Tanz und Teufel zusammengedacht
"Christen tanzen nicht!" Dieses elterliche Diktum ist dafür verantwortlich, dass ich nie einen Tanzkurs besucht habe, wohl aber Theologie studierte, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Aussage richtig sein kann.
"Wir haben euch aufgespielt, doch ihr habt nicht getanzt" (Lukas 7,32), Mit diesem Satz aus kindlichem Munde charakterisiert Jesus seine Zeitgenossen. Diese verharren im Schmollen und wollen sich nicht in Bewegung bringen lassen von Jesu göttlichem Aufspiel. Schwer vorstellbar, dass dieser Jesus nicht getanzt haben soll. Gelegenheit dazu gab es zum Beispiel bei der Hochzeit von Kana. Apokryphe Evangelien berichten daher auch von einem tanzenden Christus. Im Judentum zur Zeit Jesu ist das Tanzen jedenfalls so üblich, dass der ältere Sohn in Lukas 15,32 darüber verärgert ist, dass nicht seinetwegen getanzt wird, sondern deshalb, weil sein jüngerer Bruder, der sein Erbe schon durchgebracht hat, wieder nach Hause gekommen ist.
Biblisch klar ist: Tanzen hat seine Zeit, ebenso wie das Klagen (Prediger 3,4). Und umgekehrt gilt: "Du hast meine Klage in einen Tanz verwandelt." (Psalm 30,12) So nimmt es nicht wunder, dass zum Heilszustand des Schalom in Jeremia 31,4 und 13 auch der Tanz gehört.
Getanzt wird in der Bibel an entscheidenden Stellen: Mirjam tanzt nach dem Durchzug durchs Rote Meer (2. Mose 15, 20 f.). Der Vernichtung entkommen - dieser Erfahrung kann nur der Tanz mit lauten Perkussionsinstrumenten angemessen Ausdruck verleihen. David tanzt mit aller Kraft vor der Bundeslade (2. Samuel 6,14), allerdings ohne Unterwäsche, so dass sein Allerwertester sichtbar wird, als er seine Kapriolen schlägt, weshalb er von seiner Frau Michal schwer gerügt wird - mit dem Ergebnis, dass Michal kinderlos bleibt. Tanzen verwickelt!
Den Kopf gekostet
So gibt es auch Stellen, die dem Tanzen ein schlechtes Zeugnis ausstellen: Als Mose mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai herunter kommt, sieht er das Volk um das Goldene Kalb tanzen (2. Mose 32,19) und somit Götzendienst treiben. Als Götzendienst erweist sich auch der Regentanz der Baalspriester, die sich ritzend in Ekstase tanzen, ohne dass ihr Gott auch nur einen Tropfen Regen spenden würde beziehungsweise könnte (1. Könige 18,28); sie werden daher von Elia mit Stumpf und Stiel ausgerottet (1. Könige 18,40). Felix Mendelssohn Bartholdy hat diese Tanz-Szenerie in seinem Elias-Oratorium hinreißend vertont. Und schließlich ist der Tanz der Tochter der Herodias, die erst nachbiblisch als Salome identifiziert wird, der Anlass für das unselige Zusammenspiel von Macht und Erotik, das am Ende Johannes den Täufer seinen Kopf kosten wird (Markus 6,21-29).
Vor allem diese drei Geschichten haben im Laufe der Christentumsgeschichte dafür gesorgt, dass Tanz und Teufel oft zusammengedacht wurden, während es in der jüdischen Tradition weit verbreitet und tief verwurzelt ist. Der Gotteslehre dieses tanz- und leibfeindlichen Christentums hält Friedrich Nietzsche in "Also sprach Zarathustra" entgegen: "Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, tief und feierlich; es war der Geist der Schwere - durch ihn fallen alle Dinge."
Wie tanz- und leibfeindlich das Christentum im Laufe seiner Geschichte allerdings tatsächlich war, ist in der Forschung umstritten. Einerseits wurde mehr getanzt, als sich die meisten träumen lassen. Andererseits gibt es nennenswerte etablierte Tanztraditionen weder in der Praxis des Christentums noch in dessen Theologie.
