Gewollte Unschärfe

Jesus und der Sonnengott
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Eine Art Proseminar, zu der Laien Nutz und der Fachleute Frommen - das gilt für das ganze empfehlenswerte Buch.

Konstantin, römischer Augustus, genannt "der Große", war kein Konvertit. Zwar gewann unter ihm das Christentum zunehmend an Einfluss, wurde der Weg dafür bereitet, dass es unter seinen Nachfolgern Staatsreligion wurde. Aber eine Konstantinische Wende gab es nicht, nicht in dem Sinne, wie mancher sie aus den Geschichtsbüchern in Erinnerung behalten hat: als die Geschichte eines Herrschers, der sich Knall auf Fall zum Christentum bekehrte und dieses alsbald zur Staatsreligion erhob.

Konstantin regierte drei Jahrzehnte lang (306-337), eine exorbitant lange Spanne in jenen Zeiten. Die Quellen über ihn fließen zwar reichlicher als über weniger glückliche Herrscher, aber doch spärlich genug. Die bei weitem ergiebigste Quelle stammt von einem Zeitgenossen Konstantins, dem palästinensischen Bischof Euseb von Caesarea (etwa 264-340) - naheliegend also, dass das Konstantinbild lange ausschließlich von der christlichen Erzählung über ihn geprägt war.

Den Christen erschien die Regierungszeit Konstantins als Segen, zunehmend wurden sie bevorzugt, der Kirchbau wurde gefördert (die Christenverfolgung hatte schon sein Vorgänger Galerius aufgegeben). Also berichtet Euseb nur Gutes über den Kaiser.

Der Basler Kirchenhistoriker Martin Wallraff weist auf der ersten Seite seines Buches darauf hin, "die Produktion" betreffs Konstantin habe in den letzten Jahren "schon fast industrielle Züge" angenommen. Er muss also einen guten Grund haben, wenn er sich hier einreiht. Von selbst bietet sich ein solcher nicht an: Neue Quellen sind nicht in Sicht, auch Wallraff ist auf das angewiesen, was seit langem bekannt ist.

Wie aber jene "Geschichte Konstantins des Großen" des Euseb einordnen? Vorbei die Zeiten, als Historiker dessen Darstellung eins zu eins übernahmen. Aber auch Jakob Burckhardts Urteil in seinem epochalen Buch "Die Zeit Constantin's des Großen" (1853), der Bischof sei ein widerlicher Lobhudler gewesen und Konstantin nichts anderes als ein skrupelloser Machtpolitiker, der die Christen vor seine Prunk-karosse gespannt habe, wird kaum noch geteilt.

Hier setzt der Autor ein, nämlich mit einem kleinen Kursus über den rechten Umgang mit Quellen - eine Art Proseminar, zu der Laien Nutz und der Fachleute Frommen (und das gilt, um es vorweg zu nehmen, für das ganze empfehlenswerte Buch). Zunächst erinnert er daran, dass das wenige Überlieferte in seinen Proportionen nicht eins zu eins auf das Versunkene übertragen werden darf: vielmehr sei evident, dass alles, was sich auf die Christen bezog, eine viel höhere Überdauerungs-Chance gehabt hätte als alles Profane.

Was den Euseb angehe, so habe sich erwiesen, dass seine Fakten weitgehend stimmten. Andererseits sei sein Werk ganz offensichtlich ein schriftlicher "Panegyrikus", eine Laudatio. In einer solchen Laudatio alles Negative auszublenden, habe zu jener Zeit einfach zum guten Ton gehört. Bleibt die Frage: Was berichtet Euseb nicht? Gewiss, das Wirken Konstantins für die Chrstinnen und Christen hat er für segensreich angesehen, aber selbst bei ihm sind die Hinweise, der Kaiser sei im rechten Sinne Christ geworden, eher unbestimmt. Immerhin, die Christinnen und Christen erhielten durch Konstantin Privilegien, etwa indem er die bischöflichen Gerichte als staatliche Ko-Gerichte anerkannte - aber auch die "Heiden" wurden seiner Sonne teilhaftig, den Priestern historischer Kulte zum Beispiel wurde Steuerfreiheit zugebilligt.

Konstantins Zeit war eine des religiösen Umbruchs. Die alten Götter waren unglaubwürdig geworden, ein Trend zum Monotheismus breitete sich aus.

Einer der populärsten Götter der Konstantinzeit war Sol (Helios), der Sonnengott. Immer wieder ließen sich Kaiser auf ihren Münzen - eine wichtige zeitgenössische Quelle - im Sonnenwagen darstellen.

Der Kult des Sonnengottes in Form eines vagen Monotheismus bot sich für einen Kaiser, der ja selbst göttlichen Rang in Anspruch nahm, an: Ein Gott, ein Monarch. Dass die öffentliche Darstellung zwischen der Gottnähe und der vollen Identifikation des Herrschers mit dem Gott oszillierte, war gewollt. Das galt auch unter Konstantin. Dass der Kaiser sich den Christen zunehmend wohlgesonnen zeigte (seine Mutter Helena war Christin), konnte diese nach langen Zeiten der Verfolgung nur erfreuen.

Eher peinlich war ihnen wohl, dass jene zweideutige Identifizierung allmählich vom Sonnengott Sol auf Jesus überging oder zu jener parallel lief - so sehr, dass der Kaiser und der Erlöser kaum mehr zu unterscheiden waren.

Gegen Ende seines Lebens ließ Konstantin in seiner Stadt Konstantinopel eine Kirche mit seiner Grablege (die "Apostelkirche") bauen. Darin stand in der Mitte sein Sarkophag, im Kreis um ihn zwölf Säulen oder Kenotaphe - ganz klar ist es nicht, worum es sich dabei handelte. Diese bedeuteten, beteuerte Euseb, die zwölf Apostel - doch für die "Heiden" konnten es ebenso die zwölf Sternzeichen sein; sie mochten auf eine Verehrung des Sol schließen. Und dann lag der Kaiser auch noch da, wo nur der auferstandene Christus zu stehen hatte, in der Mitte. Einige Jahrzehnte später korrigierte man diskret: Unter dem Vorwand der Renovierung wurde die Anordnung verändert, eine angebaute Basilika ließ die Grabeskirche nur noch als unbedeutende Vorhalle erscheinen.

Konstantin ließ noch zu Lebzeiten eine Kolossalstatue von sich errichten. Der Kopf ist erhalten - der Blick gen Himmel gerichtet, wie es ikonographisch dem Herrscher gebührte: Er und die ebenfalls erhaltene rechte Hand liefern ein schönes Sinnbild für die Konstantin-Überlieferung - monumentale Bruchstücke eben. Und: Nicht immer ist dem ersten Blick zu trauen. Der nach oben weisende Zeigefinger des Kaisers etwa ist eine Rekonstruktion späterer Zeiten.

Martin Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike. Verlag Herder, Freiburg 2013, 224 Seiten, Euro 22,-.

Helmut Kremers

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