Aus der Taufe gekrochen

Die Diskussion um Ehrenamt, Ordination und Beauftragung
Der Berliner Bischof Markus Dröge ordiniert als "Pastor der Pastoren" junge Pfarrerinnen und Pfarrer und beruft sie damit „ordnungsgemäß“ zum Dienst der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung wie es das Augsburger Bekenntnis im Artikel 14 fordert. Foto:
Der Berliner Bischof Markus Dröge ordiniert als "Pastor der Pastoren" junge Pfarrerinnen und Pfarrer und beruft sie damit „ordnungsgemäß“ zum Dienst der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung wie es das Augsburger Bekenntnis im Artikel 14 fordert. Foto:
Viele ehrenamtliche Dienste in evangelischen Gemeinden sind anerkannt und unstrittig, zum Beispiel die Betreuung des Seniorenkreises oder das Austragen des Gemeindebriefes. Sobald aber Ehrenamtliche predigen und Sakramente verwalten, wird es kompliziert. Ein Blick auf die vielschichtige Diskussion über Ordination und Ehrenamt in der jüngsten Vergangenheit.

Im Protestantismus gibt es keinen Priesterstand, sondern das allgemeine Priestertum aller Getauften. Das ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil protestantischer Identität - jedenfalls im Unterschied zum römischen Katholizismus und zur Orthodoxie. Das älteste und wohl bekannteste Zitat dazu stammt aus Martin Luthers berühmter Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von 1520: "Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei (...)". Häufig werden diese Worte als Kern protestantischer Identität zitiert und zwar im hohen Ton. Selten aber vollständig, dabei geht der Satz geht noch weiter, und zwar: "..., obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben."

Damit liefert Luther zum großen "Ja", ein klares "Aber" mit. Und weiter heißt es in der Freiheitsschrift: "Denn weil wir alle gleich(mäßig) Priester sind, darf sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, wozu wir alle gleiche Gewalt haben. Denn was allgemein ist, kann niemand ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen." Das "Priester-Sein" jedes getauften Christenmenschen bedeutete für den Reformator also nicht, dass jeder auch das praktizieren soll, was man bis dahin und auch bis heute gemeinhin mit dem Amt eines Priesters in Verbindung bringt, nämlich öffentlich in der Kirche zu predigen und die Sakramente auszuteilen. Luther findet dazu seiner Schrift von 1520 einen durchaus weltlichen Vergleich: "Drum sollte ein Priesterstand in der Christenheit nicht anders sein als ein Amtmann: dieweil er im Amt ist, geht er vor; wo er abgesetzt ist, ist er ein Bauer oder Bürger wie die andern." In der wichtigsten lutherischen Bekenntnisschrift, der Confessio Augustana (CA) von 1530, ist dies im Artikel 14 so zusammengefasst: "Vom kirchlichen Amt wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordnungsgemäße Berufung."

Wer diese "ordnungsgemäße Berufung" wem ausspricht und was sie umfasst wird bis heute im deutschen Protestantismus kontrovers diskutiert. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist die Vorstellung, was das kirchliche Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung konkret ausmacht, besonders im ökumenischen Dialog mit der römisch-katholischen Kirche eminent wichtig. Die Frage, ob gemeinsam Abendmahl gefeiert werden kann, hängt weniger am Verständnis des Abendmahles bzw. der Eucharistie an sich, sondern eben am Amtsverständnis des Amtsträgers, der es verwaltet. Zum anderen aber gibt es in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland seit Jahrzehnten eine recht unterschiedliche Praxis ehrenamtlicher Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung.

In den Jahren nach 1945 bis Ende der Sechziger Jahre wurde der ehrenamtliche Verkündigungsdienst, der in den Jahren des Zweiten Weltkrieges wegen Pfarrermangel aufgekommen war, zunächst wieder zurückgefahren. Generell gab es in den Nachkriegsjahrzehnten eher die Tendenz, kirchliche Ehrenämter zu professionalisieren, zum Beispiel im Bildungsbereich und in der Diakonie. Ab den Achtziger- und Neunzigerjahren herrschte dann in fast allen evangelischen Landeskirchen ein Überangebot an potenziellen Pfarrerinnen und Pfarrern. Ganze Jahrgänge konnten nicht ins Vikariat übernommen werden. Viele bekamen auch nach absolviertem Vikariat keine Pfarrstelle. Ganz anders verlief die Entwicklung in der römisch-katholischen Kirche Deutschlands. Sie hat schon seit fast fünfzig Jahren einen stetig wachsenden Priestermangel zu verzeichnen.

