Mehr als Lückenbüßer

Prädikanten halten vor allem auf dem Land das Gottesdienstangebot aufrecht
Pfarrerin Ilsabe Seibt sorgt für die Fortbildung der Prädikantinnen und Prädikanten in Berlin, Brandenburg und der Oberlausitz. Foto: privat
Pfarrerin Ilsabe Seibt sorgt für die Fortbildung der Prädikantinnen und Prädikanten in Berlin, Brandenburg und der Oberlausitz. Foto: privat
Wenn die Zahl der Pfarrstellen zurückgeht, Pfarrer aber für immer mehr Gemeinden zuständig werden, werden Prädikantinnen und Prädikanten immer wichtiger. Aus welchen Berufen sie kommen und wie sie in der berlin-brandenburgischen Landeskirche ausgebildet werden, schildert der Berliner Journalist Tilman Asmus Fischer.

"Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein", schrieb Martin Luther 1520 an den deutschen Adel. Es ging ihm um das Priestertum aller Getauften. Heute, 2014, mitten in der "Lutherdekade", ist dieses in vielen evangelischen Gemeinden gelebte Realität: Alleine in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) kommen auf tausend Pfarrerinnen und Pfarrer rund hundertfünfzig Prädikantinnen und Prädikanten - neben Lektoren und nebenamtlichen Pfarrern.

Schon diese Zahlen machen deutlich: Verkündigung im Ehrenamt ist ein Zukunftsthema. Nicht nur, weil die ehrenamtlichen Prediger Gottesdienste leiten, wo dies - etwa nach Gemeindefusionen - nicht mehr jeden Sonntag in jeder Kirche durch einen bezahlten Theologen geschehen kann. Zudem werden sie von Pfarrern geschätzt, da sie auf eine je individuelle Weise das Wort Gottes aus dem Leben heraus verkündigen; ob als Studenten, Berufstätige oder Rentner - die Palette ist breit.

Der Lungenfacharzt Nicolas Schönfeld, der zur Berliner Grunewald-Gemeinde gehört, entschied sich 2007 zur Ausbildung als Lektor. Und gleichzeitig entstand im Pfarramt am nahegelegenen Martin-Luther-Krankenhaus eine Vakanz. Um den Sonntagsgottesdienst aufrechtzuerhalten, setzte der zuständige Kirchenkreis Wilmersdorf Ehrenamtliche ein, und so kam der Mediziner Schönfeld dazu, sich auch um die religiösen Bedürfnisse der Kranken zu kümmern. "Es hat sich einfach gefügt", erinnert sich Schönfeld. Er hält immer noch einmal im Monat den Krankenhausgottesdienst - zur Freude des inzwischen fest eingestellten neuen Klinikpfarrers.

Für Rechtsanwalt Andreas Vetter stand am Anfang seines Wegs in das Prädikantenamt ein Besuch im Berliner Dom, genauer gesagt die Abkündigung der Gottesdienstkollekte, die für den Kirchlichen Fernunterricht bestimmt war, den die meisten Prädikanten wahrnehmen. Der Jurist erkannte die Möglichkeit, eine "unerfüllte Liebe" zu erfüllen. Als er 1991 das Abitur abgelegt hatte, schwankte er zwischen Theologie und Jurisprudenz. Dem Beispiel von Vater und Bruder folgend entschied er sich für die Letztere. Über das "Konsistorium", das Landeskirchenamt der EKBO, erhielt er Beratung und Unterstützung. Schließlich wurde Vetter vor drei Jahren als Prädikant für den Nordberliner Kirchenkreis Reinickendorf beauftragt. Recht und Glaube passen für Vetter gut zusammen, denn, so findet er: "Gerade die Dogmatik ist verwandt mit dem juristischen Denken."

