einschätzung weitere Nahrung. In der Tat werden in der öffentlichen Wahrnehmung solche Gräueltaten mit dem Islam als Religion in Verbindung gebracht. Darin gleichen sie dem Schock, den die Terrorattacken des 11. September 2001 ausgelöst hatten.

Doch gleichzeitig haben die Revolutionen in einigen arabischen Staaten auch ein anderes Bild gezeigt. So ist ein differenzierter Blick nötig, um gerade auch die reiche, vielfältige und oft von tiefer Religiosität geprägte Kultur des Islam wahrzunehmen. Zu dieser Differenzierung gehört es ebenso, neben dem Blick auf islamistische Gruppen und Einzelne, hier in Deutschland die Normalität des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religionen und Überzeugungen zu sehen. Ein Teil dieser Normalität sind die selbstverständlich gewordenen Begegnungen zwischen Muslimen und Christen wie auch der Aufbau und die Pflege von interessanten Kontakten und Dialogen, die in der Regel nicht die Schlagzeilen der Medien prägen. Die evangelische Kirche war und ist in diesem Feld ein wichtiger Akteur und dies auf verschiedenen Ebenen.

Die Anfänge von Kontakten und einem Dialog mit islamischen Partnern ist eng mit der muslimischen Migration nach Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verknüpft. Für diese neue Herausforderung konnte die evangelische Kirche, aber nicht nur sie, nicht auf historisch gewachsene und theologisch verankerte Erfahrungen und Konzepte für eine dialogische Verhältnisbestimmung zu anderen Religionen zurückgreifen. Es hat ja bekanntermaßen sogar Jahrhunderte gebraucht, bis sich in einem mühsamen und blutigen Lernprozess der Toleranzgedanke allein zwischen christlichen Konfessionen und Gruppierungen hat durchsetzen können.

Bezeichnenderweise gehen die Anfänge wichtiger Initiativen bis zu dem Datum zurück, von dem an durch den Anwerbestopp und die Regelung des Familiennachzugs 1973 viele Migranten auf Dauer in Deutschland verblieben. Die 1975 von den Kirchen ins Leben gerufene "Woche der ausländischen Mitbürger", heute "Interkulturelle Woche", war auf die Aspekte Migration und Integration konzentriert, wobei die religiösen Dimensionen stets dazu gehörten, aber sie in den späteren Jahrzehnten eine explizierte Rolle spielten.

1975 wurde die Islamisch-Christliche Arbeitsgruppe (ICA) gegründet, die sich als "ein ständiges Gesprächsforum islamischer Organisationen und christlicher Kirchen in Deutschland" verstand, das auch die orthodoxen Kirchen einschloss, und damit das erste bundesweite Dialoggremium dieser Art bildete. In der Selbstdarstellung der ICA von 2006 wird beschrieben, dass man in den ersten Jahren "im Kontext von Ausländerfragen erkannte, dass die religiöse Dimension im Zuge der Familienzusammenführung von Arbeitsmigranten und Asylbewerbern eine zunehmende Bedeutung beanspruchte"; erst später hätten "Fragen des Zusammenlebens und des christlich-muslimischen Dialogs im Vordergrund" gestanden. Die Arbeitsgruppe, in die sowohl die islamische als auch die christliche Seite jeweils acht Personen entsandte, stellte bald nach einem Symposion zu ihrem 30-jährigen Bestehen 2006 in Berlin ihre Arbeit ein.

Seit Mitte der Siebzigerjahre haben vor allem die evangelischen Landeskirchen und die EKD zahlreiche Broschüren zum Thema Islam - beginnend mit der Broschüre der EKD "Moslems in der Bundesrepublik" von 1974 bis zur achten Auflage des Bandes "Was jeder vom Islam wissen muss" von 2011 - veröffentlicht. Diese boten primär Information über den Islam aus christlicher Sicht, haben teilweise aber auch zu Begegnungen und Dialoge auf verschiedenen Ebenen angeregt und nachahmenswerte Beispiele vermittelt. Nicht zuletzt haben die kirchlichen Akademien und Bildungsstätten in diesem Bereich Gelegenheiten zu Begegnung, Diskussion und Dialog angeboten.

