Lust zum Lesen

Eine Methodenlehre
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Dieses Buch eröffnet ein vielschichtiges Wahrnehmen der biblischen Texte.

Die Texte der Bibel sind nicht nur uralt, sie haben auch noch sehr viel Zeit vor sich. Sie können warten, bis jemand sie liest." Die Weite der biblischen Textfelder wird in diesem Buch so nahe erläutert, dass man Lust bekommt, am Text zu arbeiten, sich in die Texte hineinzuweben. Auf den ersten Blick ist es eine Einführung besonders für Studierende der Theologie, die das Lesen der alttestamentlichen biblischen Texte methodisch lernen. Aber die Verfasser schaffen es in ihrer Darstellung, die unterschiedlichen Schritte und Möglichkeiten der Auslegung so aufzubereiten, dass sie den interessierten Leser mitnehmen, ihn entdecken lassen und dabei zugleich die Freiheit des eigenen Lesens und Verstehens eröffnen.

Sachgemäß werden die exegetischen Schritte entfaltet, aber im ausführlichen Aufnehmen von literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen wird deutlich wie anregend das genaue Lesen für das Verstehen werden kann. Grundsätzlich gliedern die Verfasser ihre Arbeit in den Dreischritt, in die theoretische Reflexion, deren Bedeutung anhand von Beispieltexten entfaltet wird und die knappe exegetische Anwendung. Diese didaktische Aufbereitung dient auch dem schnellen noch einmal Nachschlagen von theologischen Praktikern, die punktuell nach einer Hilfe suchen. Die Beispiele, die jeder theoretischen Erwägung beigegeben sind, erhellen den jeweiligen methodischen Schritt und nehmen gegenwärtige Erfahrung auf, um den Sinn des Vorgehens einsichtig zu machen. Da wird der Begriff Gattung exemplarisch durch die einzelnen Schritte hin zur Eheschließung anschaulich gemacht, denn "eine Gattung ist keine vorweisbare 'materielle' Größe und nie mit einem bestimmten vorweisbaren Text identisch, sondern ... eine Größe des kollektiven, traditionellen Wissens einer Kultur oder einer Gesellschaft." Zusätzlich erläutern "Vertiefungen", worum es bei jedem Schritt geht.

Die neueren linguistischen Erkenntnisse werden in unaufdringlicher Weise für die Erschließung der alttestamentlichen Texte fruchtbar gemacht. Aber sie regen nicht nur zu einem genauen Lesen der Texte an, sondern verweisen darauf, dass die biblischen Texte von solcher Art sind, dass sie jeweils neu in die gegenwärtige Situation ausgelegt werden wollen. Das gilt sowohl für das individuelle Verstehen als auch für die Auslegung in Unterricht, Seelsorge und Predigt. Die Anregungen für die Entdeckungen in den alttestamentlichen Erzählungen sind hier ganz besonders hervorzuheben. Der Abschnitt über die Perspektive, Point of View, macht unter anderem an der Erzählung vom Problem der langen Kinderlosigkeit Saras (1. Mose 16) sehr schön klar, welche Unterschiede durch die Perspektiven der betroffenen Personen (Sara, Hagar, Abraham) und des Erzählers in die Geschichte eingebracht werden und sie so spannend und überraschend machen. Aus solchen Erkenntnissen können für das eigene Weitererzählen der biblischen Texte anregende Impulse gewonnen werden.

Als Menschen leben wir in sozialen und kulturellen Traditionen, die sich im Lauf der Geschichte entwickeln und verändern. Kreativer Umgang mit Traditionen ist ein Merkmal biblischer Texte, so zum Beispiel das grundlegende "Denkmodell der Freiheit", das aus der Exodustradition erwachsen ist.

Dieses Buch eröffnet ein vielschichtiges Wahrnehmen der biblischen Texte. Deshalb: aufschlagen und ausprobieren.

Helmut Utzschneider/Stefan Ark Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2014, 376 Seiten, Euro 24,99.

Harald Grün-Rath

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