Der Mediziner Nicolas Schönfeld wurde nach der Tätigkeit als Lektor vor einem Jahr vom Kirchenkreis Wilmersdorf zum Prädikanten berufen. Bis dahin hatte er die drei Phasen der Prädikantenausbildung durchlaufen, die die EKBO vorsieht: Schulung zum predigenden Lektor, theologische Ausbildung im Kirchlichen Fernunterricht und Prädikantenkurs. Alleine das Fernstudium umfasst vierhundert Präsenzstunden und sechzehn theologische Hausarbeiten. Schönfeld erinnert sich: "Das schafft man nur, wenn man sich gut organisiert und das Umfeld das Vorhaben mitträgt." Etwa die Hälfte derjenigen, die Kirchlichen Fernunterricht beginnen, schließen ihn nicht mit dem Examen ab.

Der Unterricht deckt die klassischen Disziplinen des Theologiestudiums ab - Altes und Neues Testament, Systematische Theologie, Praktische Theologie und Kirchengeschichte. Dementsprechend fundiert sind das theologische Wissen, der wissenschaftliche Anspruch und das Selbstbewusstsein der Prädikantinnen und Prädikanten. Sie können und wollen in der Gestaltung der Predigten und Gottesdienste eigene Schwerpunkte setzen.

Neue Quellen der Kraft

Rechtsanwalt Vetter liegt die Eschatologie besonders am Herzen, die er in der gängigen Predigtpraxis oft vernachlässigt findet. "Ohne Hoffnung auf den verheißenen neuen Himmel und die neue Erde geht es nicht", betont er. Und er möchte seinen Hörern so neue Quellen der Kraft für das Hier und Jetzt erschließen.

Hat man das aufwändige Fernstudium bewältigt, wird man - durch eine Kirchengemeinde oder einen Kirchenkreis - zur freien Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung beauftragt. Dies unterscheidet Prädikantinnen und Prädikanten von den Lektoren, die Andachten und Predigten auf der Grundlage vorgegebener Texte halten. Damit sind sie für das Gemeindeleben aber ebenso wertvoll und werden von Pfarrern und Prädikanten gleichermaßen geschätzt. "Auch sie sind eingesetzt in das unteilbare Amt", betont Prädikant Schönfeld.

Landeskirchen wie die EKBO wissen um die Bedeutung, die ihre Ehrenamtlichen in der Verkündigung haben, und unterstützen sie durch Fortbildung. Hierfür ist im Amt für Kirchliche Dienste (AKD) der brandenburgischen Landeskirche mit Ilsabe Seibt eine Studienleiterin für gottesdienstliche Fragen zuständig. Die Pfarrerin betreut den jährlich zusammentretenden Prädikantenkonvent der EKBO, organisiert Fortbildungswochenenden und Kurse zur liturgischen Präsenz. Auch die "Europäischen Bibeldialoge" der Evangelischen Akademie Berlin, an denen Seibt mitwirkt, umfassen Angebote für Prädikantinnen und Prädikanten.

Anders als die Verkündigung gehört Seelsorge nicht zur Kernaufgabe der Ehrenamtlichen - egal ob Lektor oder Prädikantin. Doch bleibt es nicht aus, dass Gottesdienstteilnehmer das Gespräch suchen. "Im Krankenhaus zum Beispiel ergibt sich öfter ein Seelsorgekontakt aus dem Sonntagsgottesdienst heraus", berichtet Prädikant Schönfeld aus seiner Erfahrung.

Der Austausch solcher und anderer Erfahrungen, aber auch praktischer Fragen, findet beim jährlich zusammentretenden Prädikantenkonvent der EKBO statt. Dieser vertritt die Prädikantinnen und Prädikanten zwischen Uckermark und Lausitz. Dem Sprecherkreis, der alle drei Jahre gewählt wird, sitzt Elisabeth Hackstein vor. Sie gehört dem evangelischen Frauenkonvent im Kloster Stift zum Heiligengrabe an, ist Mitglied des Prignitzer Kreiskirchenrates und hält als Prädikantin Gottesdienste im Sprengel Heiligengrabe. "Durch meine Arbeit trage ich dazu bei, dass in Heiligengrabe noch jeden Sonntag Gottesdienste stattfinden können", sagt sie. "Es gibt viele hoch engagierte Prädikanten und Prädikantinnen in der EKBO, die durch ihre ehrenamtliche Arbeit Gottesdienste ermöglichen, die sonst ausfallen oder zeitlich nur noch stark ausgedünnt stattfinden würden. Das ist insbesondere im ländlichen Bereich schon nahezu unverzichtbar."