Eine wesentliche Voraussetzung zum Umgang mit dieser neuen Herausforderung des Dialogs mit dem Islam war auf kirchlicher Seite die theologische Verankerung und Verknüpfung mit dem eigenen Selbstverständnis. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde von Arnoldshainer Konferenz und VELKD-Kirchenamt durch die Ausarbeitung mit dem Titel "Religionen, Religiosität und christlicher Glaube" von 1990 geleistet, in der das Verständnis der Dialektischen Theologie von Religion als Unglaube und Gegenpol zum Evangelium, das in jenen Jahren noch untergründig das Verhältnis und die Wahrnehmung von anderen Religionen prägte, kritisch bewertet und der Begriff der "Konvivenz" für eine neue Verhältnisbestimmung empfohlen wurde. Damit wurde eine neue Grundlage für eine dialogische Öffnung geschaffen. Doch zeigte sich, dass eine Klärung auf theologischer Ebene notwendig und weiterführend ist, dass jedoch mit einer solchen Klärung praktische Probleme und Spannungen auf alltäglicher und gesellschaftspolitischer Ebene nicht gleichzeitig gelöst sind.

So bestanden in Deutschland weiterhin Hindernisse, einen christlich-muslimischen Dialog auch offiziell zu etablieren, was auch darin seinen Grund hatte, dass sich die Frage, wer den Islam denn repräsentiere und als autorisierter Gesprächspartner betrachtet werden könne, nicht zureichend klären ließ. So dürfte es kein Zufall sein, dass die EKD einen ersten offiziellen Dialog mit Partnern außerhalb Deutschlands führte, nämlich mit dem "Royal Aal al-Bayt Institute for Islamic Thought" in Amman, das durch das jordanische Königshaus unterstützt wurde. Der Anstoß war von dort gekommen und führte zu einer Reihe von Konsultationen unter dem Thema "Christians and Muslims in Dialogue". In ihnen wurden von 1995 bis 1999 die Themen Frieden, Säkularisierung und Entwicklungszusammenarbeit bearbeitet. Das Prinzip des Dialogs wurde durch wechselseitige Kommentierungen auch methodisch in den Konferenzen umgesetzt.

Der Abbruch dieser Konsultationsreihe war den politischen Spannungen im Nahen Osten in gleicher Weise geschuldet wie die Dialogreihe, die die EKD zusammen mit der Kirche von England mit dem Institut für den interreligiösen Dialog in Teheran 2005 begann und nach wenigen Jahren nicht weiterführen konnte. Dabei stand unter dem Thema "Building on Communities through Dialogue" die Frage im Mittelpunkt, welchen Platz man dem jeweiligen anderen in seinem eigenen theologischen Denken zuweist oder welche Schwierigkeiten bestehen, einen solchen Ort ausfindig zu machen.

Innerhalb Deutschlands wurde nach der Zäsur, die der 11. September 2001 darstellt, ein neues Element des Dialogs dadurch etabliert, dass der Ratsvorsitzende der EKD, zu dem Zeitpunkt Wolfgang Huber, Vertreter der islamischen Organisationen zu einem jährlichen Spitzengespräch einlud, dies erstmalig 2005. Dabei standen Themen im Vordergrund, die zum jeweiligen Zeitpunkt in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielten oder für beide Seiten von aktueller Bedeutung waren. Doch wurden auch vertiefende Fachgespräche zu den Themen Bildung oder Familienverständnis vereinbart und durchgeführt. Die Veröffentlichung der EKD-Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" im November 2006 traf auf Kritik der muslimischen Verbände, so dass die Reihe der Spitzengespräche unterbrochen und erst 2008 wieder aufgenommen wurde.