Nach Jahren des Überangebotes an Bewerbern kündigt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts nun auch auf evangelischer Seite wieder ein Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrer an, der in jüngster Zeit in vielen Landeskirchen schon manifest geworden ist. Mittelfristig drohen also auch auf evangelischer Seite "katholische Verhältnisse" was die hauptamtliche Versorgung von Pfarrstellen angeht. Diese Entwicklung macht es schlicht notwendig, dass im Dienst der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung verstärkt Ehrenamtliche eingesetzt werden, um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Damit gerät auch die Praxis der "ordnungsgemäßen" Berufung in diesen Dienst in die Diskussion, die in den Landeskirchen sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Dies wurde als misslich empfunden.

Im November 2006 veröffentlichte die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) zu diesem Thema einen Text mit dem Titel "Ordnungsgemäß berufen - Eine Empfehlung der Bischofskonferenz der VELKD zur Berufung zu Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung nach evangelischem Verständnis". In seinem Vorwort stellte der damalige Leitende Bischof der VELKD, Johannes Friedrich, fest "dass sich in einer lebendigen Gottesdienstpraxis vielfältige Beteiligungs- und Mitwirkungsformen an der Verkündigung entwickelt haben, sodass die Auslegung des Begriffs der ,ordentlichen Berufung' nach CA 14 unscharf geworden" sei. In den meisten Landeskirchen habe - "eher uneingestanden und nicht ökumenisch vermittelt" - eine Praxis Einzug gehalten, die theologisch "nicht wirklich" begründbar sei.

Reformatorisch schwer zu begründen

Als Beispiel nannte Friedrich die Tatsache, dass "noch nicht ordinierte Vikarinnen und Vikare nahezu ohne Einschränkung predigen, aber nicht die Sakramente verwalten." Darin könne man "eine reformatorisch begründete Gleichrangigkeit von Wort und Sakrament (...) schwerlich erblicken". Außerdem, so Friedrich weiter, zeige sich "seit Jahrzehnten die Notwendigkeit, gläubige, befähigte und kirchenverbundene Menschen mit der Wortverkündigung und teilweise auch mit der Sakramentsverwaltung zu beauftragen, die weder ein akademisches Theologiestudium absolviert (haben), noch in ein lebenslanges Dienstverhältnis zu einer Kirche getreten und ordiniert (sind), die so genannten Prädikantinnen oder Prädikanten."

Es ist das große Verdienst der Schrift "Ordnungsgemäß berufen", die komplexen Fragen rund um die Ordination theologisch fundiert und umfassend bedacht zu haben. Allerdings zeigt der Text auch, dass das Thema (theo-)logisch nicht wirklich in den Griff zu bekommen ist. Zwangsläufig fließen beim Thema Ordination theologische und praktisch-pragmatische Argumente ineinander und müssen gleichsam "unvermischt und ungetrennt" abgewogen werden. Je nachdem welcher Seite man mehr Gewicht zumisst, bleiben immer andere Fragen offen. Das wichtigste Ergebnis des Textes von 2006 ist, dass nach lutherischem Verständnis das Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Kern eines ist. Es gibt also keine unterschiedliche geistliche Qualität der ordnungsgemäßen Berufung für Prädikanten und für zukünftige hauptamtliche Pfarrer. Allerdings soll diese ordnungsgemäße Berufung bei Pfarrern trotzdem weiterhin - wie seit jeher - "Ordination" heißen, bei Prädikanten hingegen "Beauftragung" - so die Empfehlung der lutherischen Bischofskonferenz.