Andachten und Predigten halten - das heißt aber auch, nicht nur Sonntagsgottesdienste ermöglichen. Vielmehr sorgen Prädikanten und Lektorinnen auch dafür, dass Kirchengemeinden und Kirchenkreise neben den klassischen Angeboten neue Schwerpunkte bilden. Prädikant Schönfeld liegt es am Herzen, "die abendlichen Formate zu fördern". In seinem Kirchenkreis wird an jedem Werk- und Samstag eine Abendandacht abgehalten - einer der vielen Wege, die Menschen "dort abzuholen, wo sie stehen". Schönfelds Gemeinde öffnet immer donnerstags die Kirchentür. Alleine mit Hauptamtlichen wäre das nicht zu schaffen.

Theologischer Gedankenaustausch

Für einige Berufstätige wie Rechtsanwalt Vetter stellt gerade der Sonntagsgottesdienst - nach einer Fünfundfünfzigstundenwoche in der Kanzlei und bei Gericht - die ideale Betätigungsform dar. Am liebsten mit Abendmahl. Sonst sei ein Gottesdienst für ihn persönlich defizitär, bekennt Andreas Vetter. Mehr als bisher würde sich der Jurist gemeinsame Gottesdienste mit Hauptamtlichen wünschen. Nicht nur, weil eine "One-Man-Show" für die Gemeinde nicht spannend sei. Zudem ergäbe sich durch die gemeinsame Gottesdienstleitung die Gelegenheit, zum substanziellen theologischen Gedankenaustausch. So etwas komme sonst im Gemeindealltag oft zu kurz.

So bringt jeder Prädikant und jede Prädikantin neue Einsichten und Anregungen in die Gottesdienstarbeit ein. "Auf Grund ihrer jeweiligen lebensweltlichen Verortung durch berufliche Tätigkeiten bereichern die Ehrenamtlichen das Spektrum der Verkündigung", betont auch Studienleiterin Ilsabe Seibt und sieht gerade hierin den entscheidenden Wert der Prädikanten- und Lektorenarbeit. "Wenn Prädikanten nur als Lückenbüßer gebraucht werden, läuft etwas falsch", warnt sie gerade mit Blick auf den ländlichen Raum. Prädikanten sorgten dafür, dass das Gottesdienstangebot aufrechterhalten werden könne. Doch entbinde dies die Kirche nicht von ihrer Verantwortung, neue Konzepte für Gottesdienste zu entwickeln. Darum möchte Seibt mit den Gemeinden und denjenigen, die in besonderer Weise für Gottesdienste verantwortlich sind, Gemeindekirchenräten, Haupt- und Ehrenamtlichen in der Verkündigung, nach Wegen suchen, Gottesdienste attraktiver zu machen und die Chancen von regionalen Gottesdiensten auszuloten.

Ohne Frage steht für Pfarrerin Seibt fest: "Wir müssen den Dorfgemeinden die Treue halten." Doch es bleibt die Erfahrung, dass Gottesdienste mit vielleicht fünf Besuchern dem Anspruch von Öffentlichkeit und Festlichkeit nur bedingt gerecht werden. "Man denke nur an die Möglichkeit des Gemeindegesangs", gibt sie zu bedenken. Stattdessen hofft Seibt auf "andere Gottesdiensterfahrungen", die Gottesdienste auch für diejenigen anziehend machen, die nur selten oder gar nicht in die Kirche kommen. Wie kann man das erreichen? Eine Frage, zu deren Lösung Haupt- und Ehrenamtliche gemeinsam werden beitragen können.

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Tilman Asmus Fischer

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Foto: Andreas Helle

Tilman Asmus Fischer

Tilman Asmus Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt als Journalist über Theologie, Politik und Gesellschaft


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