Dialog als kritische Selbstklärung

In welcher Weise verschiedene Anlässe und Ebenen miteinander verwoben sind, zeigt das Dialogangebot, das durch das Schreiben von 138 muslimischen Persönlichkeiten vom 13. Oktober 2007 unter dem Motto "A Common Word between Us and You" (in Aufnahme der Koransure 3, 64) an die Repräsentanten der Kirchen weltweit gerichtet wurde. Die Veröffentlichung stand in mittelbarem Zusammenhang mit dem Konflikt um die Äußerungen Papst Benedikts xvi. in seiner Rede in Regensburg im September 2007 und konnte als ein deutliches Signal von muslimischer Seite für den Wunsch nach Kontakt und Verständigung verstanden werden. Die EKD griff diesen Text auf und beteiligte sich an entsprechenden Antworten des Ökumenischen Rates der Kirchen an die Verfasser wie auch an einer Initiative des Erzbischofs von Canterbury. Doch gleichzeitig wurde offenkundig, dass dieses Schreiben aus Amman den überwiegend türkischen Muslimen in Deutschland so gut wie nicht bekannt war und deshalb faktisch wenig als Anknüpfung zu einem Dialog auf nationaler Ebene genutzt wurde.

Zahlreiche Begegnungen, Dialoge und Initiativen für Zusammenarbeit und Austausch ließen sich schließlich von verschiedenen Ebenen kirchlicher Arbeit, aus Landeskirchen, Kirchenkreisen, Gemeinden, kirchlichen Werken und Einrichtungen wie auch Initiativgruppen anführen. Doch dürften die genannten Beispiele schon einige Charakteristika erkennen lassen, die gleichzeitig auch die Spielräume wie die Aufgaben für künftige Entwicklungen des Dialoges markieren.

Erstens: Der Dialog ist darauf angewiesen, dass jede Seite eine kritische Selbstklärung vornimmt. Die Bereitschaft, den anderen und seine Überzeugungen zu respektieren und ihn so zu verstehen, wie er sich selbst verstanden wissen möchte, bildet eine unabdingbare Voraussetzung wie auch die theologische Klärung, in welcher Weise das überzeugte Einstehen für die eigene religiöse Identität angemessen und ehrlich mit einer Offenheit für andere Überzeugungen verbunden werden kann. Das Engagement für pluralitätsfähige Überzeugungen und der Widerstand gegen Überlegenheitsdenken und Hass sind deshalb weiterhin dringliche theologische, pädagogische und öffentliche Aufgaben.

Zweitens: Der Islam ist ebenso vielfältig wie das Christentum, und nicht jede Gruppierung ist bereit und willens, sich auf einen Dialog einzulassen. Deshalb laufen die Grenzen keineswegs zwischen Islam dort und Christentum hier, sondern quer durch beide Religionen. So können manchmal Verständigungen mit Partnern auf der anderen religiösen Seite leichter sein als im eigenen Lager. Das Finden von Partnern und die Pflege Vertrauen bildender Partnerschaften ist eine Aufgabe, die längere Zeiträume erfordert.

Drittens: Die genannten Beispiele zeigen, dass Probleme, Spannungen und Konflikte im Zusammenleben den Dialog entscheidend mit beeinflussen und eine Klärung der theologischen Grundüberzeugungen nur einen, wenn auch entscheidenden Teil der Verhältnisbestimmung ausmacht. Persönliche Begegnungen sind ein überaus wichtiger Baustein und ein wichtiger Zugang, um durch wechselseitiges Kennenlernen und Austausch eine Verstehensschneise in die oft verwirrende Komplexität von Konfliktkonstellationen zu schlagen. Die Hermeneutik des persönlichen Gesprächs trägt oft mehr zum Verstehen von Zusammenhängen bei als manche Berichte und Erörterungen zu öffentlich diskutierten Konfliktthemen. Zu Begegnungen wie zu fachlichen Fragen kann die Kirche mit ihren Kontakten und ihrer Expertise Orientierungen und Hilfestellung zu produktiven Lernprozessen anbieten. Ein Ziel sollte sein, über die Konstellation des "Wir hier" und "Ihr dort" hinauszukommen und gemeinsam an einem bereichernden und zukunftsweisenden Beitrag der Religionen zu einer modernen Gesellschaft, zum friedlichen Zusammenleben und einer zukunftsfähigen Entwicklung zu arbeiten.

mehr zum Thema

Martin Affolderbach

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"