Dagegen regte sich Widerspruch. Wenn es die gleiche Sache sei, warum soll es dann unterschiedliche Bezeichnungen geben? Warum werden nicht alle ordiniert, was ja logischer wäre? Die Begründung dafür im Vorwort des VELKD-Textes lautet: "(...) dem Widerspruch gegen diese Lösung liegt allerdings nicht ein bloßer Pragmatismus zugrunde, der nicht bereit wäre, diesen theologisch richtigen Überlegungen Rechnung zu tragen. Es ist vielmehr unsere feste Auffassung, dass das Verkündigungsamt durch Pfarrerinnen einerseits und Prädikanten andererseits in sehr unterschiedlicher Weise wahrgenommen wird und dass dieser Unterschiedlichkeit auch terminologisch Rechnung getragen werden soll." Dass hier mit einer Setzung, statt mit einer nachvollziehbaren Begründung argumentiert wird, zeigt deutlich, dass die Frage, warum die ordnungsgemäße Berufung hauptamtlicher Pfarrerinnen und Pfarrer als Ordination bezeichnet wird und die ordnungsgemäße Berufung ehrenamtlicher Prädikatinnen und Prädikanten "nur" als Beauftragung, eben nicht nur theologisch entschieden werden kann.

Überlegungen in Folge des VELKD-Textes von 2006 werben dafür, dies klar zu markieren und offensiv zu vertreten. So stellt der Theologe Martin Schuck in seinem Aufsatz "Ordnungsgemäß berufen - Ein Rückblick auf die Debatte zum Ordinationsverständnis" im Deutschen Pfarrerblatt 2007 fest, es sei "offensichtlich gelungen, die Koordinaten lutherischer Theologie so auf die bestehende, teilweise aus der Not geborene Praxis in vielen Landeskirchen auszurichten, dass diese als legitimes Handeln im Sinne der lutherischen Tradition erscheint." Auch wenn die unterschiedliche Terminologie von "Ordination" und "Beauftragung" einen anderen Eindruck erwecken möchte, sei der VELKD-Text ein "klares Bekenntnis zu einem funktionalen Ordinationsverständnis".

Die mehrdeutig-schillernde Argumentation habe allerdings ihren Preis, denn, so Schuck, man könne zukünftig in ökumenischen Kommissionen "nicht mehr so tun", als sei ein Konsens in der Theologie des Amtes "in greifbarer Nähe". Die römisch-katholische Seite hat dies durchaus registriert. Der damalige Sekretär des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper, bedauerte, dass die VELKD-Empfehlung "Brücken niedergerissen" habe, denn die ausschließlich terminologische Unterscheidung zwischen der ordnungsgemäßen Berufung in das Amt der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung, wie in der VELKD-Empfehlung geschehen, könne nicht mehr, "ämtertheologisch" den Anschluss an das geweihte Priesteramt offenhalten. Dies schütze laut Schuck "vor ökumenischen Illusionen bezüglich angeblich erreichbarer Konsense in der Ämterfrage mit der römisch-katholischen Kirche." Für die "innerevangelische Verständigung über die Ämterfrage" hingegen habe das wenn auch nur halbeingestandene Bekenntnis zu einem funktionalen Ordinationsverständnis in "Ordnungsgemäß berufen" durchaus sein Gutes, so Schuck. Schließlich mache sie pragmatischere Lösungen möglich und grenze das Spektrum der Personen, die für den Dienst der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung in Frage kommen, nicht mit einem steilen Ordinationsverständnis ein. Vielmehr garantiere die neue gewonnene Sicht "innerkirchlich die Erfüllung des Verkündigungsauftrages auch bei weniger werdenden Pfarrern."

Der Bonner Theologieprofessor Eberhard Hauschildt ist ähnlicher Ansicht. Er fordert in seinem Aufsatz "Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, Ehrenamt und Berufstätige" in der "Pastoraltheologie" aus dem Jahr 2013, dass die herrschende "inkonsistente Praxis" nicht "ideologisch überhöht" werden solle. Vielmehr gelte: "Macht und Gewohnheitsaspekte sind nüchtern offenzulegen". Hauschildt regt an, die Debatte über das ordinierte Amt nicht mehr als "Abgrenzungsdebatte" von Pfarrstelleninhabern gegenüber "anderen Tätigkeiten in der Kirche" zu führen, und er ist davon überzeugt: "Eine Theologie der Akteurstypen Hauptamtliche und besonders Ehrenamtliche harrt noch der weiteren Ausarbeitung".

Die Schrift ist in der Rubrik "Archiv - Texte aus der VELKD" Text 136 zum Downloaden bereit
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Reinhard Mawick

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