Mechthilds Mystik
In der Alten Kirche wird vielfach vor dem Tanzen gewarnt, was daraufhin deutet, dass die ersten Christen viel und häufig getanzt haben, zum Beispiel zu Ehren von Märtyrern oder in Taufliturgien. Der KircheNVAter Johannes Chrysostomus (349-407), der auch schon kategorisch behauptet hatte, Jesus habe nicht gelacht, erklärt ebenso kategorisch: "Wo getanzt wird, dort ist der Teufel." Die Tanzskepsis überwog in der überlieferten theologischen Meinung, was nicht heißen muss, dass die Christen nicht getanzt hätten. Auch wenn dies meist in der niederen Volkskultur geschah, so spielt das Tanzen im Hochmittelalter theologisch durchaus eine Rolle.
"Ich tanze, wenn du mich führst." So lautet eine der zentralen Einsichten aus den Visionen der Mystikerin Mechthild von Magdeburg, die sie in ihrem großen Werk "Das fließende Licht der Gottheit" niederschreiben lässt. Der Tanz ist für Mechthild das Bild, mit dem sie die gen Himmel stürmende Bewegung ihrer zu Gott drängenden Seele und den Fluss des durch das göttliche Licht Durchflutetseins zum Ausdruck bringt. Die göttliche Gnade der Aufforderung zum Tanz markiert den Anfang des Emporsteigens zu Gott, das sich in immer weiter ziehenden Kreisen ins Überirdische hinein steigert und dabei das Irdische zurücklässt.
"Da sprach sie [die Jungfrau, das ist die Seele, zum Jüngling, welcher ist Christus]:
'Ich tanze, Herr, wenn du mich führest!
Soll ich sehr springen,
mußt Du anfangen zu singen.
Dann springe ich in die Minne,
von der Minne in die Erkenntnis,
von der Erkenntnis in den Genuß,
vom Genuß über alle menschlichen Sinne.
Dort will ich verharren und doch höher kreisen.'"
Wie bei der christlichen Mystikerin Mechthild (1207 - 1283) so spielt auch bei dem islamischen Mystiker Dschelaladdin Rumi (1207-1273) der Tanz eine zentrale Rolle. Hier kreisen die Tanzenden so lange um sich, bis ihnen das Tor zum Paradies offen steht. Rumi ist neben Hafis der wichtigste persische Dichter; er gründet den Orden der tanzenden Derwische. 1256 legt Rumi sein gewaltiges Lehrwerk vor, das Mathnawi, ein Kompendium der islamischen Mystik in all ihren Strömungen in 26?000 Versen - unsystematisch und voller Widersprüche, die miteinander verknüpft sind. Im Zentrum dieses Hauptwerks des Sufismus steht die göttliche Liebe, um die alles kreist - immer und immer wieder. Der Sinn des Reigens, das ständige Wechselspiel von Leben und Tod, von Stirb und Werde wird in einer freien Nachdichtung eines Doppelverses Rumis durch Friedrich Rückert (1788-1866) erkennbar:
"Schall, o Trommel! Hall, o Flöte - Allah hu!
Wall im Tanze, Morgenröte - Allah hu!
Lichtseel' im Planetenwirbel, Sonne, vom
Herrn im Mittelpunkt erhöhte - Allah hu!
Herzen! Welten! Eure Tänze stockten, wenn
Lieb' im Zentrum nicht geböte: Allah hu! (...)
Seele, willst, ein Stern, dich schwingen um dich selbst,
Wirf von dir des Lebens Nöte - Allah hu!
Wer die Kraft des Reigens kennet, lebt in Gott.
Denn er weiß, wie Liebe töte. - Allah hu!"
Doch zurück zur Christentumsgeschichte: Thomas von Aquin (1225-1274) kann dem Tanz als Erleichterung der Lebensstrenge positive Bedeutung beimessen. Auch Martin Luther verteufelt das Tanzen in seiner Fastenpostille von 1525 keineswegs: "Die jungen Kinder tanzen ja ohne Sünde. Das tue auch und werde ein Kind, so schadet dir der Tanz nicht. Sonst, wenn Tanzen an sich eine Sünde wäre, dürfte man es den Kindern nicht erlauben."
