Ökumenischer Leuchtturm

In Mannheim ist aus einem Bildungszentrum heraus eine geistliche Gemeinschaft entstanden
Im Gebetsraum unter dem Dach steht die Ikone, die die griechisch-orthodoxe Gemeinde Mannheims gestiftet hat. Foto: Martin Rothe
Im Gebetsraum unter dem Dach steht die Ikone, die die griechisch-orthodoxe Gemeinde Mannheims gestiftet hat. Foto: Martin Rothe
Die Mitglieder der "Ökumenischen Gemeinschaft Sanctclara" beten und essen regelmäßig miteinander, aber wohnen privat und bleiben in ihren angestammten Berufen. Der Journalist Martin Rothe hat sich bei ihnen umgehört.

Wer seinem geistlichen Leben auch im Alltag einen regelmäßigen Rhythmus geben will, muss oft feststellen, wie schwer dies angesichts des täglichen Trommelfeuers von Aufgaben, Informationen und Zerstreuungen durchzuhalten ist. Viele erleben, dass sich kontinuierliche geistliche Übungen leichter einhalten lassen, wenn man sie in Gemeinschaft mit anderen übt. Das gelingt vor allem katholischen Klöstern und evangelischen Kommunitäten. Vergemeinschaftet ist dort das Wohnen, meist auch das Geld, und vor allem das Gebetsleben.

Was aber, wenn das Modell "Kommunität" nicht praktikabel ist? Wie können Großstädter ihre Spiritualität im Alltag und in Gemeinschaft leben, ohne gleich in eine Wohngemeinschaft ziehen zu müssen? In Mannheim haben siebzig Frauen und Männer eine ungewöhnliche Antwort auf diese Frage gefunden. 2007 gründeten sie eine "spirituelle Weggemeinschaft". Und zwar in ökumenischer Weite: Ihre "Ökumenische Gemeinschaft Sanctclara" umfasst Mitglieder der römisch-katholischen und altkatholischen, der evangelischen Landeskirche und evangelischer Freikirchen.

So ungewöhnlich wie ihre Weggemeinschaft ist auch das Umfeld, aus dem heraus sie entstand: Die Gemeinschaft ging aus dem "Ökumenischen Bildungszentrum Sanctclara" hervor, der bislang einzigen Stätte im Land, die katholische und evangelische Erwachsenenbildung in einem Haus vereint. "Eigentlich gibt es keine evangelische und keine katholische Erwachsenenbildung", meint Stephan Leinweber, der römisch-katholische Co-Leiter des Bildungszentrums. Gemeinsam mit seinem evangelischen Pendant Michael Lipps kam Leinweber Ende der Achtzigerjahre zur Überzeugung: "Wenn Ökumene in der Erwachsenenbildung nicht gelingt - wo dann?"

Im Jahr 2000 wurde ihre Vision Realität: Am westlichen Ende der schachbrettartigen Innenstadt Mannheims wurde das Haus "Sanctclara" als ökumenisches Bildungszentrum eröffnet. Seither bietet es die ganze Breite christlicher Erwachsenenbildung an. Zugleich beherbergt "Sanctclara" das regionale Zentrum für die Religionspädagogik beider Großkirchen und ist Sitz der beiden Schuldekane, die die Aufsicht über die Religionslehrerinnen und -lehrer führen.

Auf derselben Ebene

Schon bald stellte sich ein, was Leinweber "gelebte Alltagsökumene" nennt: Evangelische und Katholische haben alles gemeinsam - von den Inhalten bis zu den Finanzen. Beide Kirchen bringen dieselbe Summe des Haushalts auf. Das ökumenische Team von "Sanctclara" achtet darauf, dass alles auf derselben Ebene stattfindet, und zwar im Wortsinn: Bewusst wurde vermieden, sich im Haus auf konfessionell verschiedene Etagen und damit verschiedene Klingelschilder aufzuteilen. Es gibt ein gemeinsames Sekretariat und eine gemeinsame Medienstelle. Stephan Leinweber staunt immer noch, dass die Idee eines ökumenischen Hauses so verwirklicht werden konnte: "Jeder, dem wir davon erzählten, war davon begeistert, bis hin zur Kirchenleitung. Ich weiß nicht, ob das heute noch so möglich wäre."

