Außer Konkurrenz!

Über die zweifelhafte Logik des Wettbewerbs
Es ist beunruhigend, wenn die Logik des Wettbewerbs auch auf die Kirchen oder sogar auf das Verhältnis der Religionen übergreift.

Welches Menschenbild leben wir? Im Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bewegt mich die Frage, welche Vorstellungen vom Menschsein in ihnen wirksam sind. Mit der Entwicklung von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft hat sich das Gesetz von Angebot und Nachfrage auf viele Lebensbereiche ausgedehnt. So wird der Wettbewerb zum vorherrschenden Muster der Interaktionen zwischen Personen und gesellschaftlichen Gruppen. Besonders fällt das im Bildungsbereich auf: Universitäten stehen im Wettstreit um Exzellenz, und Schulen schärfen ihr Profil, um die Besten anzuziehen und sie für den Wettbewerb in Wirtschaft und Gesellschaft fit zu machen.

Auch die Gerechtigkeitskonflikte unserer Gesellschaft, die Auseinandersetzungen um die gerechte Verteilung von Arbeit, Lohn, Gesundheitsfürsorge, Altersversorgung und Teilhabe an Kultur- und Bildungsgütern, erscheinen zunehmend als Konkurrenzkämpfe. Hat sich die Wettbewerbssituation nicht längst auf das private Leben ausgedehnt, z.B. im Sammeln von Freunden in sozialen Netzwerken und dem Streben nach "Likes"? Man kann den Sinn des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft durchaus anerkennen und muss nicht bestreiten, dass Wettbewerb Tugenden wie Leistungsbereitschaft, Einsatzwillen und Durchhaltevermögen trainieren kann. Aber werden sie nicht mehr als aufgewogen durch die Laster des Neides, der Gier und der Missgunst? Konkurrenz produziert immer Gewinner und Verlierer.

Beunruhigend wird es für mich, wenn die Logik des Wettbewerbs auch auf die Kirchen oder sogar auf das Verhältnis der Religionen übergreift. Können die christlichen Kirchen auf eine anscheinend rückläufige Nachfrage dadurch reagieren, dass sie ihr Angebot im Markt der religiösen Möglichkeiten mit allen dafür zur Verfügung stehenden Marketingstrategien attraktiver machen, ohne in Widerspruch zu ihrer Botschaft zu geraten?

Bemerkenswert, dass schon auf den ersten Seiten der Bibel, in der Geschichte von Kain und Abel, die tödlichen Folgen des Neids und der Konkurrenz um Anerkennung beschrieben werden. Gilt die Botschaft Jesu nicht den Verlierern im Kampf um religiöse und moralische Anerkennung? Ist nicht das Kreuz Christi mit dem fröhlichen Wechsel von Gewinn und Verlust das Mahnzeichen im Herzen des Evangeliums, dass der Mensch nicht zur Konkurrenz bestimmt ist, sondern zur Bundespartnerschaft mit Gott und zur Mitarbeit an den Zielen seiner Liebe und Gerechtigkeit für die Schöpfung? Gewiss, auch Paulus kennt das Bild des sportlichen Wettkampfs (Philipper 3, 12-15). Jedoch geht es ihm darum, dem Ziel nachzujagen, nicht die Wettbewerber aus dem Feld zu schlagen. War die Reformation nicht auch eine radikale Kritik an der Vermarktung der Gnade Gottes als Ware und am Selbstmarketing der eigenen guten Werke?

Angesichts der gesellschaftlichen Verurteilung zur Konkurrenz ist es eine Befreiungserfahrung, dass der Gottesdienst der christlichen Gemeinde eine konkurrenzfreie Zone ist, die Feier von all dem, was dem Menschen als Gottes Gabe gratis geschenkt ist, als bedingungslose Zusage eines Menschseins, dessen Würde - so wie sein Schöpfer - im strengen Sinne außer Konkurrenz ist.

Christoph Schwöbel ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Tübingen und Mitherausgeber von zeitzeichen.

Christoph Schwöbel

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