Theo-Logie

Beitrag zur Atheismusdebatte
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Hier bezeugen theologische Sachkenntnis und engagiertes Glaubensbekenntnis einen Autor, der, obgleich im höheren Lebensalter stehend, nichts von der Frische der Jugend verloren zu haben scheint.

Weltweit ist das Werk von Jürgen Moltmann, dem Grandseigneur engagierter protestantischer Theologie in Deutschland, bekannt. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt, seine Theologie der Hoffnung - mittlerweile vor einem halben Jahrhundert erschienen - hat Generationen von Theologinnen und Theologen inspiriert. Dabei hat seine Produktivität auch im neunten Lebensjahrzehnt nicht nachgelassen. Seine jüngste Publikation bezeugt das eindrücklich.

Mit ihr bündelt Moltmann Einsichten aus den vergangenen Jahrzehnten und schreibt sie mit Blick auf eine veränderte Gegenwart fort: Auch ein Beitrag zur Atheismusdebatte unserer Zeit, lautet daher der Untertitel. "Atheismus" heißt hier nicht einfach jenes schrille Lärmen säkularistischer Christentumsgegner. Der Begriff dient vielmehr als Bezeichnung für einen Lebensstil, "als ob es Gott nicht gäbe" (Hugo Grotius); für das, was der Philosoph Charles Taylor den "exklusiven Humanismus" nennt: ein Dasein unter einem leeren Himmel und ohne eine Hoffnung, die über den eigenen wie den fremden Tod hinausträgt. Dem stellt Moltmann die Grundeinsicht seiner "Theologie der Hoffnung" entgegen, die bekanntlich schon seinerzeit gegenüber Ernst Blochs allzu diesseitigem "Prinzip Hoffnung" mit einem "Reich Gottes ohne Gott" auf den Mehrwert christlichen Auferstehungsglaubens beharrte.

"Der christliche Glaube orientiert sich an dem 'lebendigen' Gott und erfährt die Fülle des Lebens", heißt es eingangs. Doch stellen sich dann sofort Fragen wie: "Was ist Leben? Was ist erfülltes Leben? Was ist ewiges Leben?" Die Frage nach Gott, die Bedeutung der Gottesgeschichte Jesu Christi für mein Leben und die menschliche Sehnsucht nach Glück und einem Leben in Fülle - sie gehören zusammen.

Schritt für Schritt geht Moltmann daher zunächst auf die Besonderheiten des biblischen Gottesbildes ein, um dann seine Variante eines erfüllten Lebens aus christlicher Sicht zu entfalten. Darin kommen Spiritualität, der Kampf für bessere Lebenschancen und der Sinn für das kleine Sinnenglück im Alltag überein, wie es Glauben, Denken und Hoffen tun. Was stets ein Markenzeichen seiner Theologie war, die integrative Kraft, Impulse aus unterschiedlichen Frömmigkeitstraditionen aufzugreifen, kommt schön zur Geltung, ohne dass Moltmann in Gefahr gerät, zum bloßen Erbauungsliteraten zu werden. Das unterscheidet dieses Werk theologischer Publizistik von vielem, was derzeit an religiöser Ratgeberliteratur auf dem Markt ist.

Worin nun sieht Moltmann das bleibend Revolutionäre und Innovative der christlichen Botschaft? Was ist die Verheißung, die auch für das 21. Jahrhundert noch zu einer lebendigen Kraftquelle werden kann? Kurz gesagt ist es der Glaube an den am Kreuz mitleidenden und in der Auferstehung Leid und Tod endgültig überwindenden Gott. Wer dies begriffen hat, der kann im Christentum nichts anderes als eine Religion tiefer Freude erblicken; selbst dann, wenn dessen Anhänger dazu mitunter kaum Anlass geben. Der österliche Glaube befreit uns zum Engagement für bessere und gerechtere Lebenschancen auf der Welt, wie er uns zugleich immer tiefer mit der ganzen Schöpfung verbunden sein lässt. Wer das ernst nimmt, will nach dem Tod nicht "in den Himmel kommen", sondern der hofft auf einen "neuen Himmel und eine neue Erde". Moltmann buchstabiert in diesem Buch aus, was Dietrich Bonhoeffer die "tiefe Diesseitigkeit des Christentums" genannt hat; eine Liebe zur Welt und zu den Menschen, die allerdings entscheidend davon lebt, dass ihr ein tiefer, nicht bloß innerlicher oder spiritualisierter Ewigkeitsglaube beiwohnt. So sehr das unserem modernen Bewusstsein anstößig erscheinen mag, Moltmanns Beharren auf einer umfassenden christlichen Eschatologie entfaltet ihre argumentative Klarheit und rhetorische Kraft, indem sie nicht vorschnell vor dem scheinbar Unvermeidlichen kapituliert. Sie zwingt uns vielmehr zum Eingeständnis unserer oftmals allzu biederen Selektivität im Umgang mit den biblischen Quellen und Hoffnungsbildern.

Es finden sich noch viele weitere Anstöße, auf diese Weise den eigenen Glauben auf seine Wurzeln hin zu hinterfragen. Nur eine Kostprobe sei noch erlaubt: Was bedeutet es eigentlich, wenn Moltmann mit Blick auf das Beten und das dabei bewusst oder unbewusst in Anschlag gebrachte Gottesbild lapidar feststellt: "Der Knecht bettelt - das Kind vertraut - der Freund berät"?

Es sind solche, bisweilen ganz nebenbei gemachte Bemerkungen, die die Lektüre des Buches so erfrischend machen. Das tröstet dann auch über manche allzu plakativ geratene, undifferenzierte Diagnose über die Gegenwart hinweg. Doch das Erstaunlichste an diesem Buch ist ohnehin der Eindruck, den es beim Leser hinterlässt: Hier bezeugen theologische Sachkenntnis und engagiertes Glaubensbekenntnis einen Autor, der, obgleich im höheren Lebensalter stehend, nichts von der Frische der Jugend verloren zu haben scheint. "Liebhaber des Lebens" (Weisheit 11, 26) mag, biblisch gesprochen, ein Gottesprädikat sein, aber als Verheißung gilt es uns allen. Dem nachzudenken ist, wie Moltmann uns erneut eindrücklich gezeigt hat, vornehmste Aufgabe einer für alle verständlichen Theo-Logie.

Jürgen Moltmann: Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2014, 232 Seiten, Euro 19,99.

Christian Polke

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