Anmut und Gratia
Im Barock entsteht die Tanztradition der Gratia. So gibt es etwa zu Bachs Zeiten in Leipzig ungefähr ein Dutzend hauptamtlicher Tanzmeister, die diese Tanztradition der Gratia durchaus streng einüben. Mit ihr verbindet sich eine bürgerliche Haltung, die Anmut und Grazie zugleich zum Ausdruck bringt und mit ihrer Wohlgeordnetheit anschlussfähig an den theologischen Begriff der Gnade war. Dies wird auch in den Liedern von Paul Gerhardt (1607-1676) deutlich, denen vielfach Tanzweisen zugrunde liegen, zum Beispiel "O Haupt voll Blut und Wunden" (EG 85) oder "Auf, auf, mein Herz mit Freuden (EG 112)".
Mit der Industrialisierung verschwindet das aus dem Barock stammende Tanzideal der humanen Anmut. Nun steht das Ballvergnügen im Mittelpunkt des Tanzkultur. Parallel dazu gilt jene Gratia zunehmend als unmännlich. Das Ideal männlicher schöner Bewegung ist nun weniger das Tanzen als vielmehr das Marschieren der Soldaten. Haltung lernen Männer nicht mehr auf dem Tanzboden, sondern beim Militär.
Doch schon vorher hatten Puritaner und Pietisten das Tanzen verteufelt. Während Zinzendorf dem Tanzen gegenüber durchaus aufgeschlossen war, war es für August Hermann Francke und den wirkmächtigen Halleschen Pietismus schlichtweg Sünde. Ein wesentliches Argument war ein aufklärerisches: Tanzen sei zu nichts nütze und deshalb verwerflich.
Befreiung durch Rock
Nach den katastrophalen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts gewann die Rockkultur global die Oberhand. Sie ist weniger eine Ordnungskultur als vielmehr eine Kultur der Befreiungserfahrung von Fremdansprüchen und Herrschaften, was auch das Tanzen betrifft: Ekstasis als Gratia - das ist seit fast einhundert Jahren denk- und lebbar. Im Gefolge der Rockkultur wird das Tanzen auch in kirchlichen Räumen wiederentdeckt, angefangen von der Liturgischen Nacht 1973 in Düsseldorf, zu der der damalige Kirchentagspräsident Heinz Zahrnt gesagt haben soll, das Christentum lasse sich nicht ertanzen - über Tanzen als Meditation bis hin zu Technogottesdiensten oder John Neumeiers getanzter Matthäuspassion.
Die Wiederentdeckung des Tanzes in der Christentumsgeschichte geht einher mit der Wiederentdeckung des tanzenden Christus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Das 1897 erschienene Gedicht "Legende" von Christian Morgenstern (1871-1914) macht klar, wie schwer es ist, sich auf beides einen Reim zu machen - auf den tanzenden Christus sowie auf die Tanzgeschichte des Christentums:
"Legende
(Empfunden bei einem Prélude Chopins)
Vom Tisch des Abendmahls erhob
der Nazarener sich zum Gehn
und wandte sich mit seiner Schar
des Ölbergs stillen Wäldern zu.
Erloschen war der Wolken Glut;
in Hütt' und Höfen ward es licht;
hell glänzten nah und näher schon
die Fenster von Gethsemane.
Aus einer Scheune klang vertraut
das Tanzlied eines Dudelsacks,
und Mägd und Bursche drehten sich
zum Feierabend drin im Tanz.
Und Jesus trat ans Tor und sah
mit tiefem Aug dem Treiben zu ...
Und plötzlich übermannte ihn
ein dunkles, schluchzendes Gefühl.
Und, Tränen in den Augen, trat
er zu auf eine junge Magd
und fasste lächelnd ihre Hand
und schritt und drehte sich mit ihr.
Ehrfürchtig wich der rohe Schwarm;
die Jünger standen starr und bleich; -
Er aber schritt und drehte sich
als wie ein Träumer, weltentrückt.
Da brach auf eines Jüngers Wink
des Spielers Weise jählings ab -
ein krampfhaft Zucken überschrak
des Meisters hagre Hochgestalt -:
Und tiefverhüllten Hauptes ging
er durch das Tor dem Garten zu ...
Wie dumpf Gestöhn verlor es sich
in der Oliven grauer Nacht.
Harald Schroeter-Wittke