Einige Faktoren erleichterten das Projekt: Die in Baden und der Kurpfalz übliche Liberalität schwappt auch in die Kirchen hinein. Der badische Landesbischof Ulrich Fischer und der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch heben gern hervor, dass die ökumenischen Uhren hier verlässlicher tickten als anderswo. Gerade die Mannheimer haben seit Generationen multikonfessionelle und multireligiöse Toleranz eingeübt. Zudem ist die Zahl der Katholiken und der Protestanten unter den 300.000 Einwohnern etwa gleich groß.

Die Alltagsökumene im Bildungszentrum "Sanctclara" zeigte im Laufe der Jahre ihre Auswirkungen - auf die regelmäßigen Gäste des Hauses wie auf die Hauptamtlichen. Stephan Leinweber erinnert sich: "Ich merkte allmählich, dass mir, dem Katholiken, die evangelische Kirche auch am Feierabend nicht mehr egal ist. Ich habe sie sehr viel mehr schätzen gelernt. Und mein evangelischer Kollege hat das anders herum auch so erlebt."

Zunehmend regte sich unter den Nutzern des Bildungszentrums das Bedürfnis, die beiden Standbeine Erwachsenenbildung und Religionspädagogik um ein drittes zu ergänzen, die gemeinsam gelebte Spiritualität. Vielen ging es wie Heidi Herborn, die seit Jahrzehnten in ihrer altkatholischen Kirchengemeinde und darüber hinaus engagiert ist: "Ich bin weiter in meiner Heimatgemeinde verwurzelt, aber sie ist nicht mehr mein geistliches Zentrum. Mir fehlen dort die Möglichkeiten, meine Spiritualität gemeinsam zu leben. Ich will nicht immer alleine die Fahne vorantragen, sondern Mitstreiter haben!" So gehörte Herborn zu denen, die den Gedanken einer "spirituellen Weggemeinschaft im Alltag" entwickelten.

Gemeinsame Gebete

Als im März 2007 die "Ökumenische Gemeinschaft Sanctclara" ins Leben gerufen wurde, war sie erstaunt, wie viele begeisterte Anhänger das Projekt fand: "Da sind auf Anhieb 68 Leute in die Gemeinschaft eingetreten. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich hatte das Gefühl: Hier beginnt etwas Neues, das uns trägt, zusammenfügt und stützt!"

Der Kern der Gemeinschaft sind gemeinsame Gebete. Einmal in der Woche, an jedem Mittwoch, finden Mittagsgebete statt. Und im Anschluss gibt es eine Suppe. Einmal im Monat, an jedem letzten Montag, wird die "Oasenzeit" gefeiert, ein Abendgebet mit inhaltlichem Impuls und Gedankenaustausch und Gelegenheit zu persönlichen Fürbitten. Und auch nach der Oasenzeit gibt es einen Imbiss.

Der Ort für die Gebete ist denkbar bescheiden: Es ist ein kleiner Raum unter dem Dach des Sanctclara-Hauses, der nicht viel mehr enthält als ein paar Stühle, einige Kerzen auf dem Boden und die Ikone, ein Geschenk der griechisch-orthodoxen Gemeinde Mannheims.

Für Heidi Herborn sind die gemeinsamen Gebetszeiten "eine heilsame Unterbrechung des Alltags. Die Sammlung tut mir gut." Besonders vom Mittwochmittagsgebet fühlt sie sich in ihrem Alltag getragen. Wichtig ist ihr auch der Gemeinschaftsaspekt der Gebete. "Die bringen die Leute zusammen - auch wenn sie mal nicht kommen können."

Denn es gibt etwas, das die Gemeinschaft auch jenseits der Gebete verbindet, viermal jährlich erscheinende Rundbriefe. Diese enthalten nicht nur aktuelle Berichte, sondern immer auch eine Karte mit einem Gebet und einem Lied, das man in der jeweiligen Jahreszeit miteinander teilt. So können aus der Ferne auch diejenigen mitbeten und mitsingen, die nicht zum Gebetstreffen kommen können. Zugleich wird in den Gebeten im Sanctclara-Haus auch an Kranke gedacht und für sie eine Kerze angezündet: "Die sagen uns dann oft: Gut, dass ihr an mich denkt."

Spirituelles Signal

Für Herborn, die zum Leitungsteam gehört, ist die Sanctclara-Gemeinschaft inzwischen zur zweiten Heimat geworden. Und nicht nur für sie. Zu den Gebeten kommen im Durchschnitt zehn bis 15 Leute. Oft seien das aber dieselben Gesichter. "Ein Teil lebt die Gemeinschaft. Der andere Teil ist interessiert an den Rundbriefen, aber nicht an mehr", stellt Herborn fest. "Ich habe mich da erst dran gerieben. Aber jetzt sage ich: Wenn die anderen sich uns aus der Ferne verbunden fühlen, dann ist das auch schön."

Zwischen Freiheit und Verbindlichkeit eine Balance zu finden, bleibt die dauernde Herausforderung für die Gemeinschaft. Das zeigt sich auch bei der Liturgie. Nicht immer ist es leicht, die unterschiedlichen konfessionellen Prägungen und die Erwartungen an neue spirituelle Wege auf einen Nenner zu bringen. "Einige tendieren in die fernöstliche Richtung", berichtet Akademieleiter Leinweber, der auch Mitglied der Gemeinschaft ist. "Aber wir sagen: Unser Ansatz ist der christliche." Das bedeute oft ein Ringen um den gemeinsamen Weg. Leinweber ist überzeugt: "Wenn wir ein spirituelles Signal in die Kirchenlandschaft senden wollen, dann müssen wir unsere jeweiligen Traditionen tiefer verstehen lernen. Da sind zum Beispiel die Mystiker und Reformer des Mittelalters ein hohes Gut, aus dem wir schöpfen können."

Künftig will die Gemeinschaft im Lauf des Jahres vier bis fünf gemeinsame Gottesdienste feiern - mit einer eigenen Liturgie, die im Moment gerade entsteht. Und zwar ganz basisdemokratisch, als kollektiver Lernprozess. "Wir wollen nicht irgendeine Form von außen übernehmen, sondern aufspüren, was für uns passt", sagt Joachim Vette, Leinwebers neuer evangelischer Kollege. Ziel sei eine Liturgie, die ökumenisch für alle akzeptabel sei und die jedes Mitglied leiten könne. "Mit diesem basisdemokratischen Vorgehen wollen wir zugleich ein bisschen entzaubern, dass Liturgie so etwas Hochtheologisches ist. Jeder kann sich beteiligen!"

Natürlich würde es alle in der Gemeinschaft freuen, wenn man auch das Abendmahl interkonfessionell feiern könnte. "Miteinander auch das Brot zu brechen, wäre konsequent. Aber das gäbe sofort Probleme mit der katholischen Hierarchie", befürchtet Heidi Herborn. "Wir haben auf diesen Weg verzichtet, um nicht das ganze Projekt zu gefährden." Die Frage komme aber immer wieder auf den Tisch. Ebenso das Nachwuchsproblem der Gemeinschaft. Denn momentan stagniert die Mitgliederzahl. Der Altersdurchschnitt liegt bei fünfzig bis sechzig Jahren.

Herborn möchte, dass Sanctclara ein "Leuchtturm glaubwürdig gelebter Ökumene" wird, der in die Stadt Mannheim, die Kirchen der Region und ganz Deutschlands ausstrahlt. "Ich sehe unsere Gemeinschaft als einen Ort, wo wir die anderen im Gebet mittragen und uns selbst mittragen lassen", hofft Herborn. "Einen Ort, an dem wir ökumenische Frustrationen miteinander aushalten und gemeinsam vordenken für die Zukunft. Wir halten den Stachel wach, dass es in der Ökumene noch mehr zu tun gibt. Die vor sich hin dümpelnde Ökumene, die nur Papiere produziert, reicht uns nicht!"

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Martin Rothe

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