Faszinierend

Ein Akt der Menschwerdung
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Im biblischen Sinne "untertan" macht sich der Mensch die Erde nicht etwa als Jäger und Sammler; auch nicht als Viehzucht treibender Nomade, sondern erst als Bauer.

Hansjörg Küster, Jahrgang 1956, geht es in seinen populärwissenschaftlichen Darstellungen meist um die Zusammenschau von Natur- und Kulturgeschichte. Wie alle Biowissenschaftler ist auch der Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover zutiefst davon überzeugt, dass die Gegebenheiten der Natur wesentlich zur kulturellen Selbstfindung der Menschheit beigetragen haben. Bei Küster geraten bevorzugt ganze Lebensräume inklusive des Menschen ins Visier - etwa in seinen Büchern über die Ostsee (2002), die Elbe (2007) und den Wald (2010). In seinem neuesten Buch nimmt Küster den Getreideanbau aufs Korn - die Ursprünge der Landwirtschaft.

Im biblischen Sinne "untertan", so Küsters wichtigste These, macht sich der Mensch die Erde nicht etwa als Jäger und Sammler; auch nicht als Viehzucht treibender Nomade, sondern erst als Bauer. Für Küster gilt: "Der Mensch ist, was er sät und erntet." Sesshaft, um Pflanzen zu kultivieren, wird der Mensch erst vor rund 10?000 Jahren. Gleichzeitig, aber lokal voneinander unabhängig, entwickeln sich vor allem in Vorder- und Südost-Asien, in Afrika sowie in Mittel- und Südamerika landwirtschaftliche Kulturen. Vornehmlich durch den Anbau von Korn, aber auch den von Hülsenfrüchten und Ölpflanzen wird dabei mitunter von Anfang an auch die natürliche Umwelt stark verändert. Bereits die Landbaupioniere an den Ufern der großen Ströme des Orients, beschäftigte das Problem der "Nachhaltigkeit"

Anhand der Agrarkulturen zwischen Euphrat und Tigris lässt sich zudem beispielhaft aufzeigen, dass künstliche Bewässerung nur funktioniert, wenn zugleich auch so etwas wie eine öffentliche Verwaltung entsteht. Erst staatliche Strukturen garantieren ein Erwirtschaften und Verteilen von Agrarüberschüssen. Und erst die Organisation eines so komplexen Vorhabens wie die Ernährung eines Staatsvolkes befördert und erfordert auch die Entwicklung einer Schriftsprache. Wären die Menschen Jäger und Sammler geblieben, so Küster, wäre die "Schrift nicht erfunden worden, weil sie nicht gebraucht wurde, Menschen hätten keine Städte und Staaten gegründet, weil dazu keine Notwendigkeit bestand".

Seit mehreren Jahrtausenden gibt es hinsichtlich der Kulturpflanzen und der Techniken ihres Anbaus einen regen Austausch zwischen den kulturellen Zentren. Weizen und Roggen, Erbse und Linse, Mais und Kartoffel sowie die vielen Gewürze gehören somit zu den frühesten Vorboten der Globalisierung. Auch wenn heutzutage, insbesondere in den Industrienationen, immer weniger Menschen in der Landwirtschaft tätig sind: Unsere Lebensgrundlage ist nach wie vor der Landbau.

Küster - wenn auch in seinen botanischen Ausführungen mitunter viel zu detailliert - zeigt höchst kenntnisreich auf, dass jene übliche Einteilung der frühen Menschheitsgeschichte in Stein-, Bronze- und Eisenzeit den eigentlichen Aufbruch der menschlichen Zivilisation völlig außen vor lässt. Für Küster jedenfalls ist die Kultivierung des Korns der "vielleicht wichtigste wirtschaftliche Umbruch in der Menschheitsgeschichte". Und dieser Umbruch lag inmitten der Steinzeit. "Ohne Kulturpflanzen", so Küsters Resümee, "wäre die Geschichte der Menschheit völlig anders verlaufen. Vielleicht hätte sie gar nicht stattgefunden." Und somit ist die Kultivierung des Korns auch als der eigentliche Akt der Menschwerdung anzusehen. Eine faszinierende These. Sie weckt große Erwartungen, die der Autor auch weitgehend einzulösen vermag. In der Tat, Küster hat eine ganz andere Geschichte der Menschheit geschrieben.

Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Verlag C. H. Beck, München 2013, 298 Seiten, Euro 24,95.

Reinhard